In vielen Lebensmitteln verstecken sich künstliche Zusatzstoffe. Das nicht minder gut versteckte Deutsche Zusatzstoffmuseum klärt über Geschmacksverstärker, Emulgatoren und andere Additive auf.
Im ersten Moment ist das Deutsche Zusatzstoffmuseum genau so, wie man sich ein Deutsches Zusatzstoffmuseum so vorstellt, also, falls man das schon mal getan haben sollte. Es ist ein kleiner, etwas muffiger Raum mit winzigen Fenstern, der äußerst schwer zu finden ist. Er liegt, ganz versteckt, auf dem riesigen Gelände des Hamburger Großmarkts. Um dorthin zu gelangen, muss man an einem Tor klingeln, dann zu einem Tor daneben laufen, dann über das Großmarktgelände gehen und den kleinen Raum finden. Und dann wartet am Eingang der Museumsdirektor und damit auch der, na ja, einzige Mitarbeiter des Museums.
Christian Niemeyer ist ein lebhafter, freundlicher Mann, dem man gar nicht anmerkt, dass er den ganzen Tag recht allein in diesem winzigen Raum verbringt, seit 15 Jahren. Er freut sich über alle, denen er etwas über Zusatzstoffe erzählen kann und ein Jahrzehnt nach der Museumseröffnung waren das immerhin schon 50.000 Leute. Ihm ist durchaus bewusst, dass Zusatzstoffe ein eher nischiges Thema sind, für ein eigenes Museum jedenfalls. Doch genau das ist ja das Problem, findet er, und dass man irgendwo anfangen müsse mit der ganzen Aufklärung. Am Eingang wird man mit einem Schild begrüßt, auf dem steht: „Die aufgeklärten Verbraucher sollen durch ihre Kaufentscheidungen den Markt steuern, aber wie aufgeklärt sind sie?“ Und dann: „Treten Sie ein!“
Die Museumstour beginnt schon auf dem Flur, dort wurde ein langer Zeitstrahl auf die Wand geklebt. Der macht schon mal deutlich, dass Zusatzstoffe eine gewisse Tradition haben. So bemerkte etwa schon 1156 Kaiser Barbarossa, dass in Augsburg das Bier gepanscht wurde und stellte das Bierpanschen unter Strafe. Und 1820 schrieb ein Chemiker ein ganzes Buch über die „Verfälschung der Nahrungsmittel und von den Küchengiften“. Im Museum liegt nun ein anderes, ein neueres Buch aus: „Zusatzstoffe von A bis Z“, geschrieben hat es der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer.
Der meint, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten, vor allem durch Bemühen der EU, die Deklaration von Zusätzen schon deutlich verbessert habe. Doch noch immer biete das Recht mehrere Lücken, die es erlaubten, Zusätze zu verheimlichen. Das geschehe etwa in Kantinen, Restaurants, Metzgereigen und vor allem Bäckereien. Dort muss es zwar eine Zutatenliste geben, doch die liegt dann irgendwo hinter der Ladentheke, kontrolliert würden diese auch nicht regelmäßig. Weil Zusatzstoffe so oft kritisiert werden, würden sie nun oft durch „funktionale Additive“ ersetzt. Das bedeutet, dass Produkte aus Eiweißen von Molke, Soja oder Weizen hergestellt werden. Und die zwar wie Zusatzstoffe wirken, aber auf der Packung nicht so ausgewiesen sind. Da steht dann „Milcheiweißerzeugnis“ oder „Sojaeiweiß“, was ja recht natürlich klingt.
Über solche Dinge wird man selbstverständlich auch im Museum aufgeklärt. Das ist aufgebaut wie ein kleiner Supermarkt. Nur sind alle Lebensmittel hier kleine Holztafeln, dazu gibt es umso längere Erklärungen. In der Backabteilung zum Beispiel: Da steht, dass bei verpackten Backwaren darauf verzichtet werden darf, Stoffe wie Cystein aufzulisten, die ein Produkt maschinenfreundlicher machen.
