Thomas (50) verkauft seit zwei Monaten Hinz&Kunzt an den Großen Bleichen.
(aus Hinz&Kunzt 216/Februar 2011)
Als wäre es die Geschichte eines anderen, erzählt er von dem Tag, der sein Leben veränderte. Morgens hatte Thomas sich „ganz normal“ von seiner Freundin verabschiedet und war in die Firma gefahren. Als er abends nach Hause kam, lag sie auf dem Küchenfußboden – tot. „Magendurchbruch“, sagt Thomas.
Er sagt von sich selbst, er sei ein Mensch, der zu allem und jedem auf Distanz geht. Sogar zu sich selbst. Als vor sechs Jahren seine Freundin starb, hat er sich eigentlich vom Leben verabschiedet.
Dem gelernten Bankkaufmann, studierten Mathematiker und Inhaber einer eigenen Firma, die Anwendungen für das Internet programmierte und auch für Google arbeitete, war alles egal. „Ich war so …“, sagt Thomas, lässt sich im Stuhl hängen und starrt an die Wand. „Ich habe Tag für Tag in der Küche gesessen und in meinen Kaffee geguckt.“ Zur Arbeit ging er nicht, reagierte weder auf Anrufe noch auf E-Mails und machte die Tür nicht auf, wenn Freunde klingelten.
Im folgenden Jahr verlor seine Firma alle Kunden, die Bank sperrte die Konten, Thomas’ Mitarbeiter gingen nach Hause und kamen nicht wieder. Weil Thomas auch die Raten fürs Eigenheim egal waren, wurde das Haus versteigert. „Da war alles vorbei“, sagt der 50-Jährige. „Vorhang zu. Ende. Aus.“ Er stieg in Berlin in den Zug und fuhr „irgendwohin“. Mit der Bahn und per Autostopp reiste er durch Europa und bis nach Afrika. „In Tunesien habe ich lange gearbeitet, habe in einem Yachthafen auf die Boote reicher Italiener achtgegeben.“ Trotz festem Job dort: So etwas wie ein zweites bürgerliches Leben wollte und will Thomas nicht. „Ich denke immer nur an die nächsten 24 Stunden.“
Vor vier Monaten kam er nach Hamburg, um sein Visum vom tunesischen Konsulat erneuern zu lassen. Auf dem Weg nach Deutschland wurde er bestohlen, war alle seine Papiere und sein Geld los. „Ich stand bei null.“ Thomas verbrachte einige Nächte draußen: „Mal im Park, mal auf dem Kiez.“ Dann kam er erst im Pik As, später im Winternotprogramm in der Sportallee unter. Dort hörte er von Hinz&Kunzt und fing als Zeitungsverkäufer an. „Warum nicht?“ Er bekam ein Zimmer im Hinz&Kunzt-Winternotprogramm. „Das ist schon sensationell im Vergleich zur Sportallee“, sagt Thomas. Wenn im April das Programm endet, will er gen Süden ziehen, nach Tunesien oder woandershin.
Doch so richtig begeistern kann Thomas seit diesem Tag vor sechs Jahren nichts mehr. „An einem Tag habe ich 100 Ideen und schmiede Pläne, am nächsten finde ich die alle wieder sinnlos. Auch wenn es gerade ganz gut läuft: Ich weiß, irgendwann geht der Vorhang bei mir wieder zu.“
H&K: Wie möchtest du in fünf Jahren leben?
Thomas: Auf jeden Fall anders als jetzt. Hinz&Kunzt ist für mich nicht die Endstation. Ich will mehr.
H&K: Wer oder was imponiert dir?
Thomas: Wenn Menschen etwas für andere tun, ohne groß darüber zu reden.
H&K: Wenn du einen Wunsch frei hättest, was würdest du dir wünschen?
Thomas: Nie wieder etwas für Bücher zu bezahlen, eine Bücher-Flatrate quasi.