Einige Hamburger konnten es nicht mehr ertragen, dass so viele Obdachlose draußen schlafen und spendeten uns Geld. Seit Anfang Dezember haben wir jetzt ein eigenes kleines Winternotprogramm.
(aus Hinz&Kunzt 215/Januar 2011)
Eigentlich fing alles mit einem Anruf an: Frau H. fragte Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer, wie sie denn Obdachlosen im Winter helfen könnte. Stephan erzählte von Fledermaus. Dass die 34-Jährige mit ihrem Freund draußen schlafe und krank sei. Verdacht auf Lungenentzündung. Dass wir das als Team auch nicht mehr ertragen und dass wir gerne eigene Zimmer anmieten würden. Frau H., die anonym bleiben will, sagte sofort 3000 Euro zu, für Fledermaus. Dann noch ein Telefonanruf: Monika Freise von der Hamburger Sparda-Bank. Ihre Kollegen hätten den Wunsch geäußert, Obdachlosen zu helfen … Als sie von unseren Plänen hörte, sagte die Sparda 20.000 Euro zu. Das war der Startschuss für unser eigenes kleines Winternotprogramm: nicht unterirdisch, sondern so, wie wir uns das vorstellen.
Allerdings war’s gar nicht so leicht, geeignete Zimmer zu finden. Alle Billighotels zwischen Kiez und St. Georg waren restlos ausgebucht. Auch die Monteursheime. Immerhin kamen wir bei einem auf die Warteliste. Und dann kommt sie, die erste Zusage.
Am Nikolaustag ist es so weit: Mit Fledermaus, Panik, Schublade und Torsten fahren wir in ein Monteursheim nach Farmsen. Dort haben wir zunächst fünf Zimmer gemietet (bei Redaktionsschluss sind es schon sieben!).
Die Zimmer sind genau das, was wir uns vorstellen – und die Hinz&Künztler sind begeistert: zwei Betten, eine kleine Pantry und ein kleines Bad. Sauber und hell. Auf jedem Zimmer steht ein Fernseher. Die Zimmer sollen nur dann doppelt belegt werden, wenn beide Bewohner das auch wirklich wollen. Wir haben noch eine Überraschung im Gepäck: für jeden einen Bademantel, eine Kulturtasche – und eine Monatsfahrkarte. Panik, Fledermaus, Schublade und Torsten sind regelrecht gerührt.
„Spaghetti bolognese“, sagt Fledermaus genüsslich. Das war das erste Gericht, das sie in ihrem neuen Zuhause
gekocht hat. Gleich am ersten Abend haben Fledermaus und Panik es sich richtig gemütlich gemacht. „Gekocht, dann die Betten zusammengeschoben und ferngeguckt. Wie ein ganz normales Paar an einem ganz normalen Abend.“
Schon nach ein paar Tagen in den eigenen vier Wänden sind Fledermaus, die eigentlich Sonja heißt, und Panik, der eigentlich Robert heißt, nicht mehr wiederzuerkennen. Sie sehen so entspannt und gut aus, als hätten sie eine Wellnesskur hinter sich. Fledermaus ist sogar geschminkt und hat die Nägel lackiert, leuchtend rot. Und dann strahlen die beiden auch noch ständig.
Das war nicht immer so. Als die beiden noch vor Peek & Cloppenburg Platte machten, waren die Nächte unruhig. „Mit einem Ohr ist man immer wach“, sagt Fledermaus. Und dann erzählt die 34-Jährige, dass sie oft angepöbelt wurden, „dass du dich im Schlafsack eben auch allen Leuten, die vorbeigehen, ausgeliefert fühlst, du nie sicher sein kannst, ob der Passant dir nicht was Übles will“.
Entsprechend gerädert und gereizt war sie oft. In ihrem momentanen Strahlezustand kaum zu glauben, aber da konnte sie auch selbst ordentlich pampig werden. Jetzt ist Fledermaus schon wesentlich besser in der Lage, dem Streit aus dem Weg zu gehen. „Wenn es uns jetzt zu viel wird, dann fahren wir nach Hause und machen einfach die Tür hinter uns zu“, sagt sie.
