Das Hamburger Projekt „Wohnschmiede“ hilft Obdachlosen, die durch alle Raster fallen. Der Rumäne Constantin hat inzwischen sogar einen Job.
„Ich bin sehr zufrieden“, sagt Constantin* und lässt sich auf einen harten Holzstuhl fallen. Der 56-Jährige strahlt über das ganze Gesicht. Dabei ist sein Zuhause keine 14 Quadratmeter groß, bietet gerade mal Platz für ein Bett, einen schmalen Schrank, einen Kühlschrank und den unbequemen Stuhl, auf dem Constantin jetzt sitzt und von seinem „großen Glück“ spricht, während er den Blick durch den Container schweifen lässt.
Sechs voll ausgestattete Wohncontainer plus einen weiteren, größeren Container mit einer Einbauküche hat die Behrens-Stiftung auf dem Gelände der Christuskirche in Eimsbüttel aufstellen dürfen – ermöglicht durch eine große Privatspende und Eigenmittel. Für ein Projekt, das es in dieser Form für Obdachlose in Hamburg noch nicht gegeben hat und das nicht nur Constantins Leben verändert hat, sondern auch ein Vorbild für die Hilfelandschaft sein könnte.
„Ich stand bereits mit einem Bein am Abgrund.“
Wohnschmiede-Bewohner Constantin
Wer Constantin heute in dem Containerdorf Wohnschmiede trifft, käme nicht auf die Idee, dass der Mittfünfziger lange auf der Straße gelebt hat und „mit einem Bein am Abgrund stand“, wie er selbst sagt. Zu ordentlich ist der gebürtige Rumäne gekleidet. Sein Hemd und die Stoffhose haben nicht einmal Falten. Zur Begrüßung bietet er höflich etwas zu trinken an. Dann erzählt er kurz und knapp, wie er in der Obdachlosen-Unterkunft Pik As schlief. Dass er im städtischen Winternotprogramm in der Halskestraße war, Hinz&Kunzt verkauft hat. Und als er schließlich in der Einfahrt eines Parkhauses in der Innenstadt schlief, war Constantin froh, dass es spendenfinanzierte Hilfsangebote wie den Mitternachts- oder auch den Duschbus gibt.
Aber all die Helfer:innen konnten Constantin nicht von der Straße holen. Und beim städtischen Unterkunftsbetreiber Fördern & Wohnen hatte er keine Chance. Als Ausländer wäre ein sogenannter Rechtsanspruch nötig. Den erhält aber nur derjenige, der hierzulande längere Zeit regulär gearbeitet hat. Trotzdem blieb Constantin in Hamburg und kehrte nicht in seine Heimat zurück.
Ohne Wohnung keine Arbeit, ohne Arbeit keine Wohnung …
Um das zu verstehen, hilft ein Blick in die Lebensgeschichte des gelernten Schneiders. Constantin stammt aus dem Nordosten Rumäniens, eine der ärmsten Gegenden Europas. Keine andere Region der EU wurde seit Anfang der 1990er-Jahre von mehr Menschen verlassen. Heute gilt die Gegend als ein Armenhaus Europas. 1998 verließ Constantin auf der Suche nach Arbeit sein Land. Sein Wegbegleiter auf dem Weg nach Deutschland: der Alkohol.
Trotzdem fand er in Deutschland lange Zeit mal hier, mal da einen Job auf Baustellen oder in Lagerhallen. Einen Arbeitsvertrag erhielt er nie. Deshalb hat er auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Obwohl Constantin irgendwann ziemlich am Ende war, habe er sich nie aufgegeben, sondern immer davon geträumt, „ein gutes Leben zu machen“. Über betrunkene Obdachlose, die er manchmal auf der Straße sieht, sagt er heute mit ernstem Blick: „Ich war schlimmer.“
Dass Constantin noch einmal die Kurve bekommen hat, verdankt er Straßensozialarbeiter Julien Peters, der ihn in das Projekt Wohnschmiede vermittelt hat. Die Bewohner:innen der Container – eine Frau, fünf Männer – teilen sich eine Küche. Kein Fettspritzer verschmiert die Arbeitsflächen. Auch der Hof ist ordentlich gefegt. Geranien wachsen in Blumenkästen an den Außenwänden der Container. Verantwortlich für all das sind die ehemals Obdachlosen.
Constantin fühlt sich hier wohl. Er lebt zurückgezogen, ohne viel Kontakt zu den Nachbar:innen. Freundschaften waren bei ihm immer mit viel Alkohol verbunden. „Allein ist es besser“, sagt Constantin, der seit bald einem Jahr nicht mehr trinkt. Statt mit Alkohol verbringt er den Tag jetzt mit Putzen. Seit April arbeitet er als Reinigungskraft in einer Schule. Fünf Tage die Woche, jeweils vier Stunden für einen Stundenlohn von 13,50 Euro. Ohne die Hilfe der zwei Sozialarbeiter des Projekts hätte er das nicht geschafft. Mit einem Stundenumfang von insgesamt 40 Stunden kümmern sich Nikolas Borchert und Sören Kindt um die sechs Bewohnenden. Zum Vergleich: In einer städtischen Unterkunft liegt der Betreuungsschlüssel bei 1 zu 80.
Constantin hat die beiden ins Herz geschlossen. Er habe viele Sozialarbeiter kennengelernt, sagt er: „Aber niemand war so gut wie Niko und Sören.“ Ob der Lobeshymne wird Nikolas Borchert kurz verlegen, dann stellt er klar: „Wir machen nur unsere Arbeit.“ Dass er damit so viel Erfolg hat, ist für den seit vielen Jahren in der Wohnungslosenhilfe tätigen Sozialarbeiter allerdings eine neue Erfahrung.
Viel zu oft, sagt Borchert, stecken Obdachlose aus anderen EU-Staaten in der Situation, dass sie eine Arbeit suchen, diese aber nicht finden, weil sie keine Wohnung vorweisen können und zudem keine Unterstützung erfahren. Eine Endlosschleife, aus der die Behrens-Stiftung jetzt einen Ausweg aufzeigt, wie das Beispiel Constantin zeigt. Von der Straße in den Container bis zum Arbeitsvertrag schaffte es der Rumäne in vier Monaten – der Weg zur Entfristung ist nicht mehr weit.
Constantin hat nun auch Anrecht auf einen Platz in einer städtischen Wohnunterkunft. Doch den braucht der Rumäne wohl nicht mehr. Denn die Sozialarbeitenden sind zuversichtlich, für ihn eine Wohnung zu finden. Es wäre die Krönung für Constantin – und fürs Projekt Wohnschmiede.