Amt im Umbruch

Die neue Arbeitsagentur verspricht mehr Service für Jobsuchende

(aus Hinz&Kunzt 136/Juni 2004)

Neuerdings heißt das Arbeitsamt „Agentur“, der Berater „Fallmanager“ und der Arbeitslose „Kunde“. Doch was bedeutet das eigentlich, und was hat sich geändert in der umstrittenen Behörde?

Als Hans Blank (Name geändert, Red.) im Mai vergangenen Jahres die Kündigung einreicht, glaubt er fest daran, seine Arbeitslosigkeit werde nur von kurzer Dauer sein. Der Enddreißiger hat Druckvorlagenhersteller gelernt, sich zum Fachmann für elektronisches Publizieren fortgebildet und zuletzt als Webdesigner gearbeitet. Zum Zeitpunkt der Kündigung heißt er in seiner Agentur Teamleiter, CD-Art für On-line-Fragen und Ausbilder. Dass er seinen Job aufgibt, hat mit großer innerer Not zu tun: Das Klima im Unternehmen sei vergiftet gewesen, die Chefs hätten ihn rausgemobbt. „Ich wusste, dass der Arbeitsmarkt schwierig ist“, sagt Blank ein Jahr später. „Aber ich dachte, über kurz oder lang findet sich was.“

Seine Beraterin von der Arbeitsagentur denkt das offenbar auch. Erst sieben Monate nach der Kündigung kommen die beiden erstmals ins Gespräch, erzählt der Arbeitslose. Dass Blank nicht früher den Kontakt sucht, hat seinen Grund: Er ist „genervt“, weil das Amt ihm drei Monate lang die Hilfe sperrt – wegen „selbst verschuldeter Arbeitslosigkeit“. Zudem glaubt er, mit seinen Qualifikationen selbst einen neuen Job finden zu können. Doch dann ruft er sie doch an, weil er sich nach vielen erfolglosen Bewerbungen „langsam ratlos“ fühlt. Er bittet um einen Beratungstermin. Darauf folgt laut Blank folgender Dialog: „Was machen Sie denn derzeit?“ – „Ich bewerbe mich.“ – „Und? Fruchtet das was?“ – „Nein.“ – „Na, dann machen Sie mal weiter…“ Frustriert denkt der Arbeitslose: „Die hat keinen Bock auf mich!“

Hans Blank gilt bei der Arbeitsagentur als klassischer „Marktkunde“: So heißen neuerdings diejenigen unter den Hilfeempfängern, die sich tatsächlich oder vermeintlich selbst einen Job suchen können, etwa mit Hilfe der Internet-Plattform „arbeitsagentur.de“. Um die anderen, die „Betreuungskunden“ kümmert sich Vermittlerin Susanne Breitenbach (Name geändert, Red.). Die 41-Jährige gehört zu einem jener Teams der Arbeitsagentur, die sich mit relativ guter personeller Ausstattung darum bemühen, relativ schwierige Menschen in Beschäftigung zu bringen. Breitenbach berät junge Erwachsene bis 25 Jahre, die keine Berufsausbildung haben und mitunter nicht mal einen Schulabschluss. Für 300 dieser jungen Menschen, die oft einen Berg von Problemen mit sich rumschleppen, ist sie zuständig – der „normale“ Vermittler muss sich um 800 Arbeitslose kümmern. Breitenbachs Vorgabe lautet: Jeden der ihr Anvertrauten soll sie alle vier Wochen persönlich beraten, „einmal im Monat gewendet haben“, wie sie es ausdrückt. „Das ist irrsinnig“, sagt sie, „das kann ich nicht schaffen, wenn ich vernünftig mit den Menschen sprechen will.“ Im Normalfall vermittelt sie die Arbeitslosen nicht in einen Job, sondern in eine der zahlreichen Trainingsmaßnahmen der Arbeitsagentur. Über Begriffe wie „pass-genaue Vermittlung“, die neuerdings gerne von den PR-Experten der Bundesagentur für Arbeit verbreitet werden, kann sie deshalb nur lächeln: „Ich bin froh, wenn ich überhaupt eine Stelle finde.“

Rolf Steil weiß, dass er und seine Mitarbeiter keine Arbeitsplätze schaffen können. „Leider“, sagt der Chef der Hamburger Agentur für Arbeit. Gut 86.000 arbeitslose Hamburger erfasste sein Amt im April, genauso viele wie vor fünf Jahren, trotz Schröder und Hartz, Ich-AG und Personal-Service-Agenturen, „MoZarT“ und „Arbeitsamt 2000“. So bleibt dem Behörden-Leiter nichts anderes, als sich jenen anzudienen, die Jobs anbieten: den Unternehmen. Das sind die echten Kunden, sagt Steil und verweist auf den Firmen-Service seiner Agentur, mit Hotline-Nummer und garantiertem Rückruf innerhalb von 24 Stunden. Für die Arbeitslosen wurden die Öffnungszeiten erweitert und die Wartezeiten verkürzt: Wer seinen Vermittler sprechen will, bekommt einen Termin. „Das ist für beide Seiten angenehmer, weil jeder sich vorbereiten kann.“ Im kommenden Jahr, wenn seine Behörde die Einführung des neuen Arbeitslosengeldes II bewältigt hat, soll endlich auch das „Kundenzentrum der Zukunft“ Wirklichkeit werden, das mehr Service für die Jobsuchenden verspricht.

