Der Knacki, der Rapper, die junge Mutter – sie und neun andere Kandidaten haben alle eins gemeinsam: Sie haben in ihrem Leben bisher nichts auf die Reihe gekriegt. Der Hamburger Sternekoch Christian Rach und sein Team wollen genau solchen Menschen eine Chance geben. Wie alles anfing, kann man derzeit in „Rachs Restaurantschule“ auf RTL verfolgen. Die Wirklichkeit hat die Dokusoap allerdings längst überholt. Wer’s geschafft hat, sichert sich einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz im neuen Slowman im Chilehaus. Wir haben die Crew besucht.
(aus Hinz&Kunzt 212/Oktober 2010)
Ob sie wirklich durchhalten, sie oder die anderen elf Kandidaten von „Rachs Restaurantschule“, das weiß natürlich niemand. Aber für Rena hat es sich jetzt schon gelohnt. Noch nie in ihrem Leben hat die 21-Jährige länger als zwei Monate irgendwo gearbeitet. Im Hamburger Projekt von Sternekoch Christian Rach ist sie jetzt schon vier Monate dabei, zehn Stunden am Tag, fünf Tage die Woche. Und noch etwas hat sich verändert: Die junge Frau, die ein Einstiegsgewicht von 135 Kilo mitbrachte, hat 20 Kilo abgenommen.
„Das macht die Bewegung“, sagt Rena. Das Wort Bewegung ist dabei leicht untertrieben: Die zwölf Kandidaten mussten nicht nur beweisen, dass sie sich fürs Kochen und für den Service engagieren wollen, um nach zwei Monaten Praktikum einen Ausbildungsvertrag zu ergattern. Sie mussten auch gemeinsam die ehemalige Weinhexe im Chilehaus renovieren und sie zu dem machen, was sie heute ist: das hippe „Slowman“. Eine Wahnsinnsleistung für die jungen Leute. Kaum einer hat bisher so lange und so hart gearbeitet.
Zurück zu Rena. Sie tut so, als mache es ihr nichts aus, dass sie als „die Dicke“ gilt. „Dicke geht ja noch, zu Hause galt ich oft sogar als faule Sau.“ Und so ganz abwegig war das auch nicht, findet sie inzwischen selbst: Sie schwänzte ein halbes Jahr die Schule, hockte am liebsten vor dem Computer. Kein Mensch hätte ihr zugetraut, dass sie die zwei Monate Praktikum schafft, die den Einstieg in die Restaurantschule bedeuteten.
Rena geht jetzt in ihre verdiente Pause, macht die Küchentür auf – und prompt stehen da wieder ein paar Touristen mit Fotoapparat. Stehen da wie am Bühneneingang eines Theaters, an dem man auf den Star wartet. „Dürfen wir ein Foto machen?“, fragt eine Frau und hat die Kamera schon im Anschlag. Rena lächelt huldvoll und lässt sich ablichten. Einige ihrer Kollegen mussten sogar schon Autogramme geben.
Küchenchef Frank Bertram, der die Crew zusammen mit seinen Kollegen Hanno Hansch und Restaurantleiterin Sonja Oppermann ausbildet, sieht das mit ausgesprochen gemischten Gefühlen. „Leute, ihr seid hier, weil ihr nichts auf die Reihe gekriegt habt und nicht, weil ihr die großen Fernsehstars seid!“, sagt er immer mal wieder. Längst sind er und seine Kollegen mehr als Gastrochefs.
Das Ausbildungsteam muss sich um alles Mögliche kümmern: Der eine oder andere war schon krank vor Erschöpfung und weil er die Arbeit nicht gewohnt war. Dann wieder taucht einer gar nicht mehr auf und reagiert auch nicht auf Anrufe. Ein anderer hat verschlafen. Drei Stunden! „Hallo, verschlafen, eine halbe Stunde, das kann ja mal vorkommen, aber drei!“ Frank Bertram ist manchmal fassungslos.
