(aus Hinz&Kunzt 169/März 2007)
Hysterie in der City: Das Bezirksamt macht Jagd auf osteuropäische Bettler, das Abendblatt wittert organisierte Kriminalität. Leiden müssen darunter auch unbeteiligte Obdachlose
Jacqueline sitzt zusammengekauert neben der Haspa-Filiale in der Spitalerstraße. Es regnet, vor der 21-Jährigen liegen nur wenige Münzen. Es ist längst dunkel, bei diesem Wetter kommen kaum noch Passanten vorbei. Ihr Welpe „Bacardi“ tollt neben ihr herum. „Der ist echt schwieriger zu erziehen als meine Tochter“, lacht Jacqueline. Ihre Tochter ist sieben, derzeit hat sie keinen Kontakt zu ihr: „Ich will nicht, dass sie mich so sieht.“ Denn seit sie aus der Wohnung ihres gewalttätigen Freundes geflohen ist, lebt sie auf der Straße.
Einziger Lichtblick: Bacardi, den sie vor drei Wochen gekauft hat: „Mein Leben ist gerade so scheiße, aber wenn ich Bacardi anschaue, geht’s mir gut.“ Dabei macht er, objektiv gesehen, ihr Leben schwerer. Für Obdachlose mit Hund gibt es noch weniger Notunterkünfte. Draußen zu schlafen ist gefährlich für die junge Frau, vor ein paar Wochen wurde sie vergewaltigt. „Bald kann Bacardi mich ja beschützen.“
Heute sind die Hamburger unfreundlicher als sonst: „Schlampe“ wurde sie bereits mehrmals genannt. Manchmal kommt auch der Vorwurf: „Du gehörst zur Bettel-Mafia.“ Jacqueline weiß auch, wem sie die Beleidigungen zu verdanken hat: Der Bezirkliche Ordnungsdienst (BOD) fahndet nach einer Gruppe von etwa 15 Slowaken, die in der Innenstadt mit ihren Hunden betteln. Und das Hamburger Abendblatt unterstellt sogar eine kriminelle Organisation.
Die Rückkehr der „Bettel-Mafia“
10. Februar. Im Abendblatt erscheint der Artikel „Mit Hundebaby-Masche: Bettel-Mafia wieder da“. Denn: „Eine offensichtlich professionell organisierte Bettler-Gruppe sorgt erneut in der City für Aufsehen und Ärger. Die gut ein Dutzend Bettler nutzen die Tierliebe von Hamburgern, indem sie mithilfe von Hundewelpen um Geld bitten.“
Die Geschichte liest sich wie ein Krimi: Ein Hintermann im Kaputzenpulli soll angeblich die Bettler und ihre Hunde an lukrativen Stellen in der Innenstadt platzieren. Der BOD vermutet sogar, dass die Tiere mit Tiertransportern nach Deutschland gebracht werden. Und der BOD zieht die Verbindung zur „Bettel-Mafia“: Den Begriff benutzte das Abendblatt für eine Gruppe behinderter bulgarischer Bettler, die Anfang 2006 in der City gebettelt hatten. Damals wurde unterstellt, dass Hintermänner den Bettlern das Geld abnehmen, und sie zum Betteln zwingen. Die Polizei ermittelte, fand aber keine Hinweise auf eine „Mafia“.
Der BOD im Abendblatt: „Zumindest zwei der Männer, die nun mit Labradorwelpen am Jungfernstieg, dem Neuen Wall oder rund um das Hanseviertel betteln, sind ‚alte Bekannte‘, die sich damals als behindert ausgegeben hatten.“ Die Bettler gaben sich übrigens nicht nur als behindert aus, sie waren es auch. Bezirksamtsleiter Markus Schreiber schenkte damals einem von ihnen sogar einen Rollstuhl. Die Polizei stellt dann auch richtig: „Es handelt sich nach unseren bisherigen Erkenntnissen nicht um die selbe Gruppe“, so Polizeisprecher Andreas Schöpflin. „Bei der Überprüfung wurde festgestellt, dass die Bettler aus der Slowakei kommt. Die Gruppe der Behinderten, die im vergangenen Jahr in der Innenstadt bettelten, kam nach polizeilichen Ermittlungen aus Bulgarien.“
Die Slowakei und Bulgarien sind gut 500 Kilometer voneinander entfernt. Der BOD versucht das auf Nachfrage so zu erklären: „Bereits im Vorjahr kam ein Teil aus Slowenien.“ Aber auch Slowenien ist noch 150 Kilometer von der Slowakei entfernt.
