Lebenslänglich wegen Mord : „Ich war eiskalt“

Hinter Gittern: Die Lösungsadresse unseres Sommerrätsels Plietsch! war dieses Jahr der Verein Gefangene helfen Jugendlichen. In dem Projekt engagieren sich Häftlinge wie Max, um junge Leute von einer kriminellen Laufbahn abzubringen. Max war 24, als er einen Menschen tötete und einen zweiten schwer verletzte. Urteil: lebenslänglich.

(aus Hinz&Kunzt 235/September 2012)

„Ich stehe morgens auf, geh zur Arbeit, komme abends zurück, dusche, esse Abendbrot“, Max erprobt als Freigänger das Leben.

Mit 17 hat man noch Träume. Und nach 17? Nach 17 Jahren Haft, wenn in zwei Jahren die Entlassung ansteht? Gibt es Pläne? Wünsche? Max* zögert, zuckt mit den Achseln. „Eine feste Arbeit“, sagt er dann. „Eine kleine Wohnung. Eine Partnerin. Das wäre schön.“ Max lächelt. Der 41-Jährige hat lange gebraucht, um überhaupt an die Zukunft zu denken, an die Zeit „danach“. Er sagt: „Um nach vorne zu blicken, musste ich erst lernen, zurückzuschauen.“ Zurückschauen auf eine Tat, die ihn 1995 in den Knast brachte, Urteil: lebenslänglich – wegen besonderer Schwere der Schuld festgesetzt auf 19 Jahre. Max ist ein Mörder.

Wenn er heute für den Verein Gefangene helfen Jugendlichen vor jungen Menschen seine Geschichte erzählt, verharmlost er nichts, sucht keine Mitschuld bei anderen. Er sagt: „Was ich getan habe, ist unerklärbar und unverzeihlich.“ Er engagiert sich seit zwölf Jahren in dem Verein, der 1999 durch die Initiative von drei Häftlingen gegründet wurde. Ihr Ziel: Sie wollen Jugendliche, die gefährdet oder bereits straffällig geworden sind, von einer kriminellen Laufbahn abbringen. Dafür werden die 14- bis 21-Jährigen bei Besuchen in der Strafvollzugsanstalt Fuhlsbüttel („Santa Fu“) oder der Frauenvollzugsanstalt Hahnöfersand mit dem Alltag im Knast konfrontiert, lernen durch den Kontakt mit den Gefangenen, welche Konsequenzen kriminelle Handlungen haben. „Ich weiß ja aus eigener Erfahrung, wie schnell man abrutschen kann“, sagt Max. „Selbst wenn man als kleiner Prinz aufwächst.“

Max wird auf dem Kiez groß,seine Familie hat hier mehrere Läden. „Mir wurde alles hinterhergeschmissen“, sagt er. „Ich wurde total verhätschelt, eben wie ein Prinz.“ Seine Eltern seien nie gewalttätig gewesen, doch er selbst neigt schon früh zu Gewalt. Er prügelt sich häufig auf der Straße, boxt auch im Verein. „Das hat mich nur noch aggressiver gemacht.“ Woher diese Aggression kommt, mag er nicht sagen. Nur so viel: „Mittlerweile habe ich das aufgearbeitet.“

Außerdem klaut er, zunächst Kleinkram wie Fahrradteile. Zur Rechenschaft gezogen wird er nie, seine Eltern lassen ihn machen: „Mir wurden keinerlei Grenzen gesetzt.“ Statt Moral habe es in der Familie nur ein Motto gegeben: Egal was du machst, Hauptsache, du lässt dich nicht erwischen! „Daran habe ich mich gehalten.“ Max guckt ernst. „Leider.“

 Er macht zwar seinen Realschulabschluss, seine Lehrer empfehlen ihm außerdem, das Abitur zu machen und anschließend Mathe zu studieren: „Ich war ein richtig plietscher Kopf.“ Aber Max hat keine Lust mehr auf Lernen, er will Abenteuer, will unabhängig sein. Zuerst überlegt er, Zeitsoldat zu werden. „Die Schießerei, das hätte mir schon gefallen.“ Aber hier spricht der Vater ausnahmsweise ein Machtwort: Max solle gefälligst eine Ausbildung machen. Also wird er Bürokaufmann, lernt eine Frau kennen, die er später heiratet. Doch nebenbei baut er eine Parallelexistenz auf: Er vertickt gestohlene Waren, betreibt bald Hehlerei in ganz großem Umfang. „Eigentlich habe ich mit allem gedealt“, sagt er. „Außer Drogen. Und Frauen.“ Dabei sei es ihm gar nicht ums Geld an sich gegangen – „das habe ich immer schnell verprasst“, sondern vielmehr um den Nervenkitzel: „Erwischen sie mich oder nicht?“ Ein Mal, da ist er 21, wird er zu einer Geldbuße verurteilt. „Ansonsten habe ich mich über die Polizei immer nur amüsiert. Ich war total arrogant.“

Max fühlt sich unverwundbar, auch drei Jahre später. Konflikte löst er da schon lange nicht mehr „nur“ mit Fäusten, sondern auch mit Messern und Schusswaffen. Als er sich von zwei Geschäftspartnern „übern Tisch gezogen“ fühlt – „die wollten mich erpressen“ – geht er mit einer Pistole auf sie los. „Es war eine regelrechte Hinrichtung“, erzählt er. „Wie in einem Mafia-Film.“ Mit Kopfschüssen tötet er einen der Partner, der andere überlebt schwer verletzt. „Reue“, empfindet er heute, wenn er daran zurückdenkt, „und tiefe Scham.“ Doch damals empfindet er: „Gar nichts. Ich war eiskalt.“ Als er verhaftet wird, glaubt er sogar an einen ­Irrtum: „Für mich war das ein Ding unter Ganoven, da hatte sich die Justiz nicht einzumischen.“

