Mit der Kampagne #einfachwohnen wollen Diakonie, Caritas, Mieter helfen Mietern und Stattbau die Situation der Menschen in Wohnungsnot verbessern.
Zweimal war Oliver im Gefängnis – beide Male wegen Schwarzfahrens. Von Hamburg nach München im ICE und zurück war seine Route. „Ich war obdachlos – und im Zug konnte ich schlafen und duschen“, sagt der 33-Jährige. Aber jetzt habe er noch weniger Hoffnung auf eine Wohnung als früher „Welcher Vermieter will schon einen Haftentlassenen!“ Menschen wie Oliver gelten als Wohnungsnotfälle. Für sie haben Diakonie, Caritas, Mieter helfen Mietern und Stattbau die Kampagne #einfachwohnen gestartet.
„Ich habe bewegende Geschichten gehört“, sagt Dirk Ahrens, Leiter des Diakonischen Werkes Hamburg und Sprecher der Kampagne. „Und es handelt sich längst nicht mehr um Einzelfälle, es ist ein Massenphänomen.“
„Es handelt sich längst nicht mehr um Einzelfälle, es ist ein Massenphänomen.“– Diakonie-Chef Dirk Ahrens
Denn inzwischen gibt es viele Gruppen, die als Wohnungsnotfälle gelten: Wohnungslose, alleinerziehende Frauen, Menschen mit Mietschulden oder mit Assistenzbedarf. Die Zahl der „vordringlich Wohnungssuchenden“, wie sie genannt werden, ist in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen: 2015 waren es noch 7857, heute sind es 11.768. Mehrfach hatten Wohlfahrts- und Wohnungsverbände bei der Politik eine Lösung eingefordert. 2016 hatte der Senat dann versprochen, jährlich 300 Wohnungen für vordringlich Wohnungssuchende zu bauen. Aber das Programm ist bisher gefloppt: In vier Jahren wurden nur 40 fertig.
Besonders frustrierend: „Wir sehen in der Politik keine Bereitschaft, dieses Massenphänomen in den Griff zu bekommen“, sagt Tobias Behrens von Stattbau Hamburg. Dabei kritisieren die Bündnispartner von #einfachwohnen nicht nur, sondern haben auch handfeste Vorschläge. Einer: Es gibt rund 7000 Sozialwohnungen in Hamburg, die „freigestellt“ wurden. Das heißt: Sie dürfen auch an Besserverdienende vermietet werden. Das muss sich ändern: „Sozialwohnungen dürfen nur noch an Bedürftige vermietet werden“, sagt Behrens. „Bei 7000 Wohnungen und einer Fluktuation von sechs bis sieben Prozent im Jahr könnten auf einen Schlag 500 Wohnungen für diese Menschen freigegeben werden.“
Zahlen und Fakten
Noch ein paar Zahlen: Insgesamt müsste die Stadt 5000 Wohnungen pro Jahr für Wohnungsnotfälle aus dem Bestand bereitstellen, so das Bündnis. Dreh und Angelpunkt sei dabei die stadteigene Saga. Sie stellt bislang 2000 Wohnungen für Wohnungsnotfälle zur Verfügung. Ein weiterer Aspekt: Etwa jeder zweite Hamburger hat inzwischen die Berechtigung, eine geförderte Wohnung zu beziehen. „Deshalb müsste die Hälfte aller Wohnungen, die neu gebaut werden, gefördert sein. Das wären 5000 Wohnungen pro Jahr“, so Tobias Behrens. Er kritisiert: „Das Problem ist, dass sich die Politik kein Ziel gesetzt hat.“
Mit der Kampagne #einfachwohnen und vielen Aktionen will das Bündnis der Politik Dampf machen. Dirk Ahrens ist da zuversichtlich: Schließlich steht die Bürgerschaftswahl vor der Tür – und das Thema Mieten und Wohnungsnot beschäftige die Menschen.
„Zahlen und Fakten spiegeln nicht das wieder, was eine Wohnungssuche betrifft, und das sind Emotionen“, sagte der haftentlassene Oliver. Er ist inzwischen in einer Übergangseinrichtung untergekommen. „Wenn ich auf Wohnungssuche bin, da spielt Hoffnung, da spielt Resignation, da spielt Traurigkeit mit.“ Und Verzweiflung, dass er keine Wohnung bekommt – trotz eines Dokuments, das seine Not bestätigt und Dringlichkeitsschein heißt.