Kultur in der guten Stube? Bei der „Wohnzimmerliebe“ ist das Programm. Schauspieler und Musiker treten vor einem kleinen Publikum in Hamburger Wohnungen auf – ein besonderes Erlebnis für Künstler und Gäste.
(aus Hinz&Kunzt 235/September 2012)
Vor 200 Jahren luden vornehme Damen in ihre üppig dekorierten Salons, um mit Gleichgesinnten Kultur in den eigenen Räumen zu genießen. Kati und Thomas Baumgarten lassen die Tradition mit ihrer Reihe „Wohnzimmerliebe“ wieder aufleben. Doch sie findet nicht im eigenen Zuhause, sondern an immer wechselnden Locations statt.
Zum Beispiel in der Souterrain-Wohnung eines Hamburger Verlegers. Wo der Hausherr normalerweise Gäste bewirtet, inszeniert heute das LitEnsemble Tolstois Anna Karenina als packende multimediale Lesung. Kati und Thomas Baumgarten haben dafür schon vor Stunden mit den Vorbereitungen begonnen und Esstisch und Teppich in ein Nebenzimmer geschafft, eine Lampe ab- und stattdessen 30 Klappstühle aufgebaut. In der schmalen Küche haben die Baumgartens ein paar Flaschen Rotwein und Wasser sowie Baguette und Butter bereitgestellt, damit die Gäste sich nach der Aufführung noch stärken und unterhalten können. Es sieht ein bisschen aus wie auf einer Studenten-WG-Party: kleines Budget, aber große Gästeschar.
Die beiden sind schon zum fünften Mal Gastgeber in einer fremden Wohnung. Und sie genießen es. „Wir wollten eine Möglichkeit schaffen, Kunst nicht so entfremdet zu erleben“, erzählt Kati Baumgarten. „Wenn man sich mit 1000 Leuten einen Poetry-Slam ansieht, ist das auch toll, aber wir wollten etwas im kleinen Rahmen machen, wo es nicht um Geld geht.“ Von der ersten Idee bis zur Umsetzung ging alles ganz schnell. Innerhalb von einer Woche hatte das Paar sich im Herbst 2011 den Namen Wohnzimmerliebe gesichert, eine Website eingerichtet und 30 Klappstühle gekauft.
Seitdem werden regelmäßig auf der Internetseite des Projektes die in loser Folge stattfindenden Veranstaltungen bekannt gegeben. Wer an einem Wohnzimmerliebe-Abend teilnehmen möchte, muss sich verbindlich per Mail anmelden – und wenn noch Plätze verfügbar sind, wird die Teilnahme bestätigt und die Adresse der Gastgeberwohnung wenige Tage vor der Veranstaltung in einer privaten E-Mail übermittelt. „Wichtig ist natürlich, dass die Adresse von allen vertraulich behandelt wird“, sagt Kati Baumgarten. Das kulturbegeisterte Ehepaar weiß genau, wie man einen gelungenen Abend organisiert: Kati Baumgarten hat in der Pressestelle der Kunsthalle und beim Filmfest Hamburg gearbeitet. Thomas Baumgarten ist freiberuflicher Kulturdienstleister. Beide gehen gern aus und sind gut vernetzt. Für „Nachschub“ ist also gesorgt.
Während die Baumgartens schon erste Gäste an der Haustür begrüßen, ruhen sich die vier Künstler des LitEnsembles im Wohnzimmer auf zwei Riesensofas aus. Die beiden Schauspieler Astrid Kramer und Hans Heller sowie Musi- ker Jens Fischer und Multimediaspezialistin Grit Schuster haben lange an ihrer Fassung der dramatischen Ehebruchgeschichte gearbeitet und sie auch schon einige Male aufgeführt. Aber noch nie in einem so intimen Rahmen. Sie sind gespannt auf das Experiment und verzichten dafür auch auf eine feste Gage. Als Honorar bekommen die vier nur eine Aufwandsentschädigung aus dem Hut, der während der Aufführung umgeht.
Kurz nach 20 Uhr sind alle Plätze besetzt, und die Gäste murmeln erwartungsvoll. Als die Künstler zwischen den Stühlen zu ihren Mikrofonen in einer Raumecke gehen, wird es wie im Theater ganz still. Schauspieler Hans Heller beginnt und sucht zwischendurch immer wieder den Augenkontakt zum Publikum. Seine Stimme ist sehr laut und intensiv in dem kleinen Raum, er merkt es selbst und spricht leiser. Astrid Kramers Anna Karenina trifft gleich den richtigen Ton und füllt den dunklen Raum schnell mit ihren widersprüchlichen Gefühlen. Die projizierten abstrakten Bilder und die Gitarrenmusik sorgen im Wechsel mit den Stimmen für ein intensives Eintauchen in die unglückliche Dreiecksgeschichte aus dem 19. Jahrhundert.
Nach anderthalb Stunden ist der Theaterabend zu Ende. Der Applaus kommt von Herzen. Besucher und Ensemble strömen gemeinsam in die Küche und stoßen auf den Abend an. Wer hier keinen Platz bekommt, stellt sich einfach mit einem Glas in der Hand in den Flur. Hier hat man auch die WC-Tür im Auge, wo sich die nach einer Vorstellung übliche Schlange bildet. Nur dass man hier noch am Duschgel des Hausherrn schnuppern kann.
Kati und Thomas Baumgarten sind zufrieden. Sie freuen sich über den gelungenen Abend und die ständig wachsende Fangemeinde. Beim ersten Abend waren es nur Freunde, aber inzwischen gibt es immer eine Warteliste. „Wen wir durch die Reihe schon alles kennengelernt haben“, so Kati Baumgarten. „Wir kommen an Orte, die wir sonst nie entdecken würden. Es entstehen sogar Freundschaften, aber das weiß man vorher nicht.“ Aber das ist ja gerade das Schöne.
Text: Sybille Arendt
Foto: Benne Ochs
Anmeldung unter Wohnzimmerliebe unter zusage@wohnzimmerliebe.de, Eintritt frei, Spenden erwünscht.