Teil zwei – noch schlimmer als der erste Teil
Weil der Textildiscounter mit dreisten Lügen die Berichte des NDR unglaubwürdig machen wollte, fuhr das Team noch einmal durch Deutschland und Bangladesch. Ein Bericht von NDR-Reporter Christoph Lütgert.
(aus Hinz&Kunzt 211/September 2010)
Wenn Sie glauben, Sie hätten die KiK-Story schon einmal in Hinz&Kunzt gelesen – stimmt und stimmt nicht. Denn der zweite Teil ist noch schlimmer als der erste, den wir Ihnen in der Mai-Ausgabe präsentiert haben.
Es ist die Geschichte der Selbstbeschädigung eines rücksichtslosen Konzerns. Eine Selbstbeschädigung durch unbegreifliche Fehler, durchsichtige Täuschungsmanöver und dreiste Lügen, die mühsam widerlegt werden mussten, die den roten Textil-Giganten dann aber umso schlechter aussehen ließen. Einer der Hauptbeteiligten: der stadtbekannte Hamburger KiK-Anwalt Dr. Walter Scheuerl, der Mann, der das Volksbegehren gegen die Schulreform in der Hansestadt organisiert und orchestriert hatte.
Der Reihe nach: Am 7. April hatte der Norddeutsche Rundfunk (NDR) in seinem Magazin „Panorama – Die Reporter“ die KiK-Story ausgestrahlt. Gezeigt wurden „die üblen Machenschaften des Textil-Discounters“: Dumpinglöhne und unzumutbare Arbeitsbedingungen in den KiK-Filialen, von denen der Textilriese schon über 2900 hat. Eine junge Frau, die mit einem Stundenlohn von 4,50 Euro als Packerin eingestellt war, schilderte, dass sie für das wenige Geld eigentlich alles machen musste: Vom Toiletten-Reinigen bis hin zur Filial-Leitung. Über die Jahre hatte KiK ihr für die vielen Tätigkeiten nach Gewerkschaftsrechnung 13.000 Euro zu wenig gezahlt. Sie ging vor Gericht. Immerhin bekam sie am Ende von KiK 6000 Euro. Die junge Frau erzählte weiter, dass in ihrer Filiale die Heizungen sechs Winter lang nicht funktionierten, sodass sie in Winterkleidung und sogar mit Handschuhen bedienen musste.
Der NDR zeigte im April zudem, welch brutale Methoden auch in Asien angewandt werden, wo KiK einen Großteil seines Angebots nähen lässt. KiK kann so billig sein – „für unter 30 Euro komplett einkleiden“ –, weil die Näherinnen in Bangladesch die Hosen und T-Shirts im Akkord für einen Monatslohn von 20 bis 30 Euro produzieren. Ausbeutung – bei KiK keine Vokabel aus dem Klassenkampf, sondern Realität von der Herstellung bis zum Verkauf der Klamotten.
Nach der Ausstrahlung am 7. April setzte der Hamburger Advokat Dr. Walter Scheuerl im Namen von KiK und KiK-Chef Stefan Heinig dem Norddeutschen Rundfunk gewaltig zu. Es hagelte Unterlassungsbegehren. Die beiden dreistesten: Der NDR solle eine Konfrontation mit Heinig, bei der dieser sich bis auf die Knochen blamiert hatte, nicht nur nicht zeigen – nein, der Sender sollte sogar das Video-Material vernichten. Eine unglaubliche Anmaßung. Und dann noch die Behauptung: Die im Film gezeigten Näherinnen aus der Hauptstadt Dhaka, die KiK schwerstens belastet hatten, hätten gar nicht oder schon lange nicht mehr für KiK genäht – eine dreiste Lüge. Besonders peinlich für KiK war die aufrüttelnde Szene, in der eine Näherin neben ihrem todkranken, erst neun Jahre alten Cousin sitzt und nichts für ihn tun kann. Denn sie verdient zu wenig, um einen Arzt zu bezahlen. Auch diese junge Frau, so Anwalt Scheuerl in einem seiner Schreiben, nähe gar nicht für KiK. Und er setzte tatsächlich bei Gericht durch, dass die brisante KiK-Story nicht mehr gezeigt werden durfte. Sie musste auch aus dem Internet verschwinden.
