Wieso werden Wohnungslose nicht in Flüchtlingsunterkünften untergebracht? Die Antwort auf diese oft gestellte Frage ist: Werden sie in Hamburg schon, es könnten aber mehr sein. Dass das nicht gelingt, liegt auch an Protesten aus der Nachbarschaft.
Dass Zuwanderer und einheimische Wohnungslose gemeinsam in derselben Unterkunft leben, ist in Hamburg längst Realität. Zum Beispiel im Pavillondorf Sieversstücken: 107 Wohnungslose leben dort zusammen mit 551 Flüchtlingen. Am Holstenkamp wohnen 38 Wohnungslose und 92 Flüchtlinge. Am Achterdwars: 150 Wohnungslose, fünf Flüchtlinge. In den meisten der sogenannten „Flüchtlingsunterkünfte“ leben zumindest auch einige wenige Wohnungslose.
Bis zum vergangenen Jahr ging die Zahl der Plätze für Wohnungslose allerdings stets zurück. Der damalige Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) legte deshalb im Mai 2015 fest, dass die Unterkunftsplätze für Wohnungslose fortan auszubauen seien.
756 neue Plätze für Wohnungslose
Mit ersten Erfolgen: Von 2513 Plätzen stieg die Zahl seitdem auf 3269 im August 2016 – ein Zuwachs von immerhin 756 Plätzen. Insgesamt kamen in diesem Zeitraum allerdings fast 8800 Unterkunftsplätze hinzu. Der Anteil der Plätze für Wohnungslose ist also eher gering (siehe Grafik unten). Und die Plätze reichen noch lange nicht aus: Häufig gelingt die Vermittlung von Wohnungslosen in die Unterkünfte nur schwer. Es müssen also mehr Unterkunftsplätze für sie her.
Doch laut Behördensprecher Marcel Schweitzer gibt es da „Hindernisse“. Proteste von Anwohnern gegen neue Unterkünfte gehörten dazu. Und tatsächlich haben so manche Nachbarschaftsinitiativen schon dringend benötigte Plätze für Wohnungslose verhindert.
In Harvestehude und Blankenese wehren sich Anwohner gegen Wohnungslose
Zum Beispiel in Harvestehude. Dort hatten Anwohner gegen die geplante Unterkunft an der Sophienterrasse geklagt. Nach langem Streit ging die Stadt mit den Nachbarn einen Kompromiss ein – „um die Klage der Anwohner abzuwenden und die Einrichtung in Harvestehude betreiben zu können“, heißt es vom städtischen Unterkunftsbetreiber fördern&wohnen. In dem im September 2015 geschlossenen Vertrag ist festgelegt, wer in die inzwischen eröffnete Unterkunft nicht einziehen darf: Wohnungslose. „Die Einrichtung dient ausschließlich der Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden“, steht dort. 80 Prozent der Bewohner sollten zudem Familien sein.
Vertrag zwischen Anwohnern und Stadt legt fest, dass in Unterkunft in #Harvestehude keine Wohnungslosen einziehen: https://t.co/AZhzpHjUKw pic.twitter.com/qtNsuIqpdd
— Benjamin Buchholz (@rakeeede) November 7, 2016
Ähnlich war es in Blankenese. Dort hatten 2015 Anwohner mit juristischen Schritten gegen eine geplante Unterkunft am Björnsonweg gedroht, unter anderem weil dort auch Wohnungslose unterkommen sollten. Um einer Auseinandersetzung vor Gericht aus dem Weg zu gehen, verzichtete die Stadt schließlich darauf, dort auch Wohnungslose unterbringen zu wollen. Geklagt haben die Anwohner trotzdem und damit bis heute den Baustart verzögert.
Sozialbehörde: Bürgerverträge verhindern Plätze für Wohnungslose
Wohnungslose sind immer benachteiligt, wenn Nachbarn gegen geplante Unterkünfte zu Felde ziehen, erklärt Behördensprecher Schweitzer. Also auch dann, wenn sie anders als in Harvestehude und Blankenese gar nicht gemeint sind: „Bei jedem Standort, den wir nur begrenzt ausbauen können, sind auch Wohnungslose betroffen“, sagt Schweitzer.
So seien auch durch die so genannten Bürgerverträge, die die Stadt im Sommer mit unterschiedlichen Bürgerinitiativen geschlossen hatten, geplante Plätze für Wohnungslose verhindert worden. Beispiel Neugraben-Fischbek: Ursprünglich waren hier 5000 Unterkunftsplätze geplant. Im Bürgervertrag ist aber festgelegt, dass im Stadtteil maximal 1500 Plätze entstehen. „Wenn es solche Bürgerverträge gibt, dann fallen Plätze weg“, sagt Schweitzer. „Auch für Wohnungslose.“
„Kein Leerstand in Flüchtlingsunterkünften“
Doch warum werden Wohnungslose nicht in den Flüchtlingsunterkünften untergebracht, die seit dem Rückgang der Zuwandererzahlen leer stehen? Auch diese Frage stellen uns Leser oft. „Es gibt keinen Leerstand“, widerspricht Christiane Kurth der zugrundeliegenden Annahme. Sie ist Sprecherin des städtischen Zentralen Koordinierungsstabs Flüchtlinge. Freie Plätze gebe es nur in den provisorischen Zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen, zum Beispiel also in ehemaligen Baumärkten. Wohnungslose werden in diesen besonderen Einrichtungen gar nicht aufgenommen. Dort leben aber noch immer etwa 7000 Flüchtlinge, die eigentlich ein Anrecht auf eine ordentliche Unterkunft hätten.
Auch hier besteht also dringender Handlungsbedarf. „Die großen Hallen werden alle im Laufe des nächsten Jahres abgebaut“, verspricht Kurth. Bei einigen Erstaufnahmen prüft die Stadt, ob sie in so genannte Folgeunterkünfte mit höherem Standard umgebaut werden können – dann könnten dort auch Wohnungslose einziehen.