Filmemacherin Pia Lenz

Einander zugewandt

Auf und Ab des Lebens: Mit Humor und Wohlwollen überbrücken sie die Distanz. Foto: Henning Wirtz

Wie gelingt es, die Liebe ein Leben lang festzuhalten? Die Hamburger Filmemacherin Pia Lenz findet in ihrer Langzeitdokumentation über ein altes Ehepaar ermutigende Antworten.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.“ Märchen enden so. Und romantische Komödien. Das Happy End als Höhepunkt – danach rollt nur noch der Abspann über die schwarze Leinwand. Nur wenige Filme bilden den Beziehungsalltag ab, in dem sich die rosarote Brille in eine Lupe verwandelt, die gnadenlos sichtbar macht: Das Objekt der ­Begierde ist halt auch nur ein Mensch, der pupst, seltsame Angewohnheiten hat und manchmal sogar miserable Laune.

Mich interessiert sehr, was Menschen zusammenhält“, sagt Pia Lenz, als wir sie in einem Eimsbütteler Café treffen. Die Filme der Hamburger Regisseurin und Kamerafrau handeln immer von zwischenmenschlichen Beziehungen. In „Hudekamp – ein Heimatfilm“ (2012) erzählt sie vom ­Mikrokosmos einer Lübecker Brennpunkt-Hochhaus­siedlung. Für „Alles gut“ (2016), eine Dokumentation über zwei Flüchtlingskinder in Hamburg, bekommt sie den Grimme-Preis. In ­ihrem neuesten Film geht es der 37-Jährigen um Liebe, die die Zeit überdauert. Darum, wie ein gemeinsames Leben zu zweit gelingen kann. Im besten Fall, so der Titel des Filmes, „Für immer“.

Wir begegnen darin Eva und Dieter Simon, einem Hamburger Paar. Sie, die pensionierte Lehrerin, liebt das Wort, hat immer etwas zu erzählen, liest und schreibt. Er, Architekt und Dozent, ist ihr Gegenstück: wortkarg, bedacht, ein Mann der Tat. Sie lernen sich kennen, da ist Eva gerade 16 und Dieter 18 Jahre alt. Sie heiraten, bekommen drei Kinder, er baut mit eigenen Händen ein Haus in Harburg auf und immer wieder um. Happy End? Nur auf den ersten Blick. Sie durchleben mehrere Ehekrisen, gestatten sich ­Affären, streiten über Rollenbilder, sind sich oft über Jahre fremd. Einmal bezeichnet Eva ihren Partner wütend als „Gefühls-Urne“. Trotzdem bleibt sie bei ihm und er bei ihr – warum? „Den Schlüssel zum Geheimnis für die lange Liebe habe ich von den beiden auch nicht bekommen“, sagt Pia Lenz. „Das sind eher einzelne Perlen an einer Kette, die
ich gesammelt habe.“ Die meisten Ehen in Deutschland
scheitern nach fünf oder sechs Jahren. Eva und Dieter ­Simon bleiben 65 Jahre zusammen – so lange, bis Eva stirbt.

„Für immer“ beginnt, als die beiden Protagonist:innen schon über 80 Jahre alt sind, sich gemeinsam auf den ­letzten ­Lebensabschnitt vorbereiten. Ihre fortschreitende Lungenkrankheit bremst die lebensfrohe Eva immer mehr aus. ­Dieter hält sich fit mit ­Gartenarbeit auf dem weitläufigen Grundstück oder werkelt am Haus. Das Zuhause des Paares ähnelt einem großen Setzkasten: „Der Ort hat mich komplett in den Bann gezogen“, sagt Pia Lenz, „da war wahnsinnig viel zu entdecken.“ Das Zuhause verrät der Regisseurin schon viel über die Bewohner:innen. Abends lauscht Dieter gern auf der Couch seinen Jazz-Platten über große Kopf­hörer. Tagsüber hält Eva am Schreibtisch ihre Gedanken und Gefühle im Tagebuch fest. Während die Filmemacherin in ihr eine geradezu enthusiastische Gesprächspartnerin findet („Sie hat mir anfangs gesagt, ich darf überall drehen, nur nicht auf der Toilette und beim Sex.“), ist Dieter zunächst skeptisch: „Er war eher verschlossen“, erinnert sich Pia Lenz. „Er wollte immer nur von seinem Heimatdorf ­erzählen und von seiner Arbeit als Dozent.“ Dieter zeigt ­seine Gefühle eher übers Machen (Holzhacken scheint gut bei Frust zu sein!), während Eva mit Worten nach Verbindung sucht. Pia Lenz beobachtet in langen Einstellungen behutsam den Alltag des ungleichen Paares.

So sehen Sie den Film

Für immer“ läuft jetzt im Kino.Vorführzeiten unter www.instagram.com/fuerimmer.kino Hinz&Kunzt verlost 3 x 2 Karten für den Film über Instagram und über unsere Homepage, sobald Vorführungstermine feststehen.

Sie schmunzelt: Gerade am Anfang hätten Eva und Dieter wenig mit ihren „hochtrabenden Fragen“ anfangen ­können, erinnert sich die Regisseurin. Sie will über die ganz großen Themen sprechen: über Liebe und Tod. Wie jeder Mensch hat sie auch einen persönlichen Bezug zum Thema: Ihre Oma hat ihren an Demenz erkrankten Opa bis zu dessen Tod gepflegt. Von Eva und Dieter will die Filmemacherin wissen: Wie sprecht ihr miteinander übers Sterben? Wie ist es, Abschied zu nehmen? Doch sie merkt: Das Paar tickt ­anders. Als Eva ihr Lieblingsgedicht „An die Sonne“ von ­Ingeborg Bachmann vorliest, bricht plötzlich ihre Stimme und Tränen fließen. In dem Gedicht geht es indirekt auch um Vergänglichkeit. „Das war so ein Moment, wo ich ­gemerkt habe: Die Gedanken ans Sterben sind ja doch da, nur nicht so offensichtlich“, sagt Pia Lenz.