Slowaken, Bulgaren, Slowenen – den Überblick, woher die Bettler eigentlich kommen, scheint der BOD verloren zu haben. Mit viel Fantasie könnte jetzt eine Bettel-Mafia-Struktur vermutet werden, die den gesamten osteuropäischen Raum umfasst. Realistischer klingt diese Version: Vor einem Jahr kamen behinderte Bettler aus Bulgarien nach Hamburg. Jetzt ein paar Slowaken. Sie haben ihre Hunde mitgebracht. Die können einen vielleicht nerven, müssen deshalb aber noch lange nicht kriminell sein.
Organisierte Kriminalität ist auch nicht Aufgabe des BOD, sondern der Polizei. Die kontrolliert die Slowaken mit dem Ergebnis: Alles ist in Ordnung.
Der BOD stört sich an etwas ganz anderem: „Wir kümmern uns nur um das hamburgische Wegerecht“, so Markus Schreiber, Chef des Bezirksamts Mitte, dem der BOD unterstellt ist. Der Vorwurf: Die Slowaken betteln „organisiert“, sprechen sich also ab und nutzen Hamburgs Straßen ohne Genehmigung gewerblich (si. Einziger offizieller Vorwurf ist also eine Ordnungswidrigkeit.
Gegenüber Hinz&Kunzt distanziert sich das Bezirksamt Mitte später vom Begriff „Bettel-Mafia“. Auch Citymanagerin Brigitte Engler, die die Geschäftsleute in der Innenstadt vertritt, findet die Kriminalisierung übertrieben. „Einen Vergleich mit der organisierten Kriminalität würde ich nicht ziehen. Die Bettler tun ja keinem Menschen etwas zuleide.“ Selbst die Diskussion über organisierte oder nicht organisierte Bettelei, die Bezirksamtschef Schreiber führt, relativiert sie: „Ich beneide niemanden, der auf diese Art und Weise sein Geld verdienen muss – egal, ob organisiert oder nicht.“
Wer den Begriff Bettel-Mafia außer dem Abendblatt überhaupt benutzt hat, lässt sich nicht klären. Das Abendblatt wollte sich bis Redaktionsschluss nicht dazu äußern.
Sowieso egal: Die Jagd ist eröffnet. Der Begriff „Bettel-Mafia“ ist in der Welt. Und drei Tage später legt das Abendblatt nach.
Florierender Hundehandel
13. Februar. Krzysztof (Name geändert) sitzt vor der Thalia-Buchhandlung in der Spitalerstraße. Vor drei Jahren ist der 25-Jährige arbeitslos geworden. In seiner südpolnischen Heimat findet er keinen Job, seither reist er gemeinsam mit seinem Bruder durch die Welt. Mit dabei hat er zwei Hundewelpen: „Die habe ich mir bei meinem Schwager gekauft, der züchtet die.“ Es sei einfach netter, nicht allein zu reisen. Krzysztof lebt vom Jobben und Betteln. Und kommt damit überall zurecht. Nur die Hamburger sind unfreundlich, einige beschimpfen ihn. Da weiß er noch nicht, warum er von den Hanseaten so verachtet wird: Er ist heute mit großem Foto im Abendblatt. Die Überschrift: „Bettel-Mafia verkauft Hundebabys.“ Die Slowaken, die bisher mit den Hunden gebettelt haben, sollen sie nun auch noch verkaufen. Krzysztof sagt, dass ihn niemand gefragt hat, ob er ihn fotografieren dürfe: „Und mit den Slowaken habe ich überhaupt nichts zu tun.“
Die Slowaken wiederum sollen richtig viel Geld erbettelt haben: 250 Euro haben sie im Hanseviertel in Scheine gewechselt – behauptet das Abendblatt. Und es kann auch nicht von vereinzelten Hundeverkäufen die Rede sein: Es ist ein richtiger Trend. Abendblatt-Leserin Maren Heuer ist ein Welpe angeboten worden. Und Citymanagerin Brigitte Engler beobachte „immer häufiger“, wie Hunde zum Verkauf angeboten werden, so das Abendblatt. Und „immer mehr“ Geschäftsleute und Bürger beschwerten sich bei ihr.
