In einem alten Bettengeschäft fing alles an. Hier, in der Thedestraße, gründete vor 30 Jahren eine bunte Truppe von Filmemachern und Filmfreunden ein Medienzentrum: Die Thede. Ihre Mission: Sie wollten mit der Kamera die Welt verändern.
(aus Hinz&Kunzt 211/September 2010)
Christian Bau war infiziert. Er war gerade aus England zurückgekommen: „Das war so Ende der 70er-Jahre.“ Dort war der Kunststudent in einer Szene gewesen, die sich hauptsächlich mit Film befasste. „Es war die Zeit der Workshops, überall bildeten sich Kollektive, die mit Video – das kam ja gerade neu auf – alles filmten, wo sich gesellschaftlicher Widerstand regte.“ Überall dabei sein, jedem eine Kamera in die Hand drücken, alles miterleben und festhalten. Abends das Ganze im Plenum zeigen. Christian Bau war begeistert und wollte unbedingt in Hamburg weitermachen. Es war eine enorme Aufbruchszeit, überall entstanden Medienzentren.
1980 gründete eine Gruppe, zu der unter anderen auch Maria Hemmleb, Manfred Oppermann und Nina Rippel gehörten, einen gemeinnützigen Verein „auf freundschaftlicher Basis zwecks emanzipatorischer Medienarbeit“ – Die Thede. Ihre Mission: „Wir glaubten damals noch, wenn jeder eine Kamera in die Hand bekäme, könnten wir damit die Welt verändern.“ Christian Bau schmunzelt. Eine große Weltveränderung hat es medial in der Tat gegeben, allerdings anders, als der heute 68-Jährige und seine Mitstreiter es sich gewünscht haben. „Wenn eine Panik ausbricht, sieht man hinten garantiert Menschen mit erhobenen Händen, die mit ihren Handys das Geschehen filmen – aus purer Sensationsgier.“
Was die Filmer der Thede reizte, waren andere Dinge: Die Hausbesetzung in der Hospitalstraße war eins der ersten Filmprojekte der Gruppe. Oder – noch vor der offiziellen Vereinsgründung – „Ottensen kämpft“. Damals sollte der Stadtteil komplett umgebaut werden. Auf den Plänen sah er so aus wie heute die City Nord. Aber das ließen sich die Altonaer nicht gefallen. Eine regelrechte Gegenbewegung entstand.
Auch skurrile Projekte entstanden, wie „Lubitsch Junior“ (1990). Die Filmemacher hatten Jahre vorher einen alten St. Paulianer kennengelernt, der steif und fest behauptete, der uneheliche Sohn des Filmemachers Ernst Lubitsch zu sein. Noch besser: Er sei ein Widerstandskämpfer im Warschauer Getto gewesen und habe das Drehbuch zu der berühmten Komödie „Sein oder Nichtsein“ geschrieben. Bei den Recherchen stellte sich heraus: Es hätte alles so gewesen sein können. Dann allerdings verstrickte der alte Mann sich in Widersprüche. Die Gruppe beschloss, von dem Filmprojekt Abstand zu nehmen. Aber wie es oft so ist mit tollen Geschichten: Sie setzen sich im Kopf fest – und lassen einen nicht mehr los. Jahre später machten sie den Film doch, allerdings anders: als Spielfilm, der wie ein Dokumentarfilm daherkommt. Bei dem der Zuschauer nicht mehr genau weiß, ist es nun Wahrheit oder Lüge? „Fake oder not Fake“ sozusagen.
Im wahren Leben hat die Gruppe, zu der heute außer Christian Bau und Artur Dieckhoff („als freier Mitarbeiter“) noch Maria Hemmleb, Alexandra Gramatke, Barbara Metzlaff, Antje Hubert und – seit „Lubitsch Junior“ – auch Jens Huckeriede gehören, Abschied genommen von den anstrengenden Anfangsjahren. Aus der trubeligen Thedestraße sind sie erst in die Stresemannstraße und dann in ruhige Räume in die Blücherstraße gezogen. Kollektiv wird heute auch anders definiert als damals. Jeder verfolgt sein eigenes Projekt. Und dabei geht es nicht mehr unbedingt darum, die Welt zu ändern, sondern genau hinzuschauen.
Das können so unterschiedliche Themen sein wie die Geschichte eines vergessenen englischen Dorfes, das erst wiederbelebt wird, als ein Delfin angeschwemmt wird und etliche Touristen kommen, um ihn zu sehen („Freddie the Dolphin“). Oder die Geschichte eines leer stehenden Hauses, das früher einmal der Familie Guggenheim gehörte („Ab nach Rio“).Wer ein Projekt hat, der diskutiert es intensiv mit den anderen. Und wenn es mal Geld von der Filmförderung gibt, dann arbeiten sie wieder zusammen. Nach wie vor kann keiner von den eigenen Filmen leben. Alle müssen „nebenbei“ arbeiten. Die meisten allerdings in der Filmbranche, als Cutter oder Kamerafrau etwa. Der Luxus: Sie müssen bei ihren Filmen keine Kompromisse machen. Vielleicht sind die deshalb so eigenwillig, so wenig zeitgeistig, so besonders.
Wie „Zwiebelfische“, der Film, der zum 30-jährigen Jubiläum seine Premiere haben wird. Darin geht es um Jimmy Ernst, den Sohn des Künstlerehepaars Max Ernst und Lou Straus, der 1935 eine Schriftsetzerlehre in Glückstadt beginnt und drei Jahre später in die USA emigriert (siehe auch Fotoreportage ab Seite 30). Ein anrührender Film. Zig Leute haben „Zwiebelfische“ – so nennen übrigens Typografen einzelne Lettern, die sich in ein falsches Fach des Setzkastens verirrt haben – vorab sehen dürfen. Die meisten fanden ihn toll. Einer allerdings meckerte: „Glückstadt – und wo bleibt da der Matjes?“ Tja, die Zeiten, in denen ein Plenum noch bis ins Letzte mitentscheiden konnte, sind auch in der Thede vorbei. Der Matjes, der muss draußen bleiben.
Text: Birgit Müller
Foto: Cornelius M. Braun