Elemente davon sind in dem für den Hilfeempfänger Blank zuständigen Amt schon verwirklicht: An einem Tresen begrüßen freundliche Mitarbeiter der Arbeitsagentur den Besucher und befragen ihn nach seinem Anliegen. Gut daran ist, so der Arbeitslose, „dass man nicht wegen jedem Scheiß eine Stunde warten muss“. Doch hat der neue Service aus Blanks Sicht auch einen Haken: Da sich die Wartezone direkt neben dem Tresen befindet und er dort auch nach familiären Verhältnissen und Ersparnissen befragt wird, gibt es „keine Privatsphäre mehr“. Und wenn er seine Beraterin dringend und ohne Terminvereinbarung sprechen will, „muss ich schon vehement insistieren“.

Zuletzt hat Blank das vor vier Wochen gemacht. Da hat er sie nicht zum ersten Mal nach den Möglichkeiten einer Fortbildung gefragt. Und mal wieder habe sie geantwortet, sie sei „eine Gegnerin von allgemeinen Weiterbildungen“. Viel besser seien solche, die einen Arbeitslosen für eine konkrete Stelle qualifizieren würden. „Dann nennt sie als Beispiel immer den Gabelstapler-Führerschein“, berichtet Blank, den das nervt, denn: „Das passt nicht zu den Agenturen, bei denen ich arbeiten könnte.“ Seine Schlussfolgerung: „Die Frau ist bemüht, aber völlig ohnmächtig, weil sie fachlich überhaupt keine Ahnung hat.“ Und wenn er sich selbst schlau macht über Kurse, in denen er beispielsweise neue Programmiersprachen erlernen könnte, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, kommt er zu einem ernüchternden Ergebnis: „Es gibt kein Angebot, das von der Arbeitsagentur bezahlt wird.“

Dass die Gelder für Weiterbildung gekürzt worden seien, bestreitet der Chef der Hamburger Arbeitsagentur: „Sie werden zielgerichteter in kürzere Maßnahmen investiert“, formuliert Rolf Steil. Seine Behörde denke neuerdings „vom Ende nach vorne“: 77.000 Integrationen in die Arbeitswelt, geförderte und ungeförderte, das ist die Vorgabe für das laufende Jahr. Zu ersteren zählen Eingliederungszuschüsse an Arbeitgeber und Umschulungen, zu letzteren Arbeitslose, die mit Hilfe der Stellenbörsen der Arbeitsagentur einen Job finden oder sich für den Weg in die ungeförderte Selbstständigkeit entscheiden. Eine Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt haben im April 5844 Hilfeempfänger gefunden. 731 Mal sei die Arbeitsagentur an der Besetzung einer Stelle beteiligt gewesen.

Ob ein Job-Angebot seriös ist, kann sie nicht prüfen, sagt Vermittlerin Breitenbach, dazu fehlt einfach die Zeit. Manch einer ihrer Schäfchen kam schon ins Büro und erzählte ihr freudestrahlend: „Ich hab Arbeit gefunden!“ Doch bei näherer Betrachtung entpuppte sich der vermeintliche Anstellungsvertrag als Aushilfsvereinbarung ohne Kündigungsschutz und mit miserabler Bezahlung. „Moderne Tagelöhner“, sagt die Beraterin.

Gott sei Dank gebe es die Zeitarbeitsfirmen, die böten wenigstens gewissen Schutz. 6 Euro und ein paar Zerquetschte verdienen ihre Schützlinge dort, wenn sie beispielsweise als Lagerarbeiter im Hafen beschäftigt sind, so lange es Arbeit gibt. Da kommt die Vermittlerin, selbst nur auf Zeit angestellt mit einem Drei-Jahres-Vertrag, manchmal ins Grübeln und fragt sich: „Wo sind die politischen Konzepte, um Arbeitsplätze zu schaffen, jenseits der Parole: ,Der erste Arbeitsmarkt wird’s schon richten‘?“

Der Erwerbslose Blank bekommt bis Juni noch Arbeitslosengeld, 1300 Euro, weil er in der Internet-Agentur so gut verdient hat. Dann wird er von deutlich weniger Unterstützung leben müssen. Mit jedem Monat Arbeitslosigkeit werden seine Chancen auf eine Einstellung sinken, statistisch gesehen jedenfalls. Blank weiß das, längst hat „die Angst vor dem sozialen Abstieg“ Besitz von ihm ergriffen. Nach wie vor weist er der Arbeitsagentur auf einem Formblatt nach, dass er jede Woche mindestens drei Bewerbungsinitiativen startet. Die Spalte 150 hat er inzwischen erreicht.

Ulrich Jonas

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