Der Spielfilm „Das weiße Band“ machte Burghart Klaußner endgültig einem größeren Publikum bekannt. Schon davor stand er regelmäßig vor der Kamera. Doch im Grunde schlägt sein Herz für das Theater.
(aus Hinz&Kunzt 229/März 2012)
Er hat den Tag über geprobt, ganz am anderen Ende der Stadt, ist für Interviews zurück im Haupthaus. Unten im Saal des St. Pauli Theaters wird gerade die Bühne für die Abendvorstellung hergerichtet. Burghart Klaußner verschränkt die Arme vor der Brust, wiegt dazu den Oberkörper leicht hin und her und blickt knapp über einen hinweg. „Fragen Sie mich“, sagt er, schaut und wartet auf die erste Frage.
In ein paar Tagen wird er unten auf der Bühne stehen, wird dem Willy Loman eine Stimme und ein Gesicht geben, der Hauptperson in dem Theaterklassiker „Tod eines Handlungsreisenden“ von Arthur Miller. Das Stück hat es in sich. Denn Willy, der Verkäufer, der in der Woche Hunderte von Kilometern abreißt, ist am Ende. Weiß nicht mehr weiter. Schafft es einfach nicht, seine Waren an den Mann zu bringen. Und je mehr er sich anstrengt, je mehr er wirbelt, je mehr Kilometer er abreißt, desto weniger klappt. „Es ist ein Stück über wirtschaftliche Zustände, über die Krise und über die Frage, was geschieht mit mir, wenn ich in Armut abrutsche, wenn vielleicht sogar Obdachlosigkeit droht“, beginnt Klaußner zu erzählen: „Wie halte ich mich über Wasser und habe ich noch eine Chance?“ Ein aktuelles Stück also. „Absolut aktuell“, sagt Klaußner und nickt.
„Jedes vierte Hamburger Kind lebt in Armut, steht heute gerade in der Zeitung, das ist uns nicht unbekannt“, sagt er und hebt seine Stimme: „Und der große amerikanische Traum, dass es jeder schaffen kann, wenn er sich nur Mühe gibt und sich ordentlich anstrengt, der hilft eben auch nicht weiter.“ Noch etwas nimmt ihn für das Stück ein: „Es handelt von absoluten Durchschnittstypen. Da gibt es gar nichts Besonderes. Die sprechen auch wie der Mann von der Straße.“
Erstmals wurde das Stück im heute scheinbar so fernen Jahre 1949 in New York auf die Bühne gebracht. „Es gibt unwahrscheinliche Berichte über die Uraufführung des Stückes“, sagt Klaußner und kommt langsam in Fahrt: „Die Leute waren unfähig zu applaudieren. Die einen sind reglos sitzen geblieben, andere haben geweint; und andere sind zur Garderobe gegangen, haben sich ihren Mantel geben lassen und sind zurück in den Saal gegangen, um sich wieder hinzusetzen.“
Das wird sich vielleicht so nicht wiederholen lassen, aber Klaußner ist sich sicher, dass er auch so im St. Pauli Theater gut aufgehoben ist: „Das Hamburger Publikum ist das beste Publikum!“ Das Hamburger – wirklich? Ja – Hamburg! „Das erwartet immer keiner, aber das ist so“, sagt er, der in Berlin gespielt hat, in Frankfurt, Bochum und Zürich oder neulich in Dresden: „Vom Interesse, von der Lebendigkeit, vom Engagement her ist das Hamburger Publikum unschlagbar. Und es strömt zahlreich.“
Wobei ihm donnernder Applaus, wenn der Vorhang fällt, persönlich nicht allzu wichtig ist: „Die landläufige Vorstellung, dass ein Schauspieler auf der Bühne steht, weil man ihm applaudiert, greift zu kurz. Es ist natürlich nicht unangenehm, wenn geklatscht wird; aber das Klatschen ist nur eine Schlusspointe. Der Weg zum Klatschen ist das Ziel.“
Immer wieder spielt er Menschen, die um ihr Leben, die um eine Zukunft ringen. Schlüpft auf der Bühne wie vor der Kamera in Rollen, bei denen der Zuschauer oft lange nicht weiß, ob sie gut oder böse sind und ob es überhaupt das eine ohne das andere geben kann: In dem Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ gab er den Unternehmer Justus Hardenberg, der von drei jungen Leuten entführt wird, die eher hilflos gegen die Konsumgesellschaft aufbegehren. Doch Hardenberg ist eben nicht der unmenschliche Vorzeigekapitalist, sondern einer, der einst selbst im linken Milieu zu Hause war und der sich die Erinnerung daran auf eine ganz eigene Weise bewahrt hat. Und in dem mehrfach preisgekrönten Schwarz-Weiß-Streifen „Das weiße Band – eine Kindergeschichte“ verkörperte Klaußner einen sittenstrengen Dorfpfarrer, der seine Kinder drangsaliert und der sie zugleich von ganzem Herzen liebt.
Demnächst wird er, der mit seiner Familie seit Jahren in Hamburg lebt, für die Verfilmung des Erfolgsromans „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier vor der Kamera stehen – unter der Regie von Bille August, prominenter geht es kaum: „Ich könnte mich aufs Drehen konzentrieren, mich in die Welt des Kinos und des Fernsehens zurückziehen – aber das Theater, der lebendige Austausch vor Leuten, das entspricht meinem Energiebedürfnis.“ Und so freut er sich auf die kommenden Vorstellungen, gerade am St. Pauli Theater, das er so mag, so schätzt. Und er schaut kurz aus dem Fenster, blickt über den Spielbudenplatz, sagt: „Es ist ein bisschen wie nach Hause kommen, und das ist klasse.“
Text: Frank Keil
Tod eines Hamdlungsreisenden: St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29-30, 1.-4.3., 7.-11.3. und 20.-25.3., jeweils 20 Uhr, sonntags 19 Uhr, 17,90 bis 51.50 Euro.