Interview mit dem Soziologen Sighard Neckel

„Der ökologische Umbau ist kein Zuckerschlecken“

Professor Sighard Neckel an der Universität Hamburg. Foto: Imke Lass

Wirksamer Klimaschutz ist ohne Umverteilung nicht möglich, meint der Soziologe Sighard Neckel im Hinz&Kunzt-Interview. Wie kann der Umbau der Gesellschaft gelingen?

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Hinz&Kunzt: Herr Neckel, vergangenen Sommer sind laut Weltgesundheitsorganisation WHO in Europa mindestens 15.000 Menschen an den Folgen von Hitze gestorben. In dicht bebauten Vierteln und schlecht isolierten Wohnungen, in denen häufig Menschen mit wenig Geld leben, staut sich heiße Luft besonders. Wie müssen sich Städte wie Hamburg verändern, um alle Bewohner:innen vor Hitze zu schützen?

Sighard Neckel: Uns wird nichts anderes übrig bleiben, als uns an den Klimawandel anzupassen. Selbst wenn wir alle Klimaziele erreichen, müssen wir damit rechnen, dass die Folgen der Erderwärmung uns Jahrzehnte heimsuchen werden: Wetterextreme wie Starkregen und eben Hitze. In den Städten haben wir es oft mit völlig versiegelten Böden zu tun, die wie Hitzespiegel wirken. Hinzu kommt: Dicht bebaute Viertel, in denen vor allem Ärmere wohnen und wo sich die Hitze staut, können wir nicht einfach abreißen und neu bauen. Wir können aber den Autoverkehr reduzieren, neue Grünflächen schaffen und so Schattenoasen bilden.

Gleichzeitig braucht Hamburg dringend Wohnraum. Wie passt das zusammen?

Wir haben nicht einen Mangel an Wohnungen an sich, sondern einen falsch zusammengesetzten Wohnungsmarkt. Für Menschen mit hohem Einkommen gibt es eine gewisse Auswahl, für solche mit wenig Geld nicht. Es ist Aufgabe der Wohnungspolitik, das zu ändern. Grundsätzlich gilt: Der ökologische Umbau ist kein Zuckerschlecken und wird zu vielen Zielkonflikten führen. Da müssen wir Lösungen finden, die nicht immer ideal sein werden. 

Hamburg will den CO2-Ausstoß bis 2030 um 70 Prozent gegenüber 1990 reduzieren und bis 2045 CO2-neutral werden. Ist die Stadt bei der Klimaanpassung auf einem guten Weg?

Man kann darüber streiten, ob die Latte nicht noch höher gelegt werden müsste. Vor allem aber ist bisher nicht klar, wie genau die Ziele erreicht werden sollen. So wird man sehr viel mehr Geld einsetzen müssen, als bislang vorgesehen ist