Altes Land

Wie Obstbauern mit dem Klimawandel kämpfen

Setzt zunehmend auf den Anbau von Pfirsichen: Obstbauer Claus Schliecker. Foto: Dmitrij Leltschuk
Setzt zunehmend auf den Anbau von Pfirsichen: Obstbauer Claus Schliecker. Foto: Dmitrij Leltschuk
Setzt zunehmend auf den Anbau von Pfirsichen: Obstbauer Claus Schliecker. Foto: Dmitrij Leltschuk

Der eine setzt auf Südfrüchte und neue Sorten, der andere denkt ans Aufgeben: So begegnen Obstbauern im Alten Land dem Klimawandel.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Wenn Claus Schliecker erklären soll, was der Klimawandel für ihn bedeutet, sagt er: „Ich hol ihn mal aus dem Kühlschrank.“ Dann steigt der 55-Jährige auf den Gabelstapler, fährt ins Kühlhaus in seiner Scheune und kommt mit einer beladenen Palette auf den Greifarmen wieder. In den Kisten liegen leuchtend rote Pfirsiche. Die – davon ist der Obstbauer überzeugt – können mit jedem Artgenossen aus Italien, Spanien oder Griechenland konkurrieren: „Wir können unsere Früchte viel besser ausreifen lassen. Das schmeckt man einfach.“

Claus Schliecker ist der typische Obstbauer aus dem Alten Land. Seit 1745 liegt der Betrieb in Familienhand. Ehefrau Sabine kümmert sich um die Buchhaltung, die Söhne Johann, 21, und Friedrich, 18, wollen die Tradition gerne fortführen. „Das ist kein Muss“, betont der Vater. Schon seine Eltern hätten ihm die Freiheit gelassen, sich für einen anderen Beruf zu entscheiden. Doch Schliecker ist Obstbauer aus Leidenschaft. In seiner knapp bemessenen Freizeit engagiert er sich im Ehrenamt als Vorsitzender der niedersächsischen Obstbauern. So will er der Landwirtschaft möglichst viel Gehör bei Politik und Medien verschaffen.

„Die Blüte begann so früh wie nie.“

Claus Schliecker

Schliecker ist kein Leugner des Klimawandels, wie könnte er das auch sein: Weil es keine richtigen Winter mehr gibt, berichtet er, startet die Vegetationsphase auch bei seinen Obstbäumen immer früher. „Dieses Jahr begann die Blüte so früh wie noch nie: Anfang April.“ Was für Stadtmenschen nicht schlimm klingt, kann für den Obstbauern zur Katastrophe werden: Nachtfröste drohen die Blüten zu zerstören. Hinzu kommen immer häufiger Starkregen, Hagel und Hitzeperioden im Sommer.

Welche Folgen das hat, lässt sich nur wenige Hundert Meter weiter auf den Plantagen von Claus Blohm sehen: Auch dieses Jahr wird der Biobauer wieder viele seiner Äpfel aussortieren müssen, zum Beispiel wegen Sonnenbrand. „Wir haben 30 Prozent Ernteverluste durch den Klimawandel“, sagt der 66-Jährige. „Wir können uns nicht wehren.“

Bis vor sieben Jahren hat Blohm auch Kirschen angebaut. Als „garantiert madenfrei!“ habe er früher seine Früchte bewerben können, wegen des norddeutschen Klimas. Dann stiegen die Temperaturen und Kirschfruchtfliege und Kirschessigfliege kamen. Er habe lange nicht glauben können, dass es kein natürliches Mittel gegen diese Insekten gibt. 2017 habe es ein letztes Gespräch mit Fachleuten gegeben. „Die haben mir gesagt: ,Claus, du hast keine Chance!‘“

Also hat Blohm seine Kirschbäume gerodet und Apfelbäume gepflanzt, neue Sorten, die resistent sein sollen gegen den Schorfpilz oder besonders für Allergiker:innen geeignet. Doch Blohm sieht sich im Nachteil. Er verdiene zu wenig Geld, um in die Zukunft zu investieren: „Hagelnetze zum Beispiel kann ich mir einfach nicht leisten, weil ich als Biobauer ohnehin schon 30 bis 40 Prozent weniger Ernteerträge habe als konventionelle Bauern.“

Verdient zu wenig Geld, um seine Plantagen wirksam zu schützen: Biobauer Claus Blohm. Foto: Dmitrij Leltschuk
Verdient zu wenig Geld, um seine Plantagen wirksam zu schützen: Biobauer Claus Blohm. Foto: Dmitrij Leltschuk

Stattdessen treibt der Klimawandel seine Kosten in die Höhe. Vergangenes Jahr habe er 380 Tonnen Äpfel „über die Klappe geschmissen“, also für die Vermostung aussortieren müssen: Der Schorfpilz hatte zugeschlagen. Er führt zu zahlreichen braunschwarzen Flecken auf den Früchten – und damit zu Ernteausfällen. Der Bauer könnte seine Bäume zum Schutz mit einem Biomittel bespritzen – doch das sei teuer und arbeitsintensiv.

