Ein Obdachloser wurde tot aufgefunden. Eine Spurensuche

Sein Name war Daniel

Unter dieser Brücke suchte Daniel einer Anwohnerin zufolge immer wieder Schutz. Foto: Mauricio Bustamante

Ein Obdachloser ist Ende November tot in einem Garagenhof in Billstedt gefunden worden. Wer war der Mann? Eine Spurensuche

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Braune Garagentore säumen die Kreuzung, an der die Dringsheide und der Schiffbeker Weg in Billstedt aufei­n­andertreffen. Um den Garagenhof herum stehen Wohnhäuser aus rotem Backstein. Am 26. November 2023 ist hier in einem Hof ein Obdachloser gestorben. In der Nacht zuvor waren die Temperaturen unter den Gefrierpunkt gefallen. Da die Staatsanwaltschaft keine Obduktion veranlasst hat, ist nicht auszuschließen, dass der Mann erfroren ist. Fest steht: Er ist einer von mindestens 16 Obdachlosen, die im vergangenen Jahr auf Hamburgs Straßen gestorben sind.

Der Mann war 52 Jahre alt und rumänischer Staatsbürger – mehr gibt die Polizei auf Nachfrage nicht bekannt. Auch wie er aufgefunden wurde, ob Angehörige ausfindig gemacht werden konnten und wo er bestattet wird, verrät die Polizei nicht. Ende ­Dezember begibt sich Hinz&Kunzt auf Spurensuche. Wer war der Obdach­lose, der einsam mitten in einer Wohngegend starb?

An diesem letzten Freitag des Jahres 2023 regnet es in Strömen. An einer Tankstelle am Schiffbeker Weg beginnt die Suche. Mitarbeiterin Katrin Pohlmann nickt sofort, als sie auf den verstorbenen Obdachlosen angesprochen wird. Sie wisse, um wen es geht. „Er hat oft gegenüber in der Bushaltestelle gesessen oder vor dem Rewe ­nebenan“, sagt die Tankwartin. Auch wo er gefunden wurde, wisse sie. Ihr Mann habe gesehen, dass da jemand gelegen habe und die Polizei vor Ort ge­wesen sei. Sie geht nach draußen und zeigt auf einen Garagenhof ein paar Meter weiter hinter dem Supermarkt. In der Vergangenheit habe sie schon mal den Rettungsdienst gerufen, weil der Mann nicht mehr ansprechbar war, erzählt sie. Das sei eine Weile her. Seinen Namen kenne sie nicht. Auch wo er herkam oder wo er übernachtet hat, wisse sie nicht. Die Mitarbeitenden vom Supermarkt, die wüssten vielleicht mehr.

„Wir kannten ihn seit mindestens eineinhalb Jahren“, sagt der Markt­leiter der Rewe-Filiale, Dominic ­Liebscher. Als er Ende November in der ­Tageszeitung von einem toten Obdachlosen las, habe er sofort gewusst, um wen es sich handelt. Der obdach­lose Mann, der vorher fast täglich zum Rewe kam, sei seitdem nämlich nicht mehr aufgetaucht. Auch der Markt­leiter kennt seinen Namen nicht. Er habe nur wenige Male mit ihm gesprochen. Beschreiben kann er ihn jedoch: „Groß und dünn, trug immer einen bunten Rucksack, eine Kappe und eine lange schwarze Jacke.“

Ungeklärte Todesfälle in Hamburg

In Hamburg sterben jährlich rund 18.000 Menschen. Bei etwa 7500 wird das Landeskriminalamt 41 eingeschaltet, weil die Todesursache entweder unklar oder nicht natürlich gewesen ist. Anders als bei Daniel gibt es auch Todesfälle, bei denen die Identität der Verstorbenen zunächst unbekannt ist. Etwa 50 Fälle soll es laut Polizei pro Jahr geben, unter diesen unbekannten Toten sind oftmals Obdachlose. Die Staatsanwaltschaft leitet das Todesermittlungs­verfahren und entscheidet, ob eine Obduktion gemacht wird. Die meisten ­Obdachlosen, die in Hamburg auf der Straße versterben, werden obduziert. Die Ermittler:innen vom LKA 41 versuchen die Toten zu identifizieren. Wenn das gelungen ist, werden Angehörige ausfindig gemacht und informiert. Falls diese sich im Ausland befinden, so die Polizei weiter, wird die konsularische Vertretung hinzugezogen. Etwa ein bis zwei Menschen bleiben unbekannte Tote. Weitere Infos: www.huklink.de/sterbefaelle

