Der Krimi-Schriftsteller Robert Brack widmet sich dem Hamburger Aufstand von 1923. Und schickt seine Heldin in die Wirren der Zeit und der Liebe.
Klara Schindler ist wieder da. Die kommunistische Heldin aus den historisch angelegten Kriminalromanen des Altonaer Schriftstellers Robert Brack. Drei Bände führten bisher in die Weimarer Republik. Diesmal geht es zurück in den Hamburger Herbst des Jahres 1923. 100 Jahre ist es nun her, dass in der Nacht vom 23. auf den 24. Oktober Arbeiter:innen vor allem in Barmbek, aber auch in Schiffbek bei Billstedt und in Bramfeld den Aufstand wagen. Ihr Ziel: die Reichsregierung gewaltsam zu stürzen und die sozialistische Revolution von 1918 zu vollenden. Sie stürmen die örtlichen Polizeiwachen, räumen die Waffenschränke leer, bauen Barrikaden und sind sich sicher, dass ihnen überall im Deutschen Reich die Menschen folgen werden. Von Flensburg bis München, von Köln über Chemnitz bis Breslau. Doch nicht einmal in Hamburg findet der von der KPD geleitete Aufstand Widerhall: In Arbeitervierteln wie Hamm und Hammerbrook bleibt es ruhig; im Hafen wird gearbeitet. Das Ganze wird ein Fiasko. Nach zwei Tagen sind mehr als 100 Menschen tot: Polizisten, Aufständische und über 60 Zivilist:innen.
Robert Brack macht keinen Hehl aus seiner grundsätzlichen Sympathie für die Anliegen der damals Rebellierenden: „Es herrschte große Not, Hunger und Hyperinflation. Die Leute dachten, jetzt findet endlich die Befreiung statt! In ihrem Elend konnten sie gar nichts anderes mehr erhoffen, als dass eine Revolution ausbricht.“
Und mittendrin die Romanfigur Klara. Noch jung, keine 20 Jahre alt. Anfangs arbeitslos, haust sie in einem Keller. Und will etwas tun, für sich, für die Revolution, für ihre Partei und für die Liebe. Sie ist homosexuell. Ihre Partei ist davon nicht begeistert. Muss das sein? „Es gab auch in der Arbeiterbewegung altertümliche Moralvorstellungen. Andere Lebensentwürfe als Vater-Mutter-Kind wurden skeptisch beäugt“, sagt Brack. „Wenn man sich dagegen die 1920er-Jahre anschaut, sieht man, dass es gerade unter den jungen Leuten einen unglaublichen Freiheitsdrang gab – dem die strammen Kommunisten oft sprachlos gegenüberstanden.
“Schwarzer Oktober“ gibt deshalb auch einer Politikerin eine Bühne, die heute weitgehend vergessen ist, dabei war sie einst Abgeordnete für die KPD in der Hamburger Bürgerschaft: Ketty Guttmann. Sie forderte immer wieder das Selbstbestimmungsrecht der Frauen – in allen Bereichen. „Guttmann hat auf St. Pauli die sogenannten ‚Kontrollmädchen‘, also die Prostituierten, Straße für Straße organisiert und so eine Art Gewerkschaft geschaffen, das war einzigartig“, erklärt Brack. Sie gab außerdem eine Zeitung heraus: „Der Pranger“. „Sie hat darin die elende Lage der Mädchen angeprangert; es fanden sich darin aber auch die Namen derjenigen, die die Mädchen schlecht behandelten oder in der Öffentlichkeit gegen Prostituierte vorgingen, aber nachts deren Dienste in Anspruch nahmen“, sagt Brack. Guttmanns Zeitung wird 1924 verboten; sie selbst aus der KPD ausgeschlossen.
Und so interessierte sich Brack nicht nur für den Hamburger Aufstand, sondern auch für dessen Folgen: „Der Aufstand wird zum Wendepunkt für die KPD. Aus einer, heute würde man sagen, ‚diversen Partei‘, in der verschiedenste Strömungen ihren Platz hatten, wird eine stramm stalinistische Organisation.“ Und Ernst Thälmann, der Hamburger KPD-Führer, steigt auf zu einer sagenumwobenen Figur, wird später Teil des Gründungsmythos der DDR. „Es hieß: ‚Oh, der große Ernst Thälmann hat das damals in Hamburg großartig organisiert!‘ Aber das war alles Mumpitz“, sagt Brack. Man wisse bis heute nicht genau, wo Thälmann während des Aufstandes war. Er sei jedenfalls nicht auf den Barrikaden gewesen, sondern irgendwo untergetaucht. Einen ‚Ernst‘ gibt es auch in Bracks Roman: Er will die eigensinnige Klara immer wieder auf Linie bringen, sie bändigen, sie disziplinieren. Eine düstere, unheimliche Gestalt – mit einem Geheimnis. „Ich habe diese Figur spaßeshalber ‚Ernst‘ genannt, obwohl es nicht der Ernst Thälmann ist; aber man weiß ja, wie es gemeint ist“, sagt Brack und lacht.
Und Klara? „Ach, Klara.“ Robert Brack seufzt, er seufzt tief. Was soll er nur machen mit seiner so unsteten und leidenschaftlichen Heldin, die ihm so ans Herz gewachsen ist? Aufgerieben zwischen der Suche nach dem eigenen Glück im Hier und Jetzt und den Segnungen der Weltrevolution eines fernen Tages, denen sich jede:r absolut unterzuordnen hat. „Sie ist immer wieder fehl am Platz, oft genug auch in ihrem eigenen Leben“, sagt er.
Zwei weitere Klara-Bände sind bereits konzipiert und wollen demnächst geschrieben werden. „In meinem Roman über den Reichstagsbrand von 1933 zerreißt Klara ihren Parteiausweis, weil sie all der Intrigen innerhalb der KPD leid ist“, erzählt Brack aus seinem dritten Klara-Roman. Aber sie bleibt dann doch. Er schüttelt sachte den Kopf: „Ich hätte es ja auch lieber, sie würde sagen: ‚Jetzt reicht es mir!‘ Aber die KPD ist nun mal ihre Heimat.“ Er sagt nach einer Pause leise: „Sie ist ja sehr allein, und sie lässt nicht ab von ihren Idealen.“ Und so wird Robert Brack ihr weiter folgen müssen in ein Leben voller Widersprüche, voller Niederlagen und enttäuschter Hoffnungen, gegen die sie immer wieder heftig aufbegehrt – was als Treibstoff für einen Schriftsteller ja nicht das Schlechteste ist.