Wie in einem echten Supermarkt steht man auch im Museum vor Entscheidungen. Also: Apfelsaft, Energydrink, Fruchtsaftgetränk oder Zitronenlimo? In unserem Einkaufskorb landet heute mal die Zitronenlimo, dazu Jodsalz und ein Bauernbrot, dann noch Veggie-Wurst, eine Tütensuppe (Waldpilzcreme) und zum Nachtisch eine Packung Pralinen und Jellybohnen. An der Kasse bekommen wir dann eine Rechnung ausgedruckt, also nicht in Euro, sondern in Zusatzstoffen. Das sind in unserem Fall 15: einmal Emulgatoren, einmal Enzyme, sechsmal Farbstoffe, viermal funktionale Additive, zweimal Säuerungsmittel und Säureregulatoren, dreimal Trennmittel, einmal Verdickungsmittel, dreimal Aromastoffe und Geschmacksverstärker und auch ein verbotener Zusatzstoff. Außerdem, das steht ganz unten, ist noch ein Zusatz in unserem Einkaufskorb, bei dem „häufig nur der Hersteller weiß, ob es sich dabei um normale Zutaten oder funktionale Additive handelt“.
An dieser Stelle eine Frage an Christian Niemeyer: Hat er eigentlich noch Spaß beim Einkaufen? Vergeht ihm nicht die Lust, wird er nicht wahnsinnig, wenn er sich all diese Zusatzstoffe ansieht, durchrechnet, sein Kopf muss ja platzen zwischen den Regalen? Er könne das schon noch sehr entspannt machen, meint Christian Niemeyer. Und es sei ja grundsätzlich auch besser, wenn man versteht, was in den Lebensmitteln drin ist, die man zu sich nimmt. Eine gute Faustregel für alle Laien sei, sich einfach anzusehen, ob einem irgendwelche Begriffe auf der Zutatenliste fremd vorkämen. Ob da irgendein Wort steht, das sie noch nie gehört haben, eine Bezeichnung, die äußerst kompliziert klingt. Dann ist das wohl ein Zusatzstoff. Und auch die sind ja nicht immer gleich schädlich für den Körper. Nur, was Christian Niemeyer verärgert und auch die Stiftung, die dieses Zusatzstoffmuseum finanziert, ist die fehlende Transparenz.
Christian Niemeyer hat in seinem Museum eine ganze Reihe kleiner Fläschchen stehen, sieht aus wie eine Apotheke, sind aber Aromen. In seiner Auswahl sind Banane oder Himbeere, Knoblauch und Salatgurke, Parmesan gibt es, Döner auch. An denen darf man gerne riechen, sagt Niemeyer. Im echten Supermarkt ist es so: Ein Erdbeeraroma darf auf der Verpackung als „natürliches Erdbeeraroma“ bezeichnet werden, obwohl es durch Pilzkulturen hergestellt wurde. Wenn der Geschmack eines Lebensmittels durch Hefeextrakt verstärkt wird, darf es mit „ohne Geschmacksverstärker“ beworben werden. Das sei, findet Christian Niemeyer, einfach nicht korrekt. Er wünschte sich, dass mehr Menschen darüber Bescheid wüssten. Und dass sie dazu, na ja, auch gerne in sein Museum kommen dürften.
Um kurz nach drei kommen dann doch noch zwei Besucher:innen, ein Mann und eine Frau. Sie gehen aufmerksam durch die Gänge, packen ihren Einkaufskorb, lesen selbst, wie viele Zusatzstoffe sie eingekauft haben, stellen irgendwann auch interessiert Fragen. Und Christian Niemeyer beantwortet sie natürlich gerne.
Selbst die Sache mit dem komplizierten Hinweg erklärt sein Museumsflyer noch: Man sei eben so gut versteckt wie all die Zusatzstoffe, die Pulver und Flüssigkeiten, die Menschen jeden Tag verspeisten, ohne es zu wissen. Die gehörten nicht ins Essen, sondern ins Museum. Also, findet das Museum.