Im Untersuchungsgefängnis ist er praktisch den gesamten Tag in Einzelhaft, das Essen wird ihm durch eine Klappe in die Zelle geschoben. „Aber nicht mal das hat mich zum Nachdenken gebracht.“ Sein Urteil nimmt er emotionslos auf: „Wer begreift schon, was lebenslänglich bedeutet?“ Als er nach Santa Fu kommt, fügt er sich der Routine hinter Gittern, dem immer gleichen Tagesablauf. Darüber hinaus lässt er sich aber weder von Bediensteten noch von Mithäftlingen was sagen: Er bleibt Einzelgänger, macht viel Sport, liest Fachbücher und Krimis, schaut Nachrichten im Fernsehen. „Das war mein Tor nach draußen.“ 1998 beginnt er eine Ausbildung zum Maler und Lackierer, die neue Aufgabe gefällt ihm. Aber Schuld? Schuld empfindet er weiterhin nicht: „Ich habe anfangs immer nur an mich gedacht, daran, wie ich die Zeit am besten nutze.“ Doch dann sterben seine Großeltern, kurz darauf verlässt ihn seine Frau, wenig später stirbt sein Vater. „Erst durch diese Verluste begann ich zu überlegen, was ich damals angerichtet habe.“

Als er 2000 von anderen Inhaftierten gefragt wird, ob er nicht bei Gefangene helfen Jugendlichen mitmachen möchte, denkt er trotzdem zunächst an einen Scherz. „Sind wir hier im Knast oder im Kindergarten?“, fragt er zurück. Aber dann nimmt er doch an einem Treffen teil – und erschrickt, als er die Jugendlichen vor sich sieht: „Ich dachte: Auweia, da sitzen meine Spiegelbilder.“ Junge Leute, scheinbar total cool und abgeklärt, alle mit großer Klappe und noch größerem Ego. „So war ich auch“, erkennt Max, merkt, dass ihn genau diese Haltung in den Knast gebracht hat. „Da habe ich dann ernsthaft angefangen, über mein Leben zu reflektieren“, sagt er.

Er beginnt eine Therapie, arbeitet daran, seine Aggressionen in den Griff zu kriegen. „Ich weiß nicht, ob ich dadurch ein besserer Mensch geworden bin“, sagt er heute. „Aber ich weiß jetzt, welches Gewaltpotenzial in mir steckt und dass ich es an der Kette halten muss.“ Seit einem Jahr ist Max in der Außenstelle der Sozialtherapeutischen Anstalt in Bergedorf, übt hier für den Alltag in Freiheit. Als er das erste Mal alleine für eine Stunde raus darf, zum Einkaufen, kommt ihm alles noch unwirklich vor: „Ich habe mich immer misstrauisch umgesehen und fühlte mich verfolgt. Mittlerweile bin ich da aber ganz locker.“ Dabei hilft ihm vor allem sein Job als Maler und Lackierer über eine Zeitarbeitsfirma: „Ich stehe morgens auf, geh´ zur Arbeit, komme abends zurück, dusche, esse Abendbrot und schmier mir eine Stulle für den nächsten Tag“, erzählt Max. „Das klingt so banal, aber ich finde es großartig. Ich genieße das.“

Schlimm findet er allerdings, wie sehr sich Hamburg während seiner Haftzeit verändert hat. „Als ich das erste Mal wieder auf dem Kiez war, habe ich ihn vor lauter Schickimicki kaum noch wiedererkannt“, sagt er. Außerdem sei die Kluft zwischen Arm und Reich viel größer geworden. „Und damit das Miteinander weniger. Die meisten Menschen sind nur noch mit sich selbst beschäftigt.“ Gerade bei jungen Leuten fällt ihm das auf. Dass Jugendliche heute insgesamt gewalttätiger seien als früher, glaubt er hingegen nicht.

„Prävention ist das Wichtigste“, findet Max. „Und sei es durch das abschreckende Beispiel meiner eigenen Geschichte.“ Er erzählt den Jugendlichen dann von dem Verlust der Selbstbestimmtheit im Knast, davon, wie man vom Leben „da draußen“ kaum noch etwas mitbekommt: „Ich fühle mich heute manchmal noch wie ein 24-Jähriger. All die normalen Erfahrungen und Entwicklungsschritte von Gleichaltrigen habe ich ja nicht mitgemacht.“ Er erzählt auch vom Stolz und vom Ehrgefühl, von denen nicht mehr viel übrig bleibt, wenn Freunde und Verwandte immer seltener zu Besuch kommen, wenn sich andere für einen schämen. Und er freut er sich jedes Mal, wenn er bei seinen Gesprächen für Gefangene helfen Jugendlichen bei den Teilnehmern so etwas wie Furcht aufblitzen sieht. Furcht vor dem, was aus ihrem Leben wird, wenn nichts aus ihrem Leben wird und sie selber einmal in den Knast müssen. Furcht, dass ihre coole Fassade ihnen dort nicht mehr weiterhilft, in einer winzigen Zelle, ausgestattet nur mit Pritsche und Klo. „Habt ihr Angst?“, fragt er gerne in die Runde. Und wenn einige der jungen Leute verlegen nicken, sagt er ihnen, dass sie froh sein sollen. „Diese Angst ist euer Schatz“, sagt er dann. „Ich hatte ihn nicht.“

* Name von der Redaktion geändert

Weitere Infos zum Verein Gefangene helfen Jugendlichen unter www.gefangene-helfen-jugendlichen.de

Text: Maren Albertsen
Illustration: Grafikdeerns

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