Michael Sachs, Hamburgs neuer Wohnungsbaukoordinator, über dringend benötigten Neubau, die Wohnungskrise und die Frage, warum seit Jahren zu wenig günstiger Wohnraum gebaut wird.
Hinz&Kunzt: Herr Sachs, Sie sind jetzt seit fast einem halben Jahr Hamburgs neuer Wohnungsbaukoordinator. Ist der Job so, wie Sie ihn sich vorgestellt haben?
Michael Sachs: Meine Aufgabenstellung ist ziemlich klar – ich soll den Wohnungsbau in Hamburg befördern. Was mich schon überrascht hat, sind die Probleme, mit denen Hamburg konfrontiert ist, wenn Wohnungen gebaut werden sollen.
H&K: Können Sie uns dafür bitte ein Beispiel geben?
Sachs: Jemand möchte an ein Haus mit vier Wohnungen einen genauso großen Anbau machen. Dem sagt das Bezirksamt: „Machen Sie mal einen Architektenentwurf und stellen Sie einen Antrag.“ Dann gibt der Geld aus, macht den Entwurf, stellt den Antrag und erhält eine Ablehnung mit dem Hinweis, es müsse ein reguläres Bebauungs-Verfahren gemacht werden. Dann macht der dafür die Vorarbeiten, holt Gutachten ein, seine Kosten liegen dann schon irgendwo bei 100.000 Euro. Und zum Schluss, nach sechs Jahren, sagt der Stadtplanungs-Ausschuss des Bezirks: „Das bleibt grün.“ Oder eine Baugenossenschaft möchte in Barmbek eine Baulücke schließen. Das ist das zentrale Thema im Moment. Die erhält einen Ablehnungsbescheid mit dem Hinweis, dass eine Lücke bleiben müsse, damit die im Innenhof befindlichen Insekten und Reptilien den Kontakt zur Außenwelt nicht verlören. Die Beispiele zeigen: Lange Verfahren und unzählige Auflagen erschweren das Bauen in Hamburg.
H&K: Sie dürfen dem Ersten Bürgermeister Ihre Anliegen vortragen und der Stadtentwicklungssenatorin vorschlagen, wo gebaut werden könnte. Wünschen Sie sich manchmal auch Entscheidungsbefugnisse?
Sachs: Wer wünscht sich die nicht? Ich weiß aber, dass meine Rolle überhaupt nicht installiert worden wäre, wenn ich hier entscheiden könnte. Dann wären die Bedenken gegen eine Art Terminator – statt Koordinator – riesig gewesen. Ich bin jemand, der versucht, über Koordinierung und Gespräche Prozesse zu beschleunigen. Entscheiden müssen die zuständigen Behörden.
H&K:Der Altonaer CDU-Politiker Sven Hielscher hat kürzlich gesagt, dass die Wirtschaftsbehörde zu oft ihre Hand über leere Gewerbeflächen hält, auf denen Wohnungen gebaut werden könnten. Hat er recht?
Sachs: Die Stadt hat die Notwendigkeit, eine gewisse Vorratspolitik zu betreiben mit Wirtschaftsgrundstücken. Betriebe kommen ja nicht geplant in bestimmter Zahl zu bestimmten Jahreszeiten, sondern sie kommen mit Konjunkturschüben. Auf der anderen Seite kann es nicht angehen, dass wir in einer Zeit, in der wir dringend Wohnungsbau in der inneren Stadt brauchen, Grundstücke ewig brachliegen lassen. Wir haben das auch aufgegriffen: Wir haben zum Beispiel das Grundstück Othmarschenpark, das bisher nur für Gewerbe vorgesehen war, aufgeschlossen, und jetzt werden dort 600 Wohnungen gebaut. Es gibt noch einige solcher Grundstücke in der Stadt.
H&K: Beim Bau der östlichen Hafencity sind 2800 Wohnungen geplant, aber doppelt so viel Fläche für Büros. Ist das eine intelligente Planung?
Sachs: Intelligente Planungen sind einerseits die, die Investoren anziehen. Andererseits müssen die Leute, die da arbeiten und wohnen sollen, das Quartier mögen. Deshalb steht und fällt die ganze Hafencity nicht mit der Menge an Büros, sondern mit der Frage, ob das ein gemischtes Quartier wird. Der Begriff Getto, den wir so gerne benutzen, wenn es sich um ausländische Haushalte handelt, trifft auch zu, wenn es sich nur um Besserverdienende handelt. Insofern wird es darauf ankommen, eine vernünftige Mischung in der Hafencity herzustellen, unter anderem dadurch, dass man dort auch preiswerte Wohnungen baut.