Auch Schublade, der bürgerlich Thomas heißt, fndet sein neues Winterquartier super. Schon was anderes als seine kalte Platte vor C&A. „Obwohl ich einen echt guten Schlafsack habe, da gibt’s nichts“, sagt der 53-Jährige. Aber gesundheitlich ist er eben nicht der Fitteste. Und deshalb hat er sofort Ja gesagt, als Stephan ihm ein Zimmer anbot. „Ich bin nach Hause gekommen, hab die Füße hochgelegt und erst mal relaxed“, sagt er. Dann wollte er sich eine richtig ausgiebige Dusche gönnen. „Aber leider gab’s keine Handtücher, und mit meinem neuen Bademantel wollte ich mich nicht abtrocknen.“
Geschlafen hat Schublade in den ersten Nächten nicht so gut. „Ich bin alle halbe Stunde aufgewacht, wie draußen auf Platte“, sagt er. „Aber das wird sich schnell ändern.“
Richtig happy ist er, dass er jetzt eine Monatsfahrkarte hat. „Ich bin ja Hamburger, habe mich aber prompt total verfahren und war ganz froh, dass das ja
finanziell kein Problem war.“
Torsten muss sich ganz schön umstellen, fünf Jahre hatte er all das nicht mehr: ein Dach über dem Kopf, ein echtes Bett, eine Tür, die er hinter sich zumachen kann. Kein Gepäck, um das er sich sorgen muss. Keine Angst mehr, dass sein Schlafplatz weg ist. Einfach nur Ruhe. Irgendwie war er immer ganz schön stolz darauf gewesen, dass er sich draußen so gut organisieren konnte. „Es gehörte in den letzten Jahren zu mir, obdachlos zu sein“, sagt der 47-Jährige nachdenklich. „Jetzt habe ich richtige Identitätsprobleme.“ Ein bisschen erinnert ihn das an die Zeit nach dem Mauerfall. „Den fand ich auch toll, und trotzdem hatte ich als Ossi lange das Gefühl, weniger wert zu sein.“
Aber er ist froh, das Angebot mit dem Zimmer angenommen zu haben. Die letzten Erlebnisse auf der Straße waren hart: Er hatte sich so ein schönes Winterquartier gesucht, in der leer stehenden ehemaligen Frauenklinik Finkenau. Eines Morgens wachte er auf und sah vier Polizeiwagen und jede Menge Polizisten vor der Tür. Die wollten nichts von ihm, aber es stellte sich heraus, dass die Polizei dort regelmäßig Übungen abhält. Bleiben konnte er also nicht. Deshalb hatte er sich schon den Bunker unter dem Hachmannplatz als Alternative angesehen. Aber das kam für ihn nicht in Frage. „Ohne Fenster, viel zu viele Menschen, zu laut und zu stickig.“
Zum Thema Bunker sagt Torsten in seiner spitzfindigen Art: „Bürgermeister Ahlhaus hat immerhin gezeigt, dass er die Lage der Obdachlosen in Hamburg für katastrophal hält, sonst hätte er ja nicht den Katastrophenschutzbunker geöffnet.“ Was er überhaupt nicht versteht: dass die Stadt nicht lieber ein oder zwei Gebäude wieder herrichtet, die leer stehen. „Manche Gebäude könnte man relativ schnell wieder bewohnbar machen“, sagt er.
Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer ist selbst ganz glücklich über unser kleines Winternotprogramm: Das Jahr war eine Katastrophe gewesen in Sachen Wohnraumvermittlung. In dieser Hinsicht erging es ihm wie den meisten Kollegen aus der Obdachlosenarbeit. Deshalb hatten einige soziale Organisationen im September zur Nacht der Wohnungsnot eingeladen. Damals richteten die Initiatoren, darunter auch wir, wieder einmal einen Appell an die Stadt: Das Winternotprogramm reicht nicht aus! Gehört wurden sie nicht.
Natürlich ist auch unser Winternotprogramm nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Stephan hat jetzt die Qual der Auswahl. „Ich spreche nur Menschen an, die das Winternotprogramm bislang nicht angenommen haben: Leute unter der Kennedybrücke, Kranke, jemand mit Hund.“ Bislang haben wir noch keine Absage bekommen. Das nur zum Thema: Die Obdachlosen wollen ja gar nicht drinnen schlafen. „Wollen die meisten eben doch“, sagt Stephan. „Wenn man ihnen etwas anbietet, wo sie in Ruhe leben und die Tür hinter sich zumachen können.“
Text: Birgit Müller
Foto: Mauricio Bustamante