Ambulanz am Ende

Die CDU-Bundestagsfraktion verhindert die kontrollierte Heroinabgabe an Abhängige

(aus Hinz&Kunzt 167/Januar 2007)

Der bundesweite Versuch, Schwerstabhängigen Heroin unter ärztlicher Aufsicht zu geben, wurde erfolgreich abgeschlossen. Die Zulassung als Arzneimittel schien nur noch eine Frage der Zeit – jetzt spricht sich die Bundestagsfraktion der CDU gegen eine Zulassung aus. In Hamburg ist diese Entscheidung auch im CDU-Senat umstritten.

Frank Jerke hat eine besondere Vereinbarung mit seinem Arbeitgeber. Jeden Morgen darf der

46-Jährige eine halbe Stunde später erscheinen. Denn bevor der gelernte Schiffstechniker seinen Dienst auf der Cap San Diego antritt, muss er sich Heroin spritzen. Und die Heroinambulanz am Högerdamm öffnet nicht früh genug.

Bekäme er nicht jeden Morgen Heroin, in wenigen Stunden hätte er schwere Entzugserscheinungen. Seit 16 Jahren ist er abhängig. „Ich habe spät angefangen, aus Neugier“, erklärt er. Damals hatte er gemeinsam mit einem Freund eine kleine Firma, in der er Segelboote reparierte. Mit der Firma lief es aber schon nicht mehr so gut, als er das erste Mal Heroin rauchte. Mit 40 begann er, Heroin auch zu spritzen. Er verlor Job, Wohnung – fand sich auf der Straße wieder, als Teil der offenen Drogenszene: „Dein Leben ändert sich durch die Sucht komplett. Du wachst ja schon mit dem Gedanken auf: Woher krieg ich bloß wieder was?“

Es ist 19 Uhr, Frank Jerke sitzt zum zweiten Mal an diesem Tag an einem der Tische im Warteraum der Heroinambulanz. Alle paar Minuten springt mit einem Piepen die Nummernanzeige weiter, der nächste Süchtige darf in den Behandlungsraum.

Frank Jerke ist kräftig, niemand würde in ihm einen Junkie vermuten. Vor drei Jahren sah er noch anders aus: „Da war ich viel dünner, hatte überall Abszesse vom Spritzen.“ Seither hat er sein Leben in den Griff gekriegt: Seine Schulden ist er zwar bisher nicht ganz los geworden, aber er hat viel zurück gezahlt, und nicht mehr bei jedem Klingeln Angst, dass ein Geldeintreiber vor der Tür steht. Längst hat er eine Wohnung, geht jeden Tag zur Arbeit, setzt sich dann abends vor den Fernseher – zwischen den beiden täglichen Besuchen in der Heroinambulanz führt Frank Jerke ein erstaunlich beschauliches Leben.

Ein Erfolg der Heroinvergabe. Bisher war die Heroinambulanz am Högerdamm ein medizinischer Versuch. 460 Schwerstabhängige bekamen hier seit 2002 Heroin ohne gesundheitsschädliche Verunreinigungen und unter ärztlicher Aufsicht. Eine Kontrollgruppe bekam statt Heroin den Ersatzstoff Methadon. Auch der verhindert Entzugserscheinungen. Ein Versuch mit einem vorhersehbaren Ausgang: In der Schweiz wird den Abhängigen längst Heroin gegeben, statt die Entzugserscheinungen mit einem Ersatzstoff zu mindern.

Denn die Ersatzstoffe helfen nur gegen gegen den physischen Entzug – die psychische Abhängigkeit, die Suche nach dem „Kick“ durch Drogen, bleibt bestehen. Viele Abhängige konsumieren deswegen neben dem Methadon noch andere Drogen.

Auch in Deutschland verlief der Versuch erfolgreich: Nur ein Drittel der Patienten brach die Therapie ab – deutlich weniger als die Methadon-Konsumenten. Bei 80 Prozent der Teilnehmer verbesserte sich der Gesundheitszustand.

Neben den Wissenschaftlern waren auch die meisten Politiker vom Ergebnis überzeugt. Umso überraschender kam eine Pressemitteilung der Drogenbeauftragten der CDU/CSU-Fraktion, Maria Eichhorn. „Eine grundsätzliche Fortführung und damit eine Zulassung von Diamorphin als Arzneimittel wird es mit der Unionsfraktion nicht geben“, stand da.

Ein Schritt, den in Hamburg keine Bürgerschaftspartei unterstützt. Sozialsenatorin Schnieber-Jastram (CDU) „bedauert“ die Entscheidung ihrer Partei, die Opposition fand härtere Worte: „Statt pragmatischer Hilfe für Schwerstabhängige hat sich auf Drängen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine überholte Ideologie durchgesetzt, die die Heroinabhängigen sich selbst überlässt“, so Martin Schäfer, drogenpolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion. Etwas Ideologie räumt Eichhorn bei der Entscheidung ein: „Die Zulassung von Diamorphin würde die Enttabuisierung und Aufwertung einer harten Droge bedeuten“, sagt sie. Der Erfolg sei nicht groß genug, um so einen Schritt zu rechtfertigen. Außerdem sei die Heroinvergabe deutlich teurer als die

Methadonsubstitution.

Für Frank Jerke ist die Substitution keine echte Alternative. Er hat vier Entgiftungen hinter sich, jedes mal wurde er wieder rückfällig. Auch eine Substitution hat er mitgemacht – ohne Erfolg: „Ich habe nebenher immer Crack geraucht.“ Für den Beikonsum der „Steine“ neben dem Methadon gab Frank Jerke bis zu 100 Euro am Tag aus. „Ich war trotzdem noch in der Drogenszene, ob mit oder ohne Methadon, mein Leben drehte sich immer noch darum, irgendwie an Drogen zu kommen.“

Unklar ist, wie lange zumindest die Abhängigen, die bereits in Behandlung sind, weiter Heroin bekommen. Eine letzte Hoffnung haben die Befürworter der Heroinvergabe noch: Durch eine Bundesratsinitiative könnte eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes in Sachen Heroin doch noch herbeigeführt werden.

Marc-André Rüssau

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