Wenn andere feiern: Obdachlose in Paderborn
Text und Foto: Judith Rakers
aus: Neue Westfälische, Paderborn, 3. August 199
Paderborn. „Im Regen bringt das Betteln nichts“, erklärt Heinz und trinkt noch einen kräftigen Schluck. Der 48jährige ist glücklich, dass die Liboriwoche bisher sonnig war. „Wenn einer ein paar Mark rausrückt, freue ich mich – wenn nicht, bin ich ihm nicht böse“, so Heinz´ Motto.
Während an den Karussellkassen und im Festzelt am Liboriberg der Rubel rollt, sitzt Heinz in der Westernstraße und wartet auf eine kleine Spende. Hündin „Fräulein“ schläft derweil oder lässt sich von Kinderhänden kraulen. Der Berber glaubt nicht, dass das Fest des heiligen Liboruis seinen „Klingelbeutel“ mehr füllt als sonst. Trotzdem hatte er in der Liboriwoche 1996 schon „Spitzentage“. Am Donnerstag zog er 95 Mark aus seinem Hut, gestern gab es sogar zweimal einen Zehnmarkschein. Reich wird Heinz deswegen trotzdem nicht. „Mein Hund und ich brauchen was zu Beißen, der Schnaps kostet Geld, und die Fahrkarten sind auch nicht billig.“ Heinz ist ein echter „Berber“, er bleibt nie länger als zwei bis drei Tage in der gleichen Stadt. Schon als Kind habe er Fernweh gehabt, erzählt der Obdachlose: „Mein Hund und ich brauchen die Freiheit.“
Früher war Heinz Dachdecker, hatte eine Frau und drei Kinder. Nach der Scheidung 1989 fing er an zu trinken. Und seitdem er 1993 wegen einer Zyste operiert wurde, ist er arbeitsunfähig. „Um Unterstützung zu kriegen, müsste ich mich in einer Stadt festsetzen“, erklärt der Berber, „da ziehe ich lieber über Lande.“ Stolz erzählt er, dass er schon in Frankreich war. „Da habe ich Le Mans gesehen“, erinnert sich Heinz gern. Und zudem seien die Franzosen spendabler, meint er. Aber auch in Deutschland kommt Heinz ganz gut über die Runden. In den verschiedenen Städten kann er sich seinen „Tagessatz“ abholen. Dieser liegt zwischen zwölf und 17 Mark – in Paderborn gibt es nach Angaben von Heinz 15,40 Mark. Der Berber geht aber nicht regelmäßig zu den städtischen Ausgabestellen: „Manchmal ist es besser, wenn ich einfach sitzen bleibe. Da springt dann oft mehr raus.“
Heinz freut sich übrigens auch, wenn er zum Essen eingeladen wird. „Am liebsten mag ich Chinesisch – schön mit Reis und Bambussprossen!“ Was die Verpflegung angeht, ist der Obdachlose in der Liboriwoche natürlich gut versorgt. Zu verschiedenen Standbesitzern haben er und sein „Fräulein“ schon freundschaftliche Beziehungen aufgebaut: „In einer Stunde bin ich am Bierstand eingeladen, und vorhin hat mir schon jemand eine Bratwurst spendiert.“