Wann er den Obdachlosen zuletzt gesehen habe? Das kann Dominic Liebscher genau beantworten. Er entschuldigt sich und verschwindet im Laden. Einige Minuten später kommt er zurück. „Am 19. November“, sagt er bestimmt. Einen Tag zuvor sei der Mann im Windfang des Supermarkts umgefallen und die Mitarbeitenden hätten einen Rettungswagen gerufen. „Das ist auf den Überwachungskameras auf­gezeichnet worden, die ich eben noch einmal durchgegangen bin“, sagt er. Tags darauf sei der Obdachlose wiedergekommen und habe nach seinen Magazinen gefragt. Danach hätten ihn die Rewe-Mitarbeitenden nie wieder gesehen. Seine Magazine? „Er hat hier Hinz&Kunzt verkauft. Früher ist er nur Kunde gewesen, aber vor ein paar Monaten hat er angefangen, hier das Straßenmagazin zu verkaufen.“ Das ist eine neue Spur. Wenn der Tote Hinz&Kunzt-Verkäufer gewesen ist, stehen die Chancen gut, seinen Namen – und sogar noch mehr – herausfinden zu können.

Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen. Hinz&Kunzt-Vertriebsleiter Christian Hagen gibt am Telefon durch, dass seit einiger Zeit Daniel G. vor dem Rewe seinen Verkaufsplatz habe – ein 52-Jähriger, geboren in Iași, Rumänien. Das stimmt mit den An­gaben der Polizei überein. Zuletzt ­habe Daniel Mitte November Magazine eingekauft, weiß Christian Hagen – und auch das passt.  Bei Hinz&Kunzt habe sich niemand darüber gewundert, Daniel länger nicht gesehen zu haben, da er nie regelmäßig vorbei­gekommen sei.

Der Vertriebsleiter schickt ein Bild von Daniel, das für den Verkaufs­ausweis gemacht worden war. Der Mann auf dem Foto hat braune Augen und einen grauen Stoppelbart. Freundlich, mit leicht angedeutetem Lächeln, schaut er unter seiner Kappe hervor in die Kamera. „Ja, das ist er. Kein Zweifel“, Marktleiter Dominic Liebscher nickt überzeugt, als er das Foto sieht. Viele Treffer, aber noch keine Gewissheit.

Auch die Mitarbeitenden der ­Apotheke nebenan erkennen den Mann auf dem Foto. Eine Kundin, die gerade im Laden ist und nebenan bei Rewe ­arbeitet, weiß als erste und wie sich später herausstellt auch als einzige ­seinen Namen: „Daniel.“ Den kenne sie, weil er ihn den Sanitäter:innen ­genannt hat, die ihn nach seinem Zusammenbruch im Windfang mit­genommen hatten.

„Er hat beim Park in einem Zelt übernachtet“, sagt die Rewe-Mitarbeiterin. Petra Kaya, ihre Kollegin, bestätigt das. Auf einer Onlinekarte zeigt sie den Ort, an dem Daniels Zelt gestanden ­haben soll. Sein Fundort, der Garagenhof, liegt auf dem Weg zwischen Rewe und dem Park. Manchmal habe er auch unter einer nahen Autobahn­brücke übernachtet. Petra Kaya wohnt in einem der Häuser am Garagenhof, wo der Obdachlose gefunden wurde. „In der Spalte zwischen den Garagen soll er gelegen haben“, sagt sie.

