Sie sind ein Quell der Nachhaltigkeit und Inspiration: Antiquariate. Doch die Branche kämpft ums Überleben. Autor Frank Keil hat sich umgeschaut.
Bücher. Bücher und noch mehr Bücher. In Regalen, auf Tischen, in Schränken, manche hinter Glas. Gelesen, nicht mehr neu, stehen sie hier im „Antiquariat Reinhold Pabel“ und warten auf ein nächstes Leben. Dass sie jemand mitnimmt, nach Hause. Sie liest oder sie einfach nur haben will.
„Mein Großvater hatte viele Bücher. Wenn wir Kinder ihn besuchten, durften wir die Prachtbände aufblättern“, erzählt Gottwalt Pankow, Jahrgang 1947, der Inhaber des Antiquariats. „Es gab etwa ein Zoo-Buch mit Schwarz-Weiß-Bildern über Tiere: über den Molukkenkakadu oder den Schabrackentapir – das müssen Sie als Kind erst mal lesen können!“ Auch Pankows Vater besaß viele Bücher, und überhaupt hätten die Großeltern, die Onkel und Tanten und auch seine Eltern ihm immer wenigstens ein Buch geschenkt, wenn es etwas zu schenken gab.
Aber erst mal: Studium der Theologie. „Abgebrochen, rausgewunden in die Literaturwissenschaft, und als ich Nägel mit Köpfen machen wollte, was denkt man da?“, fragt er. Man denkt: Lehramt! „Denkt: Da kannst du was machen mit deinem Deutsch und deinen künstlerischen Interessen.“ Aber damals will in Hamburg niemand Deutschlehrer einstellen. Auf absehbare Zeit nicht und danach auch nicht.
Also steigt er ins Antiquariat seines Schwiegervaters Reinhold Pabel ein, in dem er während seines Studiums zusammen mit seiner Frau immer mal wieder gejobbt hat. Macht noch eine Buchhändlerlehre. Führt das Haus seit 1991: das Hauptgeschäft gegenüber vom Michel, ideal für Laufkundschaft, die runter zum Hafen unterwegs ist. Dazu eine Filiale in den ehemaligen Krameramtsstuben, fast nebenan. Mit seiner Frau, dazu zwei Mitarbeiter. Gerade absolviert eine Schülerin ein Praktikum.
Wie ist es überhaupt mit den jungen Leuten? Pankow lächelt: „Manchmal kommen junge Leute rein, unvorbereitet, sie wollen vielleicht nicht drüben in die Kirche gehen, haben sich abgesetzt. Dann rufen sie: ‚Boah, geil, und wie das riecht!‘“ Die kauften jetzt nicht gleich ein altes Buch mit Holzdeckel und Metallbeschlägen, sie kauften manchmal gar nichts. „Aber sie haben eine Urerfahrung gemacht, darauf kommt es an: diese Begegnung zu schaffen.“ Der Antiquar schaut zufrieden.
Seine Kund:innen suchen Erstausgaben oder vergriffene Bücher. Sie interessieren sich für spezielle Editionen, für Sonderdrucke. Stehen vor dem Regal, das ausschließlich mit signierten Büchern bestückt ist. „Eine schöne Ausgabe von Goethes ,Werther‘ wird immer Liebhaber finden, aber eine Werkausgabe von Goethe kauft kaum noch jemand“, sagt Pankow. Enttäuschung gibt es daher für den, der hofft, Pankow könnte ein ererbtes Buch vergolden: „Früher standen die Bücher bei den Leuten, heute sind sie auf dem Markt.“ Der Markt ist entsprechend gesättigt, die Preise also niedrig.
Und als sei es abgesprochen, betreten zwei junge Männer den Laden, regennass und erwartungsvoll: „Wir haben eine alte Bibel!“, sagt einer der beiden stolz. Sie zücken ein Handy, Pankow wischt von Bild zu Bild: „Aha … ah ja … schön, schön“, murmelt er dazu. Dann holt er tief Luft: „Jahrhundertwende. Vielleicht klingt es wunderlich, aber diese Bibel ist nicht so wertvoll, wie man denkt.“ Die Bibel sei damals das Buch der Bücher gewesen und in jedem Haushalt hätte es zwei gegeben: eine kleine für den Alltag, eine große für den Sonntag. „Wenn die hier farbig illustriert wäre, es gibt welche mit Stahlstichen, dann wäre das eine andere Sache“, setzt er hinzu. Also kein Interesse? Pankow schüttelt den Kopf. Also Ebay? Das könnten sie probieren. „Das Leder vom Umschlag ist ein wenig angekratzt, cremen Sie es mit Vaseline ein, dann kann man optisch noch was rausholen. Nicht mit Schuhcreme, dann wird es brüchig“, rät er. Er blickt die beiden lange an: „Wissen Sie, als diese Bibel gedruckt wurde, konnte man ganz leicht und schnell viele Bibeln drucken – sie ist nicht so selten.“ Die beiden bedanken sich, packen ihr Handy wieder weg.