H&K: Aber müssten angesichts der Wohnungsnot nicht auch viel mehr Wohnungen gebaut werden?
Sachs: In den 60er- und 70er-Jahren hatten wir Wohnungsnot, deswegen war es richtig, Großsiedlungen wie in Steilshoop zu bauen. Stadtteile, die innerhalb von drei Jahren hochgezogen werden, helfen Wohnungsnot zu bekämpfen. Aber derzeit haben wir keine Wohnungsnot.
Deswegen sollte man mit dem, was wir im Moment bauen, sehr kalkuliert und vorsichtig umgehen und sich angucken, wo die Leute gerne wohnen wollen.
H&K: Wie bitte? Es gibt keine Wohnungsnot in Hamburg?
Sachs: Nein. Es gibt Spitzennachfragen in bestimmten Bereichen. Wir führen eine Diskussion über die Frage „Gibt es einen Anspruch von jungen Leuten, in Ottensen zu wohnen oder in der Schanze?“. Und da sage ich: Nein, so einen Anspruch gibt es nicht. Diejenigen, die sich darüber beklagen, dass es dort so teuer ist, sind Teil des Problems. Wenn alle da wohnen wollen, dann steigen die Preise.
H&K: Nebenbei fallen aber Tausende Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung …
Sachs: Die fallen aus der Mietpreisbindung, die fallen aber nicht in sich zusammen! Die sind dann noch da!
H&K: Aber wo sollen die Leute wohnen, die nur wenig Geld haben?
Sachs: Die Durchschnittsmiete in Hamburg liegt so etwa bei 6,50 Euro. Die Durchschnittsmiete im sozialen Wohnungsbau liegt bei etwa 5,70 Euro. Wenn heute eine Sozialwohnung am Osdorfer Born aus der Bindung fällt, dann darf die Miete in drei Jahren um 20 Prozent erhöht werden. Wenn sie jetzt fünf Euro pro Quadratmeter beträgt, würde sie in drei Jahren auf sechs Euro steigen. Das ist keine Explosion.
H&K: Aber nach zehn Jahren wären wir unter Umständen schon bei acht Euro pro Quadratmeter …
Sachs: Richtig. Aber vermieten Sie mal eine Wohnung für acht Euro am Osdorfer Born! Wenn wir über den Osdorfer Born reden, über Mümmelmannsberg, über Steilshoop, über Neuwiedenthal und Kirchdorf-Süd, dann haben wir
80 Prozent des Bestandes an Sozialwohnungen. Und dann sage ich Ihnen: Das Herausfallen aus der Bindung ist in diesen Quartieren nicht das Problem. Das ist überall dort ein Problem, wo es spekulative Prozesse gibt, in Ottensen, in der Schanze und St. Pauli. Da sind die meisten Sozialwohnungen aber noch so neu, dass sie noch gar nicht aus der Sozialbindung fallen. Man darf sich nicht verrückt machen lassen.
H&K: Müsste nicht trotzdem etwas gegen die Mietensteigerung getan werden?
Sachs: Natürlich. 75 Prozent aller Hamburger Haushalte verdienen unter 3200 Euro netto. Wenn wir eine Wohnungsbaupolitik weiter betreiben, die sich an Kapitalanlegern und Projektentwicklern orientiert, dann bauen wir an der Zahlungsfähigkeit der Hamburger vorbei. Aber das hängt nicht so sehr an den So-zialwohnungen, sondern am Preisgefüge des gesamten Marktes. Und da ist die Frage wichtig, wie die Stadt sich einbringt. Indem sie Bebauungspläne macht, indem sie eigene Grundstücke einsetzt, indem sie sozialen Wohnungsbau fördert. Die Preisschraube ist nur aufzuhalten, wenn wir ausreichend Wohnraum
bauen, wenn die Leute sich Wohnungen wirklich aussuchen können.
H&K: Also doch mehr Neubau. Woran liegt es eigentlich, dass die städtische Saga/GWG nicht mehr baut?
Sachs: Es stimmt nicht, dass Saga/GWG nicht baut. Sie haben auch in Zeiten, wo andere von Leerstand redeten, immer in kleiner Zahl weitergebaut. Die ordnungspolitische Veränderung, die hier in dieser Stadt stattgefunden hat nach 2001, hat bei der Saga/GWG erhebliche Veränderungen gebracht. Das war erst die Diskussion „Brauchen wir überhaupt ein öffentliches Wohnungsunternehmen?“, dann „Wir brauchen eins, aber das muss Geld abwerfen“ und dann „133.000 Wohnungen in einem kommunalen Unternehmen, das muss ja nicht sein. Es reicht auch, wenn es kleiner ist.“ Saga/GWG sollte einfach nicht mehr bauen.
