(aus Hinz&Kunzt 212/Oktober 2010)
Rainer (49) verkauft seit acht Monaten Hinz&Kunzt. Sein Stammplatz ist im Herold-Center in Norderstedt.
Rainer macht ein angestrengtes Gesicht. Immer wieder muss der 49-Jährige sich abmühen, um seinen Satz zu beenden. Seit einem Schlaganfall vor vier Monaten hat er große Schwierigkeiten beim Sprechen. Manche Wörter, besonders Zahlen, kriegt er einfach nicht mehr raus. Dann behilft er sich, indem er seine Finger hochhält.
Woran es liegt, dass er auf der Straße gelandet ist, weiß Rainer ganz genau: an seiner Spielsucht. Er ist in Magdeburg in einem Heim aufgewachsen, sein Vater war ein Trinker. Nach der Schule macht Rainer eine Lehre als Koch. Als 1989 die Mauer fällt, ist er Küchenchef in zwei Restaurants der Konsum-Genossenschaft. Die Gaststätten schließen, aber Rainer macht sich selbstständig und eröffnet eine Kantine, einen Imbiss und einen Partyservice – mit großem Erfolg. Er heiratet und bekommt eine Tochter. Rainer ist zufrieden.
Mit der Marktwirtschaft kommt aber auch die erste Spielbank nach Magdeburg. „Ich hab erst gar nicht verstanden, wie gefährlich das ist“, sagt Rainer. „Am ersten Abend habe ich 27.000 Mark gewonnen und mir ein Auto gekauft. Und dann dachte ich, das klappt jetzt immer.“ Bald spielt Rainer jeden Abend. Er verschuldet sich, 1995 geht seine Ehe in die Brüche. Er flieht nach Hamburg, arbeitet fünf Jahre als Aushilfe auf dem Dom, dann als Kellner auf der Insel Norderney.
Erst als Rainer 2008 eine neue Chance als Supermarkt-Filialleiter bekommt, beschließt er, sein Leben umzukrempeln. „Mein Job hat mir Spaß gemacht, ich war richtig gut, und ich habe gedacht, jetzt schaffe ich es, mit dem Spielen aufzuhören“, sagt er. Aber die Sucht ist stärker – Rainer unterschlägt Geld der Firma und setzt sich wieder vor die Spielautomaten. „Das war’s dann“, sagt er leise. „Ich hatte alle enttäuscht, auch meinen Chef. Das konnte ich nicht mehr gutmachen.“ Als er an diesen tiefsten Punkt gekommen ist, gibt Rainer alle Hoffnung auf. Er fährt nach Hamburg und versucht, sich mit einem Sprung in die Elbe das Leben zu nehmen. Die Polizei rettet ihn.
Seitdem ist Rainer wohnungslos und verkauft Hinz&Kunzt. Er macht eine Suchttherapie und lässt sein Geld verwalten. Wenn er an einer Spielothek vorbeikommt, muss er sich immer noch zusammenreißen. Im Moment glaubt er daher nicht so recht, dass es für ihn wieder bergauf gehen könnte. „Ich krieg nie wieder eine Arbeit“, sagt er. „Wer soll so einen wie mich noch einstellen? Ich habe das Gefühl, mein Leben ist schon vorbei.“
Hinz&Kunzt: Wo wohnst du derzeit? Und wie ist es da?
Rainer: Ich wohne in einem Wohncontainer beim U-Bahnhof Hamburger Straße. Das ist okay, weil ich da wenigstens ein Dach über dem Kopf habe.
H&K: Wo ist dein Lieblingsplatz in Hamburg?
Rainer: An meinem Verkaufsplatz in Garstedt. Da habe ich meine Stammkundschaft, die Leute sind alle sehr lieb zu mir. Sie lenken mich auch von meiner Sucht ab. Neulich hat mich sogar ein Kunde zu meinem Lieblingsessen eingeladen: Kohlrouladen!
H&K: Wenn du einen Wunsch frei hättest, was würdest du dir wünschen?
Rainer: Ganz ehrlich – dass es keine Spielautomaten mehr gibt.
Text: Hanning Voigts
Foto: Mauricio Bustamante