Momentaufnahme

„Es ist alles immer besser geworden“

Frank, 50, verkauft vor dem Mercado in Ottensen. Foto: Mauricio Bustamante

Frank, 50, verkauft vor dem Mercado in Ottensen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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„Es ist ärgerlich“, sagt Frank. Der Hinz&Künztler arbeitet seit März letzten Jahres als Ein-Euro-Jobber in der Naturwerkstatt Wilhelmsburg. 15 Stunden pro Woche kümmert er sich dort um die Pflanzen, die das Sozialkaufhaus neben Möbeln oder Kleidung an Bedürftige verkauft. Das Grünzeug zu pflegen macht ihm „richtig Spaß“, sagt der 50-Jährige. „Das wusste ich vorher gar nicht.“ Aber nun soll die Naturwerkstatt zum 25. Januar schließen: Folge der Einsparungen bei den Jobcentern, die die Ampel-Koalition im Bund beschlossen hat.

Frank stammt aus Stuttgart. Seine leibliche Mutter gab ihn zu den Groß­eltern, als er zehn Tage alt war.
„Die waren für mich wie Mutter und Vater“, erzählt er. „Ich habe sie auch so angeredet.“ Leicht war es für den
Jungen trotzdem nicht. Die Oma war psychisch krank, der Opa Alkoholiker. Dann der Schock: Frank fand seinen Großvater im Bad, er hatte sich erhängt. „Ich ­bin dann sehr ruhig geworden“, um­schreibt er das anhaltende Trauma. Da die Oma ebenfalls suizidgefährdet war, kam Frank ins Heim. Zehn Jahre alt war er da.

Danach schien niemand mehr mit dem Jungen fertig zu werden. Wegen eines Geburtsfehlers – einer Hand mit nur zwei Fingern – wurde er gehänselt. „Das haben die aber nur einmal gemacht“, sagt Frank, der sich immer
öfter „schlägerte“, wie er als Süddeutscher sagt. Früh konsumierte er Drogen, probierte auch Heroin, Kokain und Tabletten. Es folgten verschiedene Heime und Abenteuerpädagogik. Aus seiner Bäckerlehre flog er, weil er
den Gesellen verprügelte. Mehrfach wanderte er in den Knast. Kurz bekam
er die Kurve, wurde clean, heiratete und bekam eine Tochter. Doch als Frank rückfällig wurde, zerbrach die Beziehung. Er lebte damals in einem Dorf in Niederbayern und wollte einen Neuanfang, erzählt Frank. So kam er 2014 nach Hamburg.

Zwei Jahre lang lebte er hier auf der Straße, kam zu Hinz&Kunzt und ging in eine Substitutionsambulanz. „Seitdem ist alles langsam immer besser geworden“, sagt er. Als er die Chance auf ein Zimmer im Bodelschwingh-Haus bekam, griff er zu.

Vier Jahre lebte Frank in der Diakonie-Einrichtung für wohnungslose Menschen. „Das war wie Ankommen.“ Er stabilisierte sich und konnte an einer Maßnahme des Jobcenters teilnehmen. Doch dabei erlitt er einen Burn-Out: „Wir haben eine Deponie renaturiert. Ich hab Plastikfolien da drauf geschweißt. Es war heiß, es gab keinen Schatten und immer den Berg hoch“, erinnert er sich. „Ein Knochenjob.“ Trotz der psychischen Krise blieb Frank stark. Über eine Hilfseinrichtung bekam er die Chance auf eine eigene Wohnung, erst als Untermieter, inzwischen mit unbefristetem Mietvertrag.

Substituiert wird Frank noch immer. „Ich würde womöglich aus Langeweile wieder irgendwas konsumieren, und so habe ich keinen Suchtdruck“, sagt er und ist zufrieden. Auf seinem Hinz&Kunzt-Verkaufsplatz trifft man ihn immer ab mittags. „Meine Stammkunden sind es gewohnt, dass ich dann da bin.“ Nur die Schließung der Naturwerkstatt Wilhelmsburg bedauert er sehr: „Schon schlimm. Gerade Sachen, die wirklich in Ordnung sind, die gehen kaputt.“

Artikel aus der Ausgabe:

Hamburg, kannst du Karneval?

Pünktlich zum Karneval wird aus einem Gottesdienst in Ottensen eine rheinische Prunksitzung. Hinz&Kunzt hat sich unter die Jecken gemischt. Außerdem: Tod und Trauer im Schwerpunkt. Ein Besuch im Hospiz. Bei einer Bestatterin. Und die Spurensuche nach einem verstorbenen Hinz&Künztler.

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Autor:in
Annette Woywode
Chefin vom Dienst und stellvertretende Chefredakteurin