Hier hätte die Geschichte mit einem schlechten Ende aufhören können. Und vielleicht hätte manche Zeitung wegen Geldmangels aufgegeben. Dann hätte die Lüge über die Wahrheit gesiegt. Der NDR aber schickte uns Reporter ein zweites Mal auf eine teure Reise nach Bangladesch und durch Deutschland. Nun brachten wir noch mehr mit als beim ersten Mal, die Beweise waren noch härter. Die Näherinnen in Dhaka bestätigten in eidesstattlichen Versicherungen, dass sie für KiK nähen oder bis vor Kurzem genäht hatten. Die Textilarbeiterin mit dem todkranken Cousin konnten wir hinter ihrer Nähmaschine in einer Fabrik filmen, die ausschließlich für KiK produziert. Die vielen Hundert Hosen mit dem KiK-Label waren der optische Beweis. Und diese Näherin, die neun Stunden pro Tag an sechs Tagen pro Woche für KiK schuftet, bekommt dafür umgerechnet einen Monatslohn von rund 25 Euro.
Hier ein kurzer Einschub: Der todkranke Junge musste nicht sterben. Noch in Dhaka hatten wir das Kinderhilfswerk Unicef alarmiert. Der Junge wurde in ein Krankenhaus gebracht und anschließend in ein Heim. Er ist auf dem Weg der Besserung.
Außerdem trafen wir auf unserer zweiten Reise in Dhaka Gewerkschaftsführer und Fabrik-Manager, die bezeugten, dass KiK in Bangladesch zu den übelsten Kostendrückern gehört. Wir befürchten, dass die Textilarbeiter in Bangladesch nicht auf durchgreifende Änderungen hoffen können. Tausende gingen auf die Straße, um für einen Mindestlohn zu kämpfen. Das deprimierende Ergebnis: Sie wurden brutal zusammengeknüppelt.
Auch wir als Reporter-Team haben erfahren, dass die Regierung des bitterarmen Landes nicht auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen seiner
Näher bedacht ist. Vorzeitig mussten wir unsere Reise abbrechen und fluchtartig das Land verlassen. Informanten hatten uns gewarnt, die Geheimpolizei sei hinter uns her, wolle uns festnehmen, uns vor allem aber das brisante Filmmaterial abjagen. Überstürzt packten wir unsere Sachen, hasteten zum Flughafen und flogen zurück nach Hamburg.
Aufgrund der erdrückenden Beweise, die wir mitbrachten, gab das Hamburger Landgericht den Weg frei, dass der NDR die wahre KiK-Story zeigen konnte – und die ist noch schlimmer als die erste, weil sie die Lügen entlarvt.
Nachdem der NDR und im Mai auch Hinz&Kunzt die erste KiK-Story veröffentlicht hatten, wurden wir von den Zuschauern und Lesern mit Briefen und E-Mails regelrecht überflutet. Auch viele, die bei dem Textildiscounter gearbeitet hatten oder noch immer angestellt sind, schrieben uns. Der Tenor: „Ihr habt nicht übertrieben. Es ist wirklich so schlimm. Bleibt bitte dran!“
Besonders interessant und wertvoll für unsere Neuauflage der KiK-Story war Guido Hagelstede aus Bremerhaven, der uns ebenfalls geschrieben hatte. Fast zehn Jahre lang war er bei KiK Bezirksleiter und damit Herr über 15 Filialen. Unglaublich, was er zum Besten gab: „Es wird wirklich an allen Ecken und Kanten gespart.“ Deshalb die Dumping-Löhne, für die KiK berüchtigt ist. Dann weiter: „Es gibt keine Müllabfuhr in den meisten Filialen. Die Mitarbeiter müssen den Müll mit nach Hause nehmen, denn die Müllabfuhr müsste ja auch bezahlt werden.“ Im Sommer sei es in den KiK-Filialen mit den großen Fensterfronten schier unerträglich. Denn Klimaanlagen sind für KiK tabu. War schon eine eingebaut, durfte sie nicht eingeschaltet werden.
