Schlafen im Lkw

Schuhe ausziehen!

Ruhe finden zwischen Strom­masten, Schienen und Autobahn: Alltag für die Trucker auf diesem Rastplatz in Altenwerder. Foto: Dmitrij Leltschuk

Wie schläft es sich in einem Lkw? Eine Gruppe von Fahrern erzählt davon – und vom Alltag auf der Autobahn.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Neben einer Shell-Tank­stelle in Hamburg-Altenwerder steht ein Haus, auf dem prangt in Großbuchstaben: „TRUCKER TREFF“. Es ist ein Montagabend, kurz nach fünf, da beginnen hier, im TRUCKER TREFF, die Vor­bereitungen auf die kommende Nacht. Viele Männer und ein paar Frauen ­betreten den Autohof, manche biegen links ab, zu den Duschen, andere nach rechts, in eine rauchverhangene Stube. In der sitzen gerade vier
Männer und unterhalten sich über ihren Schlaf.

Da gibt es zum Beispiel Heinrich, den älteren Stammgast, der schon so einige Nächte auf dem Parkplatz vor dem Autohof verbracht hat. Oder Stefan, mit 38 Jahren der Jüngste der Runde, der erzählt, er schlafe häufiger im Lkw als zu Hause. Damit ist er nicht der Einzige, aber der Einzige, der findet: „Im Lkw schlafe ich besser.“

Ihm gegenüber sitzt Michael, 57 Jahre alt, der sagt: „Ich versuch vorzuschlafen, klappt natürlich nicht. Am Sonntagabend, wenn alle anderen noch im Garten sitzen, da muss ich dann los.“ Und es gibt Thorsten,
58 Jahre alt, Langzeittrucker: „Nach 30 Jahren hatte ich keine Lust mehr, wochenlang unterwegs zu sein. Ich fahre nur noch in Deutschland, schlafe meist zu Hause. Nur heute mache ich mal eine Ausnahme.“

Die Fernfahrer unterhalten sich nicht zufällig über ihre Schlafgewohnheiten. Die Frage an die vier war:
Wie schläft es sich in einem Lkw? Da breiteten sie – vor sich ordentlich gefüllte Teller mit Backfisch, Gyros oder Schnitzel – schon ihre ganze Lebens­geschichte aus.

Michael zum Beispiel, der erzählt gerade von seinen drei Ehen. Seine dritte ist die aktuelle und die, von der er glaubt, dass sie hält. Die anderen beiden hätten das Truckerleben nicht durchgehalten, meint Michael. Dirk im roten Holzfällerhemd, der gerade erst zur Runde dazugestoßen ist, nickt zustimmend: „Ja, das muss die Frau schon mit­machen.“ Dirks Hobbys sind Kochen und Grillen. Jeden Samstag geht er mit seiner Frau, zu Hause in Nordrhein-Westfalen, einmal groß einkaufen, für ihre Woche und für ­seine. Die verbringt sie zu Hause in Hamm und er meist komplett in seinem Lkw. Seit 18 Jahren ist Dirk nun schon Fernfahrer. Da bedarf es, man ahnt es schon, gewisser Anpassungen bei seinen Hobbys, dem Kochen und dem Grillen.

Also, erzählt Dirk, mache er sich oft Dosen warm, auf seinem Camping­kocher. Manchmal hält er aber auch in einem Gewerbegebiet, und wenn er dort einen Supermarkt findet, kauft er frisch ein. Dannholt er sich auch mal etwas Fleischfür seinen Grill, der ist zwar recht klein, aber dafür passt er in die schmale Luke, links unter ­seinem Fahrer­häuschen.

Hinz&Kunzt: „Wie lange kennt ihr euch denn?“

Thorsten: „Wir kennen uns nicht.“

Michael: „Also, erst seit ein paar Minuten. Ich kam rein und hab einfach gefragt, ob ich mich dazusetzen kann.“

Hinz&Kunzt: „Wirklich? Ihr wirkt so vertraut.“

Wieder Michael: „So gehört sich das eben. Wenn du jeden Tag nur alleine bist, verblödest du ja irgendwann.“

Da schwärmt Thorsten von den 1980er-Jahren. Er sagt: „Da hast du ­immer dieselben getroffen. Hast den Campingtisch ausgepackt und zu­sammen den Abend verbracht.“

Thorsten ist ein echter Trucker-­Romantiker. ­Zumindest war er das mal: Das Fahren war für ihn das
größte Abenteuer, meist war er mehrere Wochen unterwegs, einmal ein halbes Jahr am Stück. Er ist durch Lappland gefahren, da liefen die Rentiere neben seinem Lkw. Oder bis nach Istanbul, einmal von Europa nach Asien. So ­habe er beinahe jedes Land in Europa gesehen, sagt er. Bis er letztes Jahr ­beschlossen habe, dass es ihm reicht. Jetzt bereitet er sich auf die Rente vor, ist nachts meist zu Hause, bei seiner Frau. Die sich daran erst mal ge­wöhnen musste, sagt Thorsten.

