Ohren auf: Mit einem selbstverfassten Gedicht gewinnt die zehnjährige Manon den ersten Platz des Wettbewerbs „Wie klingt Armut?“ von Audiyou und Hinz&Kunzt.
(aus Hinz&Kunzt 221/Juli 2011)
Gänsehaut. An den Temperaturen liegt es nicht, draußen ist es schwül-warm, auch in den Hinz&Kunzt-Räumen steht die Luft. Rund 30 Kinder und Jugendliche sind zur Preisverleihung des Audio-Wettbewerbs „Wie klingt Armut?“ von Audiyou und Hinz&Kunzt gekommen. Und jetzt dieses Gedicht! Reiner hört andächtig zu, spürt ein Kribbeln, er dreht sich schnell zur Wand weg. Es muss ja keiner sehen, wie der Hinz&Künztler vor Rührung eine Träne wegblinzelt.
Neben ihm steht Manon, halb versteckt unter einer Baseballkappe. Gerade hat die Zehnjährige mit ernster, klarer Stimme ihr selbstverfasstes Gedicht „Warum steckt in Armut Mut?“ vorgelesen – und wird für ihren Beitrag nun nicht nur mit dickem Applaus, sondern auch mit dem ersten Platz geehrt. „Normalerweise bekommt Reiner ja nur beim Hören der St.-Pauli-Vereinshymne Gänsehaut“, verrät Hinz&Kunzt-Mitarbeiterin Isabel Schwartau. Dann lächelt sie Manon an: „Aber mit deinem Text hast du es auch geschafft. Der ging uns allen wirklich sehr nahe.“
Manon strahlt. In ihrem Beitrag fragt die Schülerin vom Lycée Français, was das Wort „Mut“ wohl in dem Wort „Armut“ verloren hat: „Ist es mutig, arm zu sein?“ Manon spürt den Gefühlen von Menschen nach, die mittellos sind und auf der Straße leben – bei Wind und Wetter, ohne Mutter, Vater, Freund. Die Idee dazu bekam sie in der Schule: „Wir haben im Unterricht das Buch ‚Ein mittelschönes Leben‘ gelesen“, erzählt Manon. Die Kinderbuchautorin Kirsten Boie beschreibt darin, wie schnell es passieren kann, dass „normale“ Menschen durch ein Unglück suchtkrank und dann obdachlos werden.
Danach sprachen die Schüler gemeinsam lange über das Thema Armut. „Und ich habe mich gewundert, warum das Wort ‚Mut’ darin auftaucht, obwohl arme Menschen oft einsam und mutlos sind“, sagt Manon, die schon seit der zweiten Klasse gerne Gedichte schreibt. Damit ihr Wettbewerbsbeitrag nicht allzu traurig ausfällt, lässt sie am Ende aber doch noch etwas Hoffnung aufblitzen: „Manchmal fällt `ne Münze in den Hut“, schreibt sie. „Das bringt wieder ein bisschen Mut. Und das ist gut.“
„Mit diesen Zeilen hast du das Thema genau getroffen – und uns vor allem sehr berührt“, erklärt Reiner die Entscheidung der Jury. „Schon nach dem ersten Hören war uns deshalb klar, dass das der erste Platz wird.“
Über die Vergabe der weiteren Plätze diskutierten Reiner und die anderen Jurymitglieder Isabel Kohler (Hinz&Kunzt-Sozialarbeiterin), Andreas Bell (Hörfunkjournalist) und Sascha Draeger (Synchronsprecher, bekannt als Stimme von Tim aus TKKG) schon länger. „Gerade, weil die Beiträge in ihrer Form so unterschiedlich waren und sich alle Teilnehmer richtig reingekniet haben“, erzählt Andreas Bell.
Auf den zweiten Platz schafften es schließlich fünf Mädchen aus der 5a der Erich-Kästner-Schule in Farmsen. Jasmina, Melina, Madita, Jana und Svea haben gemeinsam das Lied „Die Höllenfahrt der armen Leute“ geschrieben, ein Song mit fröhlicher Gitarrenmelodie, und absolutem Ohrwurmcharakter – im Kontrast dazu der bittere Text: „Keine Wohnung ohne Arbeit, ohne Arbeit keine Wohnung – das ist die Höllenfahrt der armen Leute“, singen die Mädchen mit Nachdruck im Refrain. Und weiter: „In den Augen der anderen nichts zu sein als Dreck und Abfall – das ist die Höllenfahrt der armen Leute.“ Das Einzige, was dann noch bleibe, sei Freundschaft, finden die Schülerinnen, die auch privat beste Freundinnen sind. Dementsprechend schnell hatten sie Text und Melodie zusammen: „Unser Lehrer hat uns vom Wettbewerb erzählt und schon hatten wir die ersten Ideen.“ Das gemeinsame Texten, Singen und Gitarrespielen hat den Mädchen außerdem so gut gefallen, dass schon das nächste Projekt in Planung ist: „Wir singen im September bei der Einschulung unserer neuen fünften Klassen.“
Gleich mit mehreren Beiträgen hat sich die Migrationsklasse der Stadtteilschule Hamm am Wettbewerb beteiligt und sich mit einem besonderen Format-Mix den dritten Platz erkämpft: Darin kombiniert eine Gruppe einen Brief an einen Obdachlosen mit einem Werbespot gegen Armut und einem Interview – alles selbst eingesprochen oder -gesungen, obwohl viele von den Schülern erst seit wenigen Monaten Deutsch lernen. Genau wie Manon und die Schülerinnen bekommen sie als Preise hochwertige Aufnahmegeräte und Audio-Software überreicht. Damit sie auch in Zukunft spannende, rührende Texte und Lieder aufnehmen können – oder Interviews mit überraschenden Ergebnissen. So fragte eine Gruppe der Migrationsklasse in Hamm Passanten: „Wann ist man arm?“ An Geld dachten die Befragten dabei anscheinend am wenigsten. „Wenn man keine Träume hat“, lautete stattdessen eine Antwort. Und die nächste: „Wenn man nicht mindestens drei Mal am Tag lacht.“
Text: Maren Albertsen
Foto: Kathrin Brunnhofer
Hinz&Kunzt bedankt sich bei Audiyou (www.audiyou.de), Andreas Bell und Sascha Draeger für die Zusammenarbeit und Unterstützung beim Audio-Wettbewerb „Wie klingt Armut?“. Herzlichen Dank auch an den Diesterweg-Verlag, Steinberg und Sound Service für die Bereitstellung von Hörspielen, Aufnahmegeräten und Audio-Software.