Und dann Marco. „Ich hab Scheiß gebaut“, sagt er heute offen. Davon wusste allerdings beim Casting niemand etwas. Der 20-Jährige war genommen worden, weil er trotz gefühlt 100 Bewerbungen keine Lehrstelle bekam und Schulden hatte. Was der schmächtige Berliner verschwieg: Er hatte Kontakt zu einer ganz harten und kriminellen Szene. „Da hab ich mich wohl gefühlt, weil mich plötzlich niemand mehr angemacht hat“, gesteht er. Aber während des Praktikums wurde ihm klar, dass er einen Schlussstrich unter seine Vergangenheit ziehen musste. „Irgendwann hab ich alles dem Herrn Rach erzählt“, sagt er mit treuherzigem Blick. Der Sterne- koch und sein Team haben ihm daraufhin einen Anwalt vermittelt. Es ist, als sei eine Zentnerlast von Marcos Schultern gefallen, obwohl er demnächst vor Gericht stehen wird. „Ich sehe die Restaurantschule als meine letzte Chance“, sagt er.
Eine Chance, bei der er und seine Mitschüler immer wieder an ihre Grenzen geraten. Was dazu führt, dass der Ton untereinander häufig mal zu wünschen übrig lässt. Kein Wunder, bis vor Kurzem lebten alle zwölf noch unter einem Dach; erst jetzt ziehen sie nach und nach in kleinere Wohngemeinschaften. Selbst Sonnenschein Jasmina geht die Nähe auf die Nerven. „Wir arbeiten zusammen, gehen nach Hause, sagen uns gute Nacht und morgens sind meine Kollegen wieder die Ersten, denen ich guten Morgen sage“, sagt sie. „So oft habe ich noch nicht mal meine Mama gesehen.“
Trotzdem: Spaß und Freude, das spürt man, macht den Restaurantschülern und ihren Chefs die Arbeit immer noch. Angelika aus Solingen, mit 44 Jahren die älteste Restaurantschülerin, hat sich zum Beispiel gerade zu einem Sushi-Kurs angemeldet, und das, obwohl sie derzeit jeden Tag die Asia Röllchen vorbereitet. Ihre Begeisterung für die Kochschule ist bei der gelernten Reisekauffrau ungebrochen. Für die Hobbyköchin ist der Job in Hamburg ein echter Traum. Als Hartz-IV-Empfängerin fiel ihr die Decke auf den Kopf. Sie hockte in einem richtigen Tief. „Ich bin ein Typ, der einfach arbeiten muss“, sagt sie. Das trifft sich gut!
Zumal das Slowman – was sinnigerweise langsamer Mann heißt – richtig brummt. „Wir haben mit einem Sturm gerechnet, aber nicht mit einem Orkan“, sagt Küchenchef Frank Bertram. Zulasten der Qualität soll das aber nicht gehen. Mittags gibt es deshalb bis auf Weiteres nur ein kleines Menü für 8,90 Euro. Abends hat man die Auswahl zwischen drei Menüs (à 25 Euro). À-la-carte-Essen ist derzeit nicht möglich. „Wir haben zwar viele Hände, aber die können noch nicht so viel leisten“, sagt Kollege Hanno Hansch.
Deshalb haben die beiden Köche gerade mal wieder bis in die frühen Morgenstunden selbst in der Küche gestanden, so weit wie möglich vorbereitet und sich danach für ein paar Stunden auf Feldbetten in einem Nebenraum gehauen. Ganz schön heftig das Ganze, für die Restaurantschüler und für ihre Chefs. Trotzdem bleibt noch Zeit zum Träumen: „Der Laden muss rocken!“, sagt Frank Bertram. Und meint damit auch, dass es bald Live-Musik im Slowman gibt, mit Bertram an der Gitarre – und Musik von den Rappern Marco und Nourddine. „Die Schüler sollen ja auch Spaß haben“, sagt Bertram. „Schließlich erleben sie tagtäglich, wie wenig sie können. Gemeinsam Musik zu machen wäre ein toller Ausgleich.“ Aber das ist Zukunftsmusik. „Erstmal müssen wir kulinarisch ‚stehen‘!“, sagt Bertram – und in dieser Angelegenheit macht er keine halben Sachen.
Text: Birgit Müller
Foto: Martin Kath