Hagelstede erzählte von einer schier unerträglichen Atmosphäre des Misstrauens. Bei Spät- und Frühkontrollen, für die sich so ein Bezirksleiter regelrecht auf die Lauer legen muss, werden die Filial-Mitarbeiter entwürdigend gefilzt. In seiner Zeit, so der Ex-KiK-Manager weiter, wurden die Beschäftigten zudem über Anfragen bei der Auskunftei Creditreform ausspioniert. Wer überschuldet war, musste auf Anweisung von oben rausgeschmissen werden.
KiK – ein Textilriese, der bisher mit unglaublicher Rücksichtslosigkeit Erfolg hatte. 1994 gegründet und jetzt schon fast 3000 Filialen. Jahresumsatz: anderthalb Milliarden Euro. Fast jeden Tag wird eine neue Filiale eröffnet. Auf 5000 will es KiK-Chef Stefan Heinig bringen. KiK – auch ein Beispiel für entfesselten Kapitalismus, hässlich und ohne soziale Rücksichten, von der Entstehung der Waren bis zu ihrem Verkauf.
Experten haben dem NDR gegenüber geurteilt, dass die Negativ-Berichte der letzten Monate dem Konzern nachhaltig geschadet hätten. Bisher war jede Kritik an KiK abgeprallt. Die Pressestelle des in Bönen bei Dortmund ansässigen Giganten schien keine Sprecher, sondern Presseschweiger zu beschäftigen. Auskünfte wurden verweigert. Bei Negativ-Berichten wurden gerne so einschlägig bekannte Anwälte wie Walter Scheuerl in Marsch gesetzt. Sie sollten es richten. Irgendwann konnten sie es auch nicht mehr.
Am Ende das, was man schon eine Sensation nennen darf: In einer dem NDR übermittelten Pressemeldung gestand der Discounter öffentlich ein: „Wir haben sicher Fehler gemacht. Dies bedauern wir außerordentlich.“ Bloße Lippenbekenntnisse, taktische Ablenkungsmanöver oder ehrliche Reue? Zweifel sind nach den Erfahrungen der Vergangenheit angebracht. Das hat sich KiK selbst zuzuschreiben. Entscheidend ist, was sich künftig für die Näherinnen und Näher in Bangladesch und die Beschäftigten in Deutschland verbessert. Wir alle müssen es aufmerksam beobachten.
KiK zieht Klage gegen Hinz&Kunzt zurück
Im Mai haben wir den ersten Teil der KiK-Story von NDR-Reporter Christoph Lütgert und seinem Team veröffentlicht. Das hatte juristische Konsequenzen: KiK erwirkte per Einstweiliger Verfügung, dass wir die vier „Kronzeuginnen“ der Reportage, nicht mehr als „KiK-Näherinnen“ bezeichnen durften. KiK-Anwalt Walter Scheuerl hatte bei jeder Frau einen anderen Arbeitsplatz angegeben, nur nicht Fabriken, mit denen KiK zusammenarbeitet. Eine Chance, einen Prozess zu gewinnen, hätten wir wohl nicht gehabt, weil Aussage gegen Aussage stand. Wir legten trotzdem Widerspruch ein. Denn das Lütgert-Team war noch einmal nach Bangladesch gefahren – und kam mit frischen Beweisen zurück. KiK hatte dreist Unwahres behauptet.
Obwohl wir von KiK einiges gewohnt sind, sind wir doch schockiert, dass der Konzern und sein Anwalt mit solchen Methoden arbeiten. Was uns wunderte: dass KiK seine Klage gegen uns nicht sofort zurückzog, zumal es sich im Verfahren gegen den NDR schon eine blutige Nase geholt hatte. Erst kurz vor dem Termin zog KiK doch zurück. Ab sofort können Sie auch wieder unsere KiK-Story Teil eins online lesen. BIM