Seattle :
Amazon baut Obdachlosenunterkunft

Mitten in Downtown-Seattle baut Amazon eine Obdachlosenunterkunft. Foto: Mitch Pittman/Amazon

Mitten auf dem firmeneigenen „Campus“ baut der Versandhändler Amazon eine Unterkunft für obdachlose Familien. Schon in den nächsten Monaten soll das Gebäude eröffnen und dann Platz für bis zu 275 Menschen bieten. Kritiker*innen sehen Amazon aber auch als Verursacher von Obdachlosigkeit.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Einzelzimmer, Räume für Familien, die auch Tiere mitbringen können und eine Großküche, in der 600.000 Mahlzeiten im Jahr hergestellt werden sollen – mitten in Downtown-Seattle. All das soll die neue Vorzeigeunterkunft für Obdachlose bieten, die Amazon momentan hochzieht und die noch im Frühjahr eröffnen soll. Der Standort ist nicht zufällig gewählt. In Seattle gründete CEO Jeff Bezos 1994 das heutige Weltunternehmen. Bis heute liegt dort der Firmensitz.

Auf acht Stockwerken und insgesamt knapp 6000 Quadratmetern soll Obdachlosen dort ein Rückzugsort geboten werden. Neben den Schlafräumen plant der Konzern eine Dachterrasse, kostenlose Rechtshilfe, einen großen Essenssaal, ärztliche Versorgung, Waschräume, einen interreligiösen Gebetsraum und auch einen Ort zum Hunde duschen, wie Amazon auf seinem Blog bekannt gibt. Betrieben wird die Unterkunft von der lokalen Non-Profit Organisation Mary’s Place.

Amazon Vizepräsident John Schoettler: „Wir haben unsere Zentrale bewusst mitten in Seattle angesiedelt. Damit verfolgen wir einen inklusiven Ansatz und richten unseren Fokus auf unsere Nachbarn. Ob mit oder ohne Haus. Wir sind alle Nachbarn. Wir leben alle gemeinsam in dieser Stadt.“ Ziel ist laut Amazon und Mary’s Place, dass die Bewohner*innen über die Unterkunft zurück in ein festes Wohnverhältnis finden.

Amazon als Miettreiber

Doch der Amazon Campus in Seattle hat auch eine Kehrseite. Das Versandhaus aber auch Microsoft und viele Tech-Startups locken Mitarbeiter*innen in die Stadt. Das sorgt für steigende Mieten. Bis 2010 befanden die sich noch auf Niveau des US-Durchschnitts. Seit Amazon mit seiner neuen Zentrale in der Innenstadt präsent ist, sind sie in sieben Jahren um 41,7 Prozent gestiegen, im US-weiten Mittel dagegen lediglich um 17,6 Prozent. Das berichtet etwa das Branchenportal Builder.

In genau diesem Effekt sehen Kritiker*innen eine Ursache für Obdachlosigkeit. Und tatsächlich: Die Obdachlosenzahlen im King County, das im Zentrum der Metropolregion Seattle liegt, stiegen in den vergangenen Jahren parallel zu den steigenden Mieten. 2018 waren von gut zwei Millionen Einwohner*innen mehr als 12.000 obdachlos. Zum Vergleich: In Hamburg wurden 2018 knapp 2.000 Obdachlose gezählt.  Die Mieten in Seattle sind mittlerweile so hoch, dass sich selbst viele Menschen mit Job keine Wohnung mehr leisten können und teilweise in ihren Autos leben.

Zu den Kritiker*innen von Amazon gehört auch das Seattler Straßenmagazin „Real Change“, das wie auch Hinz&Kunzt zum International Network of Street Papers (insp) gehört. In der Vergangenheit haben die auch über Arbeitsbedingungen und Löhne bei Amazon berichtet. Eine Redakteurin sagt gegenüber Hinz&Kunzt: „Viele von uns Seattlern sind der Meinung: Bezos und sein Unternehmen würden mehr Geld für die Bekämpfung der Obdachlosigkeit bereitstellen, wenn sie statt ihrer Großspenden die Steuern zahlten, die die Stadtverwaltung vorgesehen hat.“

2018 wollte Seattle nämlich noch selbst verstärkt gegen Obdachlosigkeit vorgehen, und zwar mit Hilfe einer Zusatzsteuer für Großkonzerne. Nach nur einem Monat wurde diese Steuer aber schon wieder abgeschafft – vor allem weil Amazon Druck dagegen machte.

Autor:in
Lukas Gilbert
Lukas Gilbert
Seit 2019 bei Hinz&Kunzt. Zunächst als Volontär, seit September 2021 als Redakteur.

Weitere Artikel zum Thema