Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) spricht im Interview über Radwegebau in Altona und Billstedt und erklärt, wie er das Fahrrad bei allen beliebt machen will – unabhängig von Einkommen und Bildung.
Hinz&Kunzt: Bald kann man von Altona bis in die Innenstadt fast durchgehend auf Fahrradstraßen und modernen Radwegen fahren. In der Gerichtsstraße wurde sogar das Kopfsteinpflaster asphaltiert. Haben Sie sich für Ihren Weg zur Arbeit eine Fahrradautobahn bauen lassen?
Anjes Tjarks: Nein, das ist die Veloroute 1, die ist lange vor meiner Zeit geplant worden. Den höchsten Radverkehrsanteil in Hamburg gibt es in Altonas Zentrum. Die meisten Menschen fahren von dort in die Innenstadt. Es gibt aber dort noch keinen durchgehenden, sicher befahrbaren Radweg. Nach der Legislaturperiode werden wir zwei davon haben. Wenn ich möchte, dass mehr Menschen Rad fahren, dann muss ich einen sicheren und durchgängigen Radweg von A nach B bauen. Und genau das machen wir hier.
Ich bin als Altonaer voll zufrieden! An vielen Stellen entstehen Radwege, die von der Fahrbahn baulich getrennt sind: auf der Max-Brauer-Allee, in der Louise-Schröder-Straße und in der Königstraße. Vielleicht wäre der Radverkehrsanteil anderswo auch höher, wenn Sie dort mit dem gleichen Engagement an der Infrastruktur arbeiten würden.
In Altona ist jahrelang gar nichts passiert. An der Max-Brauer-Allee gibt es zum Beispiel eine sehr große Schule, aber keinen Radweg und eine gemischte Verkehrsführung bei Tempo 50. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Wir bauen aber in der ganzen Stadt Radwege, und das ist mir auch sehr wichtig. Drei Viertel der Radwege entstehen außerhalb des Rings 2. Das merkt man dort nur nicht so schnell, weil Hamburg flächenmäßig nicht klein ist.
Mein Kollege aus Billstedt beklagt sich über die schlechte Infrastruktur in seinem Stadtteil und schimpft, dort würden keine neuen Wege für Radfahrende gebaut.
Das ist falsch, die Billstedter Hauptstraße soll neu gemacht werden. Das erste Teilstück, die Reclamstraße, ist bereits umgesetzt worden mit 2,25 Meter breiten Radfahrstreifen.
Aber von der Priorität, die Sie Altona derzeit einräumen, kann man in Billstedt nur träumen. Sie wollen, dass bis 2030 jeder dritte Weg in Hamburg mit dem Rad zurückgelegt wird. Ein Drittel der Menschen in Hamburg mit niedrigem Einkommen hat gar kein Fahrrad. Fast die Hälfte der ärmeren Menschen fährt seltener als ein Mal im Monat mit dem Rad. Da schlummert doch ein großes Potenzial.
Ja, das sehe ich auch so. Deshalb brauchen wir sichere und durchgehende Fahrradwege überall in der Stadt. Beim Ausbau der Radinfrastruktur gibt es keine Differenzierung nach begüterten oder weniger begüterten Stadtteilen. Ein anderes Beispiel: Aktuell beschäftigen wir uns mit der Planung der Rodigallee nach Jenfeld, da wird es dann auch einen Radweg geben.
Und trotzdem ist die Verkehrswende ungleich verteilt. Wissenschaftler:innen haben erforscht, dass vor allem Menschen mit hohem Bildungsstand immer mehr Fahrrad fahren. Wieso gelingt es Ihnen nicht, alle Menschen gleichermaßen von der Verkehrswende zu überzeugen?
Ich würde den Spieß einmal umdrehen. Das Fahrrad ist das Verkehrsmittel, das den meisten Hamburger Haushalten zur Verfügung steht, nämlich 80 Prozent. Das ist sehr, sehr gut. Deswegen würde ich eher gucken, was Menschen generell vom Fahrradfahren abhält.
Und das ist?
Es gibt eine geringe Zahl von Menschen, die wollen nicht Rad fahren. Das ist auch eine legitime Haltung. Von den anderen fühlt sich die eine Hälfte auf den Radwegen sicher, die andere nicht. Ich bin sicher, dass die Frage der Infrastruktur hier zentral ist. Und es ist ein Kopfthema: Mobilität hat ganz viel mit Routine zu tun. Wenn man es nicht gelernt hat, seine Wege mit dem Rad zurückzulegen, ist es nicht naheliegend. Wir wollen ein Angebot schaffen, das Rad fahren schnell, bequem und erlebbar für alle Menschen macht.
Wie genau wollen Sie mehr Menschen vom Rad fahren überzeugen?