Lenz dreht meist ganz allein mit ihrer Super-35mm-­Kamera, nimmt selbst den Ton auf. Rund vier Jahre be­gleitet sie die Simons. Irgendwann habe sie sich fast wie ein Familienmitglied gefühlt, sagt sie. Die Frage nach der ­„professionellen Distanz“ ist für Pia Lenz schwierig zu beantworten. Sich sehr viel Zeit für ihre Protagonist:innen zu nehmen, ganz einzutauchen in deren Lebensrealität, so ­arbeitet sie: „Man kann nicht jemandem so nah kommen und dann irgendwie gewisse Dinge auf Abstand halten“, sagt sie. „Ich glaube, ich kann das gar nicht so genau trennen.“

Das Sich-Einlassen wird belohnt. Nach zwei Jahren drückt ihr Eva eine Tüte in die Hand, darin: ihre gesammelten Tagebücher und Notizen, fein säuberlich in Schnellheftern sortiert. „Ich hatte erst Hemmungen und einen großen Respekt, weil es ja auch eine große Verantwortung ist, dem ­gerecht zu werden. Was davon will man auch nach außen tragen?“, fragt sich Pia Lenz. Eva habe es hingegen „spannend“ gefunden, was die Filmemacherin aus ihren Aufzeichnungen ziehe. „Mir hat das Eva noch mal auf eine ganz andere Art nahegebracht“, sagt Lenz. Im Film spricht die Schauspielerin Nina Hoss („Barbara“) die ­Tagebucheinträge und verbindet ­damit die Bilder aus der Gegenwart mit ­Eindrücken der Vergangenheit. Einmal schreibt Eva zärtlich über ­ihren Mann: „Wir kommen uns wieder einmal – nach fast 17 Ehejahren – vor wie ganz am Anfang: Wir lernen erst jetzt, richtig zu lieben.“ Sie überstehen auch den tragischen Unfalltod ihrer vierjährigen Tochter.

Die beiden haben sich nie komplett aus dem Blick verloren“, sagt Pia Lenz. „Sie haben sich immer wieder füreinander interessiert, um herauszufinden, wie könnte es jetzt weitergehen? Sie haben sich auch immer wieder die Frage gestellt: ,Ist es das noch?‘“ Das Paar sei sich „mit Wohlwollen und ­Respekt“ begegnet, hat Pia Lenz beobachtet. „Das klingt vielleicht banal, aber das ist es am Ende – und Humor! Sie haben sich gegenseitig bis in die letzten, schlimmsten Tage auf den Arm genommen“, sagt sie. Einmal beschwert sich Eva bei Dieter darüber, dass er ihr nie zuhört. Dieter verteidigt sich, er sei sicher gerade auf etwas anderes konzentriert gewesen und habe alles andere ausgeschaltet: „Du hast mich ausgeschaltet?“, fragt Eva.

Der Film blendet auch nicht ab, als Eva Simon immer weiter abbaut. Als sie sich schwer atmend und wie in Zeitlupe die Treppe ins Obergeschoss hinaufkämpft. Irgendwann schläft sie im Erdgeschoss, bleibt tagsüber im Bett. Eva Simon habe gewollt, dass sie weiterdreht, sagt Pia Lenz. „Sie hat es fast eingefordert.“ Dieter kümmert sich auch jetzt um sie, unaufgeregt, stoisch. Er bringt ihr Essen, wäscht ihr die Haare. Die Filmemacherin muss abwägen, ob die Kamera nicht doch ein Störfaktor ist. Drei Tage bevor Eva Simon stirbt, ist Pia Lenz das letzte Mal im Haus. Evas Tod ist aber nicht das Ende von „Für immer“. Die letzten Szenen zeigen Dieter Simon, wie er einen Pinsel in der Hand hält und mit Farbe die Holzfassade des Hauses ausbessert. Lenz hat den Witwer danach zu Evas Grab begleitet, weiter Gespräche mit ihm geführt – ohne Kamera. Bis zu dem Moment, an dem ihr im Schneideraum klar wird, dass ihr Film nun zu Ende erzählt ist. Dieter Simon hat ihn noch sehen ­können, bevor er im Juni 2023 seiner Lebensliebe Eva folgte. „Er mochte ihn“, sagt Pia Lenz.

Artikel aus der Ausgabe:

Zuhause gesucht!

Unserer Gesellschaft fehlt der soziale Zusammenhalt? Das Gefühl scheint aktuell weit verbreitet. Wir haben das Projekt „Tausch & Schnack“ in Hamburg-Eimsbüttel besucht und mit dem Wissenschaftler Thomas Lux über die Kraft von sogenannten Triggerpunkten gesprochen und festgestellt: Der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland ist gar nicht so klein. Außerdem: Weihnachten steht vor der Tür und wir bei Hinz&Kunzt haben bereits begonnen uns darauf einzustimmen. 

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Autor:in
Simone Deckner
Simone Deckner
Simone Deckner ist freie Journalistin mit den Schwerpunkten Kultur, Gesellschaft und Soziales. Seit 2011 arbeitet sie bei Hinz&Kunzt: sowohl online als auch fürs Heft.

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