Beides stellt sich allerdings als übertrieben heraus. Mit eigenen Augen beobachtet hat sie den Hundehandel noch nie. Und die Anzahl der Beschwerden hält sich in engem Rahmen: Genau zwei Einzelhändler haben sich beschwert und noch mal zwei Bürger. Und die Citymanagerin vertritt immerhin 450 Unternehmen in der Innenstadt. Abendblatt-Leserin Maren Heuer ist entsetzt: „Ich war richtig erschrocken, als ich den Artikel mit den Fotos gesehen habe. Natürlich sind die Männer auf den Fotos nicht die, die mir den Hund angeboten haben.“ Außerdem habe sie nichts gegen Bettler. Auch dass die Bettler im Hanseviertel 250 Euro in Scheine gewechselt haben, bezweifelt eine Mitarbeiterin: „Das waren eher 30 bis 50 Euro.“
Die Nerven in der City liegen derweil blank. Ein Kamerateam streift durch die Innenstadt, auf der Suche nach der „Bettel-Mafia“. Und auch der BOD fahndet auf Hochtouren. Aber in den nächsten Tagen sieht niemand mehr die Slowaken. Das wird Krzysztof und seinem Bruder zum Verhängnis: Der BOD beschlagnahmt ihre Hunde.
Das Bauernopfer
16. Februar. Im Abendblatt erscheint der Artikel: „Hundebabys der Bettel-Mafia befreit.“ Die Geschichte beginnt reißerisch. „Der Bezirkliche Ordnungsdienst hat der Hunde-Bettel-Mafia das Handwerk gelegt: Die BOD-Mitarbeiter haben gestern Hundebabys aus den Händen polnischer Bettler befreit.“ Danach wird sie mit jeder Zeile dünner. Denn eigentlich glaubt auch das Abendblatt nicht daran, dass Krzysztof und sein Bruder wirklich zur slowenischen „Bettel-Mafia“ gehört. Es wittert Trittbrettfahrer. Der BOD glaubt zu diesem Zeitpunkt nicht, dass die Slowaken überhaupt noch in der Stadt sind: „Das öffentliche Interesse und die Präsenz unserer Mitarbeiter hat sie wohl vertrien.“
Übrigens:Beschlagnahmt wurden die polnischen Hunde nicht wegen Bettelns oder Verkaufens der Tiere. Auch nicht, weil ihre Halter die Tiere irgendwie schlecht behandelt haben. Sondern weil die Tiere nicht alle in Deutschland vorgeschriebenen Impfungen und Papiere haben. Nach sechs Wochen Quarantäne könnten sie die Tiere wieder abholen. Nur die Kosten müssten sie dann selbst tragen, 800 Euro pro Hund.
Krzysztof droht damit, sich das Leben zu nehmen, wenn ihm der Hund nicht ausgehändigt wird. Auf Mitleid kann er nicht hoffen, die Stimmung in der Stadt gegenüber Bettlern mit Hund hat sich gedreht. Auftritt Wolfgang Poggendorf, Leiter des Tierheims Süderstraße: „Ich bin mir sicher, dass ihnen ihre angebliche Tierliebe nicht so viel wert sein wird.“ Zynisch: 1600 Euro – jedem muss klar sein, dass es für die Brüder unmöglich sein wird, jemals so viel Geld zusammenzubetteln.
Dass Hunde wegen fehlender Impfungen vom BOD kontrolliert und beschlagnahmt werden, ist ungewöhnlich, gibt Bezirksamtschef Schreiber zu: „Das war eine gezielte, auf die slowakischen Bettler ausgerichtete Aktion. Die beiden Polen haben einfach Pech gehabt, dass sie zu dieser Zeit in Hamburg waren.“