Ich glaube ganz fest daran, dass wir viel über die Schulen erreichen werden. Das fängt an bei der Fahrradprüfung in der Grundschule und dem Fahren zur weiterführenden Schule. Wir müssen die Wege zu den Schulen noch sicherer machen. In der nächsten Legislaturperiode werden wir deswegen ein umfassendes Schulradwegnetz zwischen den Velorouten angehen. Und man muss die Mobilität, die man sich wünscht, auch ein bisschen vorleben. Deshalb ist es wichtig, dass beispielsweise ein Verkehrssenator, aber auch die Eltern Bus, Bahn und Fahrrad fahren.
Ich hätte Zweifel, ob das alle überzeugt. Das Auto ist für weniger gebildete Menschen auch weiterhin oft als Statussymbol gefragt, sagen Soziolog:innen. Wer studiert hat, muss sich hingegen wenig Sorgen machen, auf dem Fahrrad als armer Schlucker wahrgenommen zu werden.
Es ist eher umgekehrt: Das Autofahren nimmt mit zunehmender Schichtzugehörigkeit zu, was auch daran liegt, dass es mit Abstand das teuerste Verkehrsmittel ist. Wir müssen das Fahrrad als das Alltagsverkehrsmittel für alle etablieren. Man kann Dinge ja auch anders aufladen. Da sind die Holländerinnen und Holländer ganz angenehm, die fahren alle mit ihren Hollandfahrrädern durch die Gegend, die sind alle ein bisschen klapprig, aber sehr bequem. Und der Ministerpräsident tut das auch. Das macht natürlich etwas, wenn die Obersten im Staat mit dem Fahrrad fahren. Das ist ein wichtiges Statement, das das Fahrrad als Statussymbol aufwertet.
Sie sagen, dass Verkehrspolitik immer auch Sozialpolitik ist. Das heißt ja, es geht auch um Geld und Verteilungsfragen. Vor einigen Jahren hat die grüne Umweltbehörde die Anschaffung von E-Lastenrädern mit bis zu 2000 Euro gefördert, für Lastenräder ohne Motor bekam man immerhin 500 Euro. Das Geld gab es einkommensunabhängig – es war ein Besserverdienenden-Förderprogramm.
Das kann man so sehen, aber ich finde es schwierig, diesen Zusammenhang herzustellen – vor dem Hintergrund, dass es viele und viel teurere Kaufprämien für Autos gibt. Die Förderung von E-Autos ist zwar richtig, weil wir sonst die Antriebswende nicht schaffen. Aber das ist ein Programm, das Leute fördert, die Autos kaufen wollen und können. Da fallen die wenigen Millionen Euro für Lastenfahrräder kaum ins Gewicht.
Hätten Sie denn eine Idee, wie Sie Lastenfahrräder bei weniger gut verdienenden Menschen beliebter machen könnten?
Wir haben angefangen, Lastenfahrräder über das StadtRad auszugeben, da können Sie sich eins ausleihen, wenn Sie mal eins brauchen. Ein Lastenfahrrad ist zwar was Tolles, ich selbst habe aber noch nie eins benötigt, weil Sie dieselben Zwecke auch für weniger Geld erreichen können, zum Beispiel mit einem Fahrradanhänger. Man muss keine 5000 Euro dafür ausgeben.
Die Legislaturperiode neigt sich langsam dem Ende zu, im kommenden Jahr sind Bürgerschaftswahlen. Sie hatten im Koalitionsvertrag 145 neue StadtRad-Stationen versprochen, bis Ende 2023 sind aber nur 55 hinzugekommen. Osdorfer Born oder Steilshoop sind nach wie vor weiße Flecken auf der Karte. Schaffen Sie die fehlenden 90 noch?
Wir haben StadtRad in ganz vielen sozial nicht so starken Stadtteilen, in Jenfeld beispielsweise. Mit dem Stationsausbau wollten wir schneller sein, aber wir hatten während der Coronapandemie zurückgehende Ausleihzahlen und Probleme mit Vandalismus. Deshalb haben wir jetzt eine neue Initiative gestartet und werden alle Räder mit neuen Schlössern ausstatten. Damit können wir viel schneller Stationen aufbauen und den Ausleihprozess für die Kunden stark vereinfachen.
Osdorfer Born und Steilshoop bekommen also ihre Stationen?
Ja, unser Ziel ist es weiterhin, diese Stationen zu bauen.
Versprochen waren auch jährlich 60 bis 80 Kilometer neu gebaute oder sanierte Radwege. Das haben Sie nur im ersten Jahr geschafft, 2023 waren es 57 Kilometer. Da ist noch Luft nach oben.
Wir haben den Radwegausbau deutlich beschleunigt – in den letzten vier Jahren wurden rund 230 Kilometer Radinfrastruktur neu gebaut oder saniert. Es ist doch so: Wenn man keine ambitionierte Zielzahl vorgibt, kommt man auch nirgendwo an. Ich habe die begründete Hoffnung, dass wir in diesem Jahr noch ein bisschen mehr hinbekommen. Der entscheidende Punkt ist aber, dass wir es dauerhaft durchhalten, mehr Radwege zu bauen. Es gibt nach wie vor einfach unfassbar viel zu tun.
Vielen Dank für das Gespräch!