Eine weitere Mitarbeiterin, Bettina Cataldi, kommt nach draußen. „Er hat erzählt, dass er zwei Kinder hat“, sagt sie. „Als seine Frau sich von ihm ­getrennt hat, ist sein Leben bergab ­gegangen und er ist auf der Straße gelandet.“ Mehr habe Daniel nicht erzählt. Sein Alter kenne sie jedoch: Er war 52 Jahre alt. Das passt. Ab und an habe sie ihm ein Brötchen gekauft, aber das sei Daniel unangenehm gewesen. Zuletzt ging es ihm schlecht, sagt Bettina Cataldi. „Ich hatte das Gefühl, dass er wirklich abgebaut hat. Er ­wurde immer dünner und gelblich im Gesicht. Zuletzt hatte er auch einen Stock, auf den er sich stützen musste“, sagt sie und schaut bedrückt zu Boden. Andere Rewe-Mitarbeiter:innen bestätigen ­ihre Schilderung. Auch sein Trink­verhalten habe sich verändert, sagt Bettina Cataldi. „Anfangs hat er immer Bier gekauft, doch dann ist er vor ein paar Monaten auf Wodka um­gestiegen. Er hat immer den mit dem blauen Label getrunken.“

Kleine Wodkaflaschen mit blauen Labeln liegen in der Spalte zwischen den Garagen mit den braunen Toren. Nur sie verraten, dass sich dort ein Mensch aufgehalten hat. An diesem windgeschützten Ort soll Daniel am Morgen des 26. November gefunden worden sein. Weder die zwei Jungs, die gerade über den Hof laufen, noch der Mann, der sein Auto in einer der Garagen parkt, haben davon etwas mitbekommen.

Der Weg zu dem kleinen Park, in dem Daniels Zelt gestanden haben soll, ist matschig. Zwei Anwohnerinnen, die hier mit ihren Hunden spazieren gehen, zeigen auf einen kleinen Hügel. „Da drüben hat das Zelt gestanden. Es war gelb-orange“, sagt eine von ihnen. ­Eine Polizistin habe ihm aber einen Zettel reingelegt und ihn aufgefordert, abzubauen.

Für die Räumung von Zeltlagern im öffentlichen Raum ist das Bezirksamt zuständig, sagt ein Polizeisprecher später auf Hinz&Kunzt-Nachfrage. Die Polizei verständige vorher die Zeltbewohner:innen durch Hinweiszettel und kontaktiere nach Ablauf der Frist die Stadtreinigung. Zuletzt habe sie das am 3. Februar 2023 in dem Park getan, in dem Daniel geschlafen ­haben soll. Vier Tage später habe die Stadtreinigung das Zelt geräumt. Ob es sich dabei um Daniels Zelt ­gehandelt hat, ist unklar. Dass dort nach der ­Räumung erneut ein Zelt gestanden hat, wie Anwohnende behaupten, kann die Polizei nicht bestätigen.

Der Weg vom Park zurück führt vorbei an den braunen Toren der Garagen und den roten Backsteinhäusern. Eine blonde Frau und ein Junge, Nadine ­Böllert und ihr Sohn Paul, laufen mit vollen Einkaufstüten auf eines der Häuser zu. Unter den Arm hat die Frau eine Hinz&Kunzt geklemmt. Ob sie den Obdachlosen kenne, der hier gestorben ist? Ihr schießen Tränen in die Augen. „Oh nein, er ist ­gestorben?“ Bestürzt stellt sie ihre Tüten ab. Sie zeigt auf ihr Magazin. „Ich habe meine Hinz&Kunzt immer bei ihm gekauft. Seit er weg ist, laufe ich weiter die Straße runter zu Aldi.“ Nadine Böllert wischt sich eine Träne aus dem Auge. „Er war immer so ruhig und nett. Ich habe mich schon gefragt, wo er ist.“

Sie überlege, nun im Garagenhof eine Kerze für den gestorbenen Obdachlosen aufzustellen. Für Hinz&Künztler Daniel, der, wie die Polizei später ­bestätigt, hier zwischen den braunen Garagenhöfen tot aufgefunden wurde.

Artikel aus der Ausgabe:

Hamburg, kannst du Karneval?

Pünktlich zum Karneval wird aus einem Gottesdienst in Ottensen eine rheinische Prunksitzung. Hinz&Kunzt hat sich unter die Jecken gemischt. Außerdem: Tod und Trauer im Schwerpunkt. Ein Besuch im Hospiz. Bei einer Bestatterin. Und die Spurensuche nach einem verstorbenen Hinz&Künztler.

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Autor:in
Luca Wiggers
Luca Wiggers
1999 in Hannover geboren, hat dort Germanistik und Anglistik studiert und ist Anfang 2022 nach Hamburg gezogen. Seit Juni 2023 Volontärin bei Hinz&Kunzt.

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