Es klang noch nie so wie bei Kiesow: Hier entdeckten Christian von Richthofen und Stefan Gwildis vor zehn Jahren den perfekten Resonanzkörper für ihre Perkussionshow ,,AutoAuto!‘‘. Mehr als 500 Opel mussten auf der Bühne schon dran glauben, zum Jubiläum werden die nächsten zertrümmert.
(aus Hinz&Kunzt 214/Dezember 2010)
En paar Gäste wenden den Blick von ihren Kuchentellern ab, als Christian von Richthofen und Stefan Gwildis das Café Gnosa betreten. Muss man diese beiden Herren im besten Alter kennen? Sie sehen ganz gewöhnlich aus: von Richthofen (55) im sportlichen Kapuzenpullover und Gwildis (52) in einer hanseatischen Seemannsjacke mit goldenen Knöpfen. Aber Dank ihres selbstbewussten Auftretens und ihrer markanten Stimmen wird die Kaffeetafel schnell zur Bühne. Durch kleine Trommel- und Gesangsvorführungen bekommt bald jeder Gast einen Eindruck vom dramatischen Bühnengeschehen bei AutoAuto! Die schräge Musiktheaterperformance feiert ihr zehnjähriges Jubiläum – das die beiden Künstler zum ersten Mal seit Langem wieder gemeinsam auf der Bühne zelebrieren.
Christian von Richthofen und Stefan Gwildis sind leidenschaftliche Erzähler und ein gut eingespieltes Team. Wie zwei Jungs ziehen sie Grimassen, fallen sich ins Wort und knuffen sich an. Das geht wohl nur unter alten Freunden. Und das sind sie auch. Kennengelernt haben sich die Künstler 1978 am Thalia Theater bei „Die drei Musketiere“. „Christian war der trommelnde Landsknecht und ich der langhaarige Musketier mit Bart“, erinnert sich Stefan Gwildis. „Da habe ich sogar fechten gelernt.“ Beide grinsen versonnen: Es scheint eine tolle Zeit gewesen zu sein.
Nach dem ersten Treffen am Thalia gingen die Künstler zunächst beruflich getrennte Wege. Stefan Gwildis stieg in den elterlichen Reifenhandel ein. Als Hauptberuf war ihm die Kunst nicht bodenständig genug. Aber er konnte auch nicht von ihr lassen und machte sich nebenbei mit Gruppen wie „Aprillfrisch“, den „Strombolis“ und seiner „Drückerkolonne“ in der Kleinkunstszene einen Namen. „Ich habe Stefan immer bewundert“, sagt von Richthofen. „Er war frech, hatte Textaussetzer und machte alles, was am Theater eigentlich gar nicht geht.“ Stefan Gwildis genießt die Komplimente ausnahmsweise einmal schweigend. Christian von Richthofen nimmt das zum Anlass, eine seiner Lieblingsszenen vorzuspielen. Er steht auf und macht vor, wie Gwildis sein Bühnenprogramm unterbrach, wenn im Publikum ein Handy klingelte. „Der ging los wie ein Berserker. Er hat sogar mal spontan ein Telefon in einem Bierglas versenkt.“ In einem späteren Bühnenprogramm wurde die Begebenheit zu einer dramatischen Szene ausgebaut. Von Richthofen führt vor, wie das Handy eines elegant gekleideten Herrn klingelt, Stefan einen Revolver zückt, schießt und der „Gast“ blutend aus dem Zuschauerraum getragen wird. „Die Leute waren total geschockt“, freut er sich noch heute. Die Lust an der Provokation verbindet die beiden genauso wie die Freude an der Musik.
Christian von Richthofen dagegen hat Musik studiert und in zahlreichen Bandprojekten, in Theaterstücken und Fernsehfilmen mitgemischt. Bekannt wurde er vor einigen Jahren mit „Hot Schrott“. Da machten Jugendliche Musik mit Plastikmüll, alten Fässern und Einkaufswagen. „Das waren Kinder, die gern mal nachts mit Baseballschlägern Autos kaputt machten“, erinnert sich der Musiker. „Da habe ich gesagt: Wenn ihr brav seid, inszenieren wir das mal auf der Bühne.“ Das war die Geburtsstunde von AutoAuto! „Stefan war begeistert von der Idee und wollte sie unbedingt mit mir zusammen auf die Bühne bringen. Und als die Kinder entschieden, künftig lieber auf Einkaufswagen statt auf fremden Autos zu trommeln, konnten wir selbst loslegen.“
Eine paradiesische Zeit für zwei große Jungs begann. Sie fuhren zu Kiesow, Deutschlands größtem Autorecyclingbetrieb, und testeten dort unterschiedliche Fahrzeugtypen. Nicht auf ihr Fahrverhalten natürlich, sondern ausschließlich auf ihre klanglichen Qualitäten. Nach tagelangen Testreihen fanden sie vor zehn Jahren ihr Traummodell, den Kadett E. „Der klingt einfach am besten: keine Dämmung, ein toller Resonanzkörper“, erklärt Stefan Gwildis. Er selbst fuhr früher übrigens auch mal einen.
Rund um den spießigen Opel entstand eine temporeiche und höchst unterhaltsame Perkussion- und Gesangsrevue mit Kalauern, Hitler-Parodie und Platon. A-cappella-Gesang folgt auf fetzige Schlagzeugsoli, Bossa Nova auf Walzer. Die Autotür wird dabei zur Trommel, Scheibenwischer, Kühler und Dach zum Schlagzeugset. Zum Schluss kommt dann schweres Gerät zum Einsatz: Mit zwei Vorschlaghämmern rücken die beiden dem Auto zu Tschaikowskys Schwanensee rhythmisch so zu Leibe, dass am Ende nicht viel übrig bleibt. Mehr als 500 Kadetts haben in zehn Jahren auf der Bühne ihr Leben ausgehaucht.
Nicht nur in Deutschland liebt das Publikum die musikalische Zerstörung ihres wichtigsten Statussymbols. Die Show war in vielen europäischen Ländern zu Gast. Auch die Autoindustrie hat Interesse gezeigt. Mercedes-Benz wollte AutoAuto! für eine Gala buchen und bot ein hauseigenes Fahrzeug als Instrument an. Christian von Richthofen lehnte dankend ab: „Die klingen einfach nicht gut.“
Denn in erster Linie ist AutoAuto! eine musikalisch höchst anspruchsvolle Performance. Was so leicht und schwerelos aussieht, ist harte Arbeit. Präzision und Timing sind wichtig – und ein gestählter Körper. „Man braucht da ganz bestimmte Muskeln, die muss man trainieren“, meint Christian von Richthofen und trommelt gleich zu Demonstrationszwecken auf dem Nachbartisch herum. „Stefan muss ja erst wieder in Form kommen“, stichelt er. Denn 2004 stieg Stefan Gwildis bei AutoAuto! aus, um sich fortan seiner Solokarriere zu widmen. Nur für den zehnten Geburtstag der Show schlüpft er wieder in einen Frack, um dem Kadett singend und mit vollem Körpereinsatz den Garaus zu machen. Zum Üben steht ihm ein Opel Kadett zur Verfügung. Modell E natürlich. Das mit dem besten Resonanzkörper der Welt.
Text: Sybille Arendt
Foto: Benne Ochs