Der Alltag im Fernverkehr hat ­seinen eigenen Rhythmus, für die fünf beginnt er oft tief in der Dunkelheit. Und dauert an, bis der Tacho ihnen sagt, es sei jetzt mal Zeit für eine ­Pause, für etwas Schlaf.

Die fünf sind natürlich nicht die Einzigen im Truckertreff. Manche ­sitzen allein an einem Tisch und ­wollen ihre Ruhe. Ein ­Ukrainer tippt in sein Handy, müde sei er, ihm ist gerade nicht nach Unterhaltung. Andere holen sich am Tresen nur schnell etwas zu essen und gehen wieder raus. Viele von ihnen sprechen Polnisch, manche auch Russisch. So wie Sergeij, der aus einer Kleinstadt in Belarus kommt. Er ist 42 Jahre alt, hat eine Tochter, und ihretwegen arbeitet er seit zwei Jahren als Fernfahrer – denn mit den anderen Jobs, die er in Belarus bekam, habe er nicht genug verdient, damit er ihr ein Studium ­finanzieren könne. Meist ist er 30 Tage am Stück unterwegs, dann isst er an Autohöfen und schläft in seiner Kabine.

Überhaupt, die Kabine. Bis 2020 durften Lkw-Kabinen maximal 2,35 Meter lang sein, dann hat die EU beschlossen, dass die Hersteller diese um bis zu 90 Zentimeter verlängern dürfen. In den Kabinen ist Platz für ein schmales Einzelbett hinter dem Sitz der Fahrerin oder des Fahrers. Wie komfortabel es in der Kabine ist, hängt von dem ­jeweiligen Modell ab, vor allem aber auch vom Arbeitgeber. Manch eine ­Firma, erzählen die Fernfahrer, baue ihren Fahrern einen Fernseher ein, andere stellen gerade mal das Nötigste.

Heinrich, der graue Stammgast am Tisch, denkt, die Fernseh-Firmen seien klar im Vorteil: „Wenn du heute noch Fahrer haben möchtest, dann musst du dir schon etwas überlegen.“

Michael sagt: „Vieles nimmt man sich aber sowieso von zu Hause mit: das Bettzeug, die Handtücher …“
„Klar, das ist wie ein zweiter Hausstand“, sagt Thorsten. Stefan stimmt ihm zu: „Wenn du den Lkw wechselst, dann ist das wie ein Umzug.“

Der Lkw ist für sie nicht nur eine Schlafstätte, er wird zu einem zweiten Zuhause. Auch weil die meisten darin deutlich mehr Zeit verbringen als in ihren Häusern und Wohnungen. ­Manche Kabinen sind kahl, darin gibt es nur das Nötigste, alles ist ordentlich verstaut. Manche aber sind bunt ­geschmückt, so wie die von Michael, der – obwohl doch aus Niedersachsen – seine Kabine mit Fanschals des FC Bayern ausgehängt hat. In anderen findet man ebenfalls Erinnerungen an den Lieblingsverein (den HSV oder Schalke 04), kleine Fotos, einen Rosenkranz, DVDs, Zeitschriften. Die Ordnung ist ihnen allen heilig, eine Regel ist für alle ganz klar: Wer ihre Kabine betritt, muss die Schuhe ausziehen.

Später, als sich die Dunkelheit über den Autohof legt, die meisten Scheiben der Lkws mit Vorhängen verhangen sind und nur aus wenigen noch Licht auf den Parkplatz dringt, gehen die fünf an den vielen Lkw vorbei zurück in ihre Kabinen. Nach ­einem harten Tag, da liege man schon mal eine Weile wach, hat Michael erzählt. Er höre dann, wie beim Fahren auch, Hörbücher; aktuell am liebsten die Ostfrieslandkrimis von Klaus-
Peter Wolf. Manche sehen sich noch einen Film an. Dirk, der Koch, hat ­einen Fernseher in der Kabine und immer eine alte Rocky-DVD dabei. Nur Stefan, der telefoniert vielleicht noch mal kurz, aber sobald er sich hinlegt, schläft er sofort ein. Bis es morgen früh weitergeht und sie alle wieder aufbrechen, in unterschied­liche Richtungen.

Artikel aus der Ausgabe:

Gut geschlafen?

Wie schlecht Obdachlose schlafen – und was das für ihre Gesundheit bedeutet. Wieso es im Stadtteil Niendorf Widerstand gegen neue Hilfseinrichtungen gibt. Außerdem: Besuch im Zusatzstoffmuseum und Interview mit Kettcar-Bassist Reimer Burstorff.

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Autor:in
Anna-Elisa Jakob
Anna-Elisa Jakob
Ist 1997 geboren, hat Politikwissenschaften in München studiert und ist für den Master in Internationaler Kriminologie nach Hamburg gezogen. Schreibt für Hinz&Kunzt seit 2021.

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