Auch Claus Blohm blickt auf eine lange Familiengeschichte zurück: 1660 sei der Name erstmals in Kirchenbüchern erwähnt worden, also vor gut 350 Jahren. Nun fürchtet der Biobauer das baldige Ende: „Ich bin der Letzte und mache das Licht aus.“ Seine beiden Kinder haben sich gegen die Fortsetzung der Tradition entschieden, erzählt er mit Bedauern in der Stimme. Angesichts der miesen Ernten hätten sie schon vor Jahren gesagt: „Lass mal, Papa.“

Der Klimawandel verschärft ein strukturelles Problem: Obstbäuerinnen und Obstbauern bekommen nur einen geringen Teil des Geldes, das an der Supermarktkasse dafür fließt. Ein Kilo seiner Äpfel werde für 3,50 bis 4 Euro verkauft, sagt Biobauer Blohm. „Ich verdiene daran am Ende rund 50 Cent.“ Für einen Direktverkauf seiner Früchte fehlt ihm das Personal. Klar, sagt er, er könnte ebenfalls Pfirsiche oder Aprikosen anbauen wie sein konventioneller Kollege Schliecker. Doch wer soll sich künftig um die Plantagen kümmern? „Wenn die Bäume groß sind, bin ich scheintot“, sagt Blohm.

Claus Schliecker bekommt in guten Jahren immerhin 65 Cent pro Kilo Äpfel raus, „in schlechten sind es unter 50 Cent“. Trotzdem hat er einen Teil seiner Plantagen mit Hagelschutznetzen ausgerüstet, Kosten rund 40.000 Euro pro Hektar. Seine Kirschbäume schützt er mit Folien vor Regen, „auch das ist sehr teuer, aber der Erfolg gibt uns recht“. Anders als Biobauer Blohm kann Schliecker immerhin rund die Hälfte seiner Pfirsiche und Aprikosen direkt verkaufen – und hat so mehr Einkommen.

Auch Schliecker fordert, die regionale Landwirtschaft müsse stärker unterstützt werden. Vor allem Dumping-Konkurrenz aus Südeuropa macht ihm zu schaffen. Bei ihm kostet das Kilo Pfirsiche ab Hof 4,50 Euro, die Aprikosen 6 Euro. „Im Supermarkt werden Pfirsiche derzeit für 1,49 Euro das Kilo angeboten, Aprikosen für 2,90 Euro.“ Der Unterschied: „Wir haben ganz andere Umwelt- und Sozialstandards.“

Schliecker beschäftigt in den Erntezeiten zwischen 12 und 15 Aushilfskräfte. Meist kommen die aus Polen, Rumänien oder Bulgarien und bleiben für sechs Wochen. Dass seine Leute Mindestlohn (derzeit 12,41 Euro die Stunde) verdienen, findet der Obstbauer selbstverständlich. „Ich würde ihnen gerne auch mehr zahlen.“ Dafür allerdings, meint Schliecker, müsse der Lebensmittelhandel seine Spielregeln ändern. Und zum Beispiel erst dann die Grenzen für Obst aus anderen Ländern öffnen, wenn die heimischen Produkte verkauft sind, so wie es anderswo üblich sei: „Gehen Sie mal in einen italienischen Supermarkt. Da finden Sie keine deutschen Äpfel oder Kirschen!“

Wenn es um den Klimawandel geht, spricht der Obstbauer lieber über die Gesellschaft als über die Politik. Veränderung müsse bei jeder und jedem Einzelnen beginnen, meint Schliecker, mit Fragen wie: „Wie viele Autos brauchen wir als Familie? Und muss die Heizung im Winter auf 22 Grad stehen oder reichen auch 20?“ Auch im Supermarkt lasse sich viel bewirken: „Bei Himbeeren aus Marokko bekomme ich Gänsehaut. Da gibt es fast kein Wasser, und der Mindestlohn in der Landwirtschaft liegt bei 7,50 Euro am Tag. Wer so etwas kauft, befeuert also nicht nur den weltweiten Klimawandel.“

Claus Schliecker glaubt dennoch an die Zukunft. Mit dem Anbau des Steinobstes habe er seinen Betrieb breit aufgestellt. Und in die Zucht neuer, zukunftsträchtiger Sorten investiere er wie viele seiner Kolleg:innen schon lange. Eine neue Sorte speziell für eine große Supermarktkette komme im September in die Obstregale. Ihr Name: Aldiamo.

Wie die derzeit noch 500 Betriebe im Alten Land ihre Bäume bestmöglich gegen Wetterereignisse und Schädlinge schützen können, erforschen Wissenschaftler:innen im Esteburg Obstbauzentrum Jork. „Der Klimawandel richtet definitiv großen Schaden an“, sagt dessen Leiter Karsten Klopp. Die Herausforderungen veranschaulicht er am Beispiel der Foliendächer: Die schützen die Plantagen zwar wirksam vor Regen, Hagel und Sonnenbrand. Doch schaffen sie gleichzeitig auch ein neues Mikroklima – in dem sich Blutläuse wohlfühlen und Mehltau besser verbreitet.

Artikel aus der Ausgabe:

Guten Appetit!

Wie der Klimawandel dem Obstanbau schadet – ein Besuch im Alten Land. Außerdem im Schwerpunkt Landwirtschaft: Wie Saisonarbeitskräfte ausgebeutet werden und wie Indigene in Kolumbien gegen Drogenkartelle kämpfen – mit dem Anbau von Kaffee.

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Autor:in
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas schreibt seit vielen Jahren für Hinz&Kunzt - seit 2022 als angestellter Redakteur.

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