H&K: Was soll eigentlich aus denen werden, die in Wohnunterkünften untergebracht sind? Müssten nicht ungenutzte Häuser geöffnet werden? In den Straßen rund um Santa Fu lässt die Stadt Dienstwohnungen leerstehen.
Sachs: Da sind wir dran, das soll eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme werden, auch mit Neubau.
H&K: Könnte man solche Objekte nicht vorher schon vorübergehend vermieten?
Sachs: Nein. Das Problem der Wohnungslosigkeit ist ein dauerhaftes soziales Problem. Ich glaube nicht, dass es dadurch gelöst ist, dass wir jetzt einfach mehr Wohnungen bauen. Und Leerstände – lassen Sie mich das mal sagen – sind heute ein Marginalproblem. Wenn man eine Planungsabsicht hat, bei der man die Objekte abreißen oder neu gestalten will, muss man irgendwann aufhören, die Häuser zu vermieten. Denn wir haben ein Mietrecht, wo der letzte Mieter bestimmt, wann ich anfangen kann zu arbeiten.
H&K: Wie lange, glauben Sie, wird die Lage für Wohnungslose schwierig bleiben?
Sachs: Ich glaube, dass es für Wohnungslose immer extrem schwierig ist. Ich bin dazu da, die Menge der gebauten Wohnungen zu erhöhen. Man hat es in den letzten Jahren gerade geschafft, zwischen 3500 und 4000 Wohnungen zu bauen, von denen die meisten auch noch zu teuer sind. Was wir jetzt brauchen, sind mehr Wohnungen in einem niedrigen oder mittleren Preissegment.
H&K: Sozialsenator Wersich hat uns gesagt, er befände sich mit Ihnen in intensiven Gesprächen darüber, wie preiswerter Wohnraum geschaffen werden kann.
Sachs: Das ist richtig, wir reden darüber, aber gerade die Unterkünfte sind auch ein Bereich, in denen der Sozialsenator selbst aktiv werden kann. Er hat die Zuständigkeit für fördern und wohnen, ein Unternehmen, das in Hamburg an vielen Stellen Unterkünfte betreibt, aber auch Flächen hat. Und auf den Flächen kann man auch Wohnungen bauen.
H&K: Ein Vorschlag von Herrn Wersich war ja, leer stehende Altenheime oder Krankenhäuser in Wohnraum umzuwandeln …
Sachs: Ach wissen Sie, das liegt in etwa auf der Ebene wie „Bürohäuser in Wohnungen umwandeln“. Jetzt frage ich mal ganz polemisch: Möchten Sie an der Nordkanalstraße wohnen? Ich will doch nicht Leute irgendwo hinbringen, nur weil sie eine Unterkunft brauchen, sondern ich will doch Quartiere schaffen, in denen man vernünftig leben kann, mit Nachbarschaft und Einkaufsmöglichkeiten. Das ist bei Krankenhäusern und Bürohäusern nicht immer der Fall. Und es macht auch dort keinen Sinn, wo ich im Grunde mit dem Aufwand eines Wohnungsneubaus ein Bürohaus oder Krankenhaus erhalte.
H&K: Was ist aus Ihrer Sicht das größte Hindernis beim Bau von günstigem Wohnraum?
Sachs: Das eine ist, dass Hamburg sich vorgenommen hat, Green Capital zu sein nächstes Jahr, europäische Umwelthauptstadt. So wie das in Hamburg im Moment gestaltet wird, bedeutet das, dass eigentlich nur noch Passivhäuser gebaut werden sollen. Dazu kommen viele Auflagen aus den Bezirken. Hier muss eine Baumgruppe erhalten werden, dort soll eine möglichst tolle Spiel- und Grünfläche gestaltet werden. Das macht alles im Einzelfall Sinn. Nur: Jede einzelne Idee kostet Geld. Alles, was da gut gemeint ist, auch unter ökologischen Gesichtspunkten vernünftig ist, verteuert die Miete. Wenn ich mich als Abgeordneter beschwere über die Preissteigerung in St. Pauli, dann sollte ich irgendwann sagen: „Vielleicht ist es nicht nötig, da den ökologischen Musterknaben zu bauen, sondern einfach preiswerten Wohnraum.“ Das hat man politisch in der Hand.
H&K: Können Sie verstehen, wenn junge Leute aus Verzweiflung wieder anfangen, leer stehende Häuser zu besetzen?
Sachs: Natürlich kann ich das verstehen. Eine Lösung ist das nicht.
Interview: Hanning Voigts und Ulrich Jonas
Foto: Benne Ochs