Pankow gibt sich einen Ruck: „Ich zeige mal einen Schatz.“ Er nimmt einen Tritt, stellt sich drauf, reckt sich, holt aus dem obersten Regalfach ein kleines, aber kompaktes Buch: Die „Metamorphosen“. Von Ovid. 600 Euro soll es kosten. „Es ist nicht das schönste Exemplar, aber es hat einen Originaleinband“, sagt er. Er zeigt einen eingefügten Stich, zeigt die Metalldrucke. Eine Ausgabe aus dem Jahr 1610. Und Pankow schaut nach draußen in Richtung des mächtigen Michel, neben dem ein Reisebus parkt: „Ich versuche den Menschen klarzumachen: Dieses Buch ist das Dokument einer vergangenen Zeit und es ist noch da. Als es entstand, waren da drüben noch Wiesen.“
Comics als antiquarisches Kulturgut
Zeitlich nicht ganz so weit zurück geht es bei Werner Knüppel, der sein Antiquariat „Comicladen-Kollektiv“ an der vierspurigen Fruchtallee in Eimsbüttel führt. Sein Spezialgebiet: Comics von ungefähr 1860 bis 1975. Mickey Mouse, die Superhelden, Fix & Foxi, aber auch Werbecomics wie „Lurchis Abenteuer“ über einen Salamander der gleichnamigen Schuhfirma. Oder ganz Spezielles wie „Familie Redlich in der neuen Heimat“, ein Comic-Heft, gedruckt 1956 in Argentinien, damals gedacht als Integrationshilfe für deutsche Einwanderer. Dazu noch Romanhefte, rund 20.000 bis 30.000 Filmprogramme wie den „Film-Kurier“ und Musikzeitschriften: „Wir haben etwa die ,Bravo‘ von 1956 bis hoch in die 1980er-Jahre.“ Wir – das sind er, sein Bruder Joachim und Tochter Laila.
Wie Gottwalt Pankow hat er manchmal seine Mühe mit denen, die ihm etwas verkaufen wollen: „Ich sag am Telefon ‚Nur Comics 1960er- bis 1970er-Jahre‘, dann kommen die, ich sehe gleich: 90er. Und die wieder: ‚Aber das sind doch so schöne Hefte!‘“ Er verdreht die Augen.
Eigentlich ist er Speditionskaufmann, Jahrgang 1957. Aufgewachsen in der Neustadt, Hafenarbeiterviertel. Wo es allein vier bis fünf An- und Verkaufsgeschäfte für Bücher und Hefte gegeben habe. „Ich hatte mit 50 Pfennig pro Woche nicht so viel Taschengeld, dass ich neu kaufen konnte“, erzählt er. Etwa die Hefte der Comicreihe „Illustrierte Klassiker – Die spannendsten Geschichten der Weltliteratur“, die er sehr schätzte und die pro Heft eine Mark kosteten: Die Ilias, Die Nibelungen, Macbeth oder Die Schatzinsel. Erschienen von 1956 bis 1972, am Ende 204 Bände – von denen es nun viele bei ihm zu erwerben gibt.
Das Antiquariat als Treffpunkt
Natalie Banakh kocht erst mal einen Kaffee. Stellt ein Tablett mit Kuchenstücken dazu. Die „Buchhandlung Lutz Heimhalt“ in Fuhlsbüttel, gegründet 1975, ist ein Buchladen, wie es ihn nur noch selten gibt: Die vordere Hälfte bietet Neuerscheinungen, die hintere Hälfte ist Antiquariat. Was so anfangs nicht geplant war: „Doch irgendwann fingen die Kunden an, uns ihrerseits Bücher anzubieten, ich habe erst mal für mich gekauft“, erzählt ihr Mann Lutz Heimhalt. Bis er so viel aufgekauft hatte, dass er nicht mehr wusste, wohin damit. Also verkaufte er sie wieder. Heute landet so manche Bibliothek bei ihnen, wenn ein Haushalt aufgelöst werden muss. „Erst gestern kam ein älteres Paar, das schon lange bei uns Kunde ist. Es muss sich räumlich verkleinern, und sie haben uns mindestens 30 Bildbände einfach so geschenkt“, erzählt seine Frau und muss erst mal den nächsten Kunden bedienen.
Denn es herrscht reger Betrieb: Eine Frau holt ihren bestellten Reiseführer ab, ein Mann sucht nach einem Buchtitel und erzählt von den Nachwirkungen seiner OP, eine andere Frau kommt rein und fragt, ob sie sich einen der Äpfel nehmen kann, die in einer Wanne unter der Kasse liegen: alte Sorten, ungespritzt, aus dem Garten der beiden. Darf sie, na klar. So geht Nachbarschaft.
„Unsere Tür steht offen“, sagt Natalie Banakh, „es kommt auch mal einer und fragt: ‚Können Sie das Buch gebrauchen? Kann ich dafür ein bisschen Geld bekommen? Vielleicht für einen Kaffee?‘“ Ihr Mann ergänzt: „Manche verkaufen schon aus einer gewissen Not heraus.“ Und seien dabei erfinderisch: „Sie kaufen gut erhaltene Bücher bei irgendwelchen Kirchenbasaren für fast nichts und bieten sie dann uns an.“
„Man darf es gar nicht sagen“, fügt er noch an, „aber wir entsorgen heute tatsächlich Bücher im Altpapier.“ Sie stünden dann neben dem Container, nehmen jedes noch mal in die Hand, fragten sich: Kann man es nicht doch behalten? Und er greift sich eines vom Stapel neben sich und sagt: „Es ist schon schön, ein Buch zu besitzen.“