Die meisten Zuwanderer aus Osteuropa schaffen es, sich in Deutschland ein Leben aufzubauen. Die, die scheitern, rutschen tief ins Elend. So erleben es Beratungsstellen in Hamburg und Berlin. Doch auch wer zunächst erfolglos ist, hat die Chance, wieder Fuß zu fassen.
Keine Ausbildung, keine Arbeit, keine Chance: Dieses Bild haben viele von den immer mehr Menschen, die aus Osteuropa mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft nach Deutschland kommen. Dass dieses Bild schief ist, ist längst bewiesen. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bezieht nur gut jeder zehnte Rumäne und Bulgare in Deutschland Hartz IV – viele davon ergänzend zu ihrem geringen Lohn. Rumänische und bulgarische Einwanderer beziehen seltener Sozialleistungen als andere Einwanderer (hier liegt der Anteil bei 16 Prozent) und machen nur 0,7 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger aus. Nichtsdestotrotz: Ein Teil der Arbeitsmigranten aus Rumänien, Polen oder Bulgarien scheitert hier. Und wer von ihnen einmal ins Elend abgerutscht ist, hat es schwer, dort wieder herauszukommen.
Das beobachten Beratungsstellen etwa in Hamburg und Berlin. Die Teams der Anlaufstelle für EU-Bürger und der Beratungsstelle Plata in Hamburg und die Berliner Einrichtung Frostschutzengel haben die Geschichten und Schicksale ihrer Mandaten in den vergangenen Monaten unter die Lupe genommen. „Wir haben Daten gesammelt, die es bisher so sonst nicht gibt“, sagt Marie-Therese Reichenbach, Sozialarbeiterin und Leiterin vom Projekt Frostschutzengel.
„Unlautere oder grenzwertige Arbeitsverhältnisse“
Reichenbach und ihre Mitarbeiter und die Berater in Hamburg haben nach Herkunft und Werdegang der Menschen aus Osteuropa gefragt, die bei ihnen Hilfe suchen. „Die Daten weisen auf Umstände hin, bei denen es sich genauer hinzusehen lohnt“, sagt Reichenbach. Zum Beispiel dass längst nicht alle Hilfesuchenden unqualifiziert und chancenlos sind: Fast die Hälfte (47 Prozent) der Menschen, die im Winter 2012/2013 in Hamburg und Berlin befragt wurden, hat eine zwei- oder dreijährige Berufsausbildung, neun Prozent haben einen Meisterbrief oder einen Bachelor, zwei Prozent sogar einen noch höheren Hochschulabschluss. Und sie wissen sich zu helfen: Auch wenn sie in Deutschland keine Sozialleistungen bekommen, haben viele ein Einkommen – durch den Verkauf von Straßenzeitungen, Flaschensammeln oder Scheibenputzen.
Viele sind aber auch im wahrsten Sinne des Wortes extrem arm dran. Die Gründe sind oft arbeitsrechtliche Probleme, sagt Eva Lindemann von der Stadtmission Hoffnungsorte Hamburg, zu der die Anlaufstelle für EU-Bürger gehört. „Es tauchen zunehmend Menschen auf, die in unlautere oder grenzwertige Arbeitsverhältnisse geraten sind.“ Besonders schlimm sei es, diese Jobs zu verlieren, wenn sie unmittelbar mit einer Unterbringung verbunden sind. „Dann stehen die Menschen plötzlich ohne irgendetwas da.“ Vor allem die, die nicht gut auf ein Leben in Deutschland vorbereitet sind, kommen dann früher oder später in die Beratungsstelle. „Die gut vorbereiteten, die Sprachkenntnisse haben und Facharbeiter sind, die tauchen bei uns selten auf.“
„Fehlende staatliche Hilfe beschleunigt Verelendung“
Die, die scheitern, geraten sehr schnell in heftige Not, sagt Marie-Therese Reichenbach von Frostschutzengel: „Wer keine Arbeit hat und nicht abgesichert ist, verelendet sehr schnell.“ In Berlin und Hamburg bleiben den Arbeitsmigranten dann nur noch niedrigschwellige Angebote wie Notschlafstellen und Essensausgaben. Anspruch auf Unterstützung vom Staat haben sie nicht. „Dass sie keinen Zugang zum Hilfesystem bekommen, beschleunigt die Verelendung“, so Reichenbach – und belastet die Beratungsstellen.
In Hamburg suchen in diesem Winter immer mehr Menschen aus Rumänien und Lettland Hilfe in der Anlaufstelle für EU-Bürger. Im Winter 2012/2013 war das – ähnlich wie in Berlin – noch anders gewesen: Damals waren, so die gemeinsam gesammelten Daten beider Beratungsstellen – 40 Prozent der Befragten aus Polen, 22 Prozent aus Rumänien und 18 Prozent aus Bulgarien.
„Fleißige, mutige und optimistische Menschen“
Was aus den Arbeitsmigranten wird, sei ganz unterschiedlich. Manche kehren zurück in ihre Heimatländer, manche bleiben und schaffen es nicht mehr aus dem Elend. „Es gibt auch eine Gruppe alleinstehender Obdachloser aus Polen, die teilweise seit zehn Jahren in Hamburg sind, viele von ihnen schwer alkoholkrank“, sagt Eva Lindemann. Seit sie nach Deutschland kamen, hat sich vieles verändert, vor allem die Beratungssituation. Viele, die jetzt nach Hamburg kommen, nutzen jede noch so kleine Unterstützung, übernachten in Notschlafstätten und versuchen, ihre Chance auf ein besseres Leben in Deutschland zu nutzen.
„In der Obdachlosenszene halten sich immer wieder Menschen aus Rumänien und Bulgarien kurzzeitig auf, die es dann doch noch schaffen, Fuß zu fassen“, sagt Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. Auch wenn sie zunächst scheitern, hieße das nicht, dass sie keine Chance als die Heimkehr hätten. „Wir erleben sie als fleißige, mutige und optimistische Menschen, die sich Arbeit und Wohnung suchen und es schaffen – auch wenn der Weg steinig ist.“ Denn auf Hartz IV oder andere staatliche Unterstützung haben die meisten keinen rechtlichen Anspruch. „Dabei könnte das dazu beitragen,“, so Karrenbauer, „ihre Not zu lindern, bis sie auf eigenen Beinen stehen.“
Text: Beatrice Blank
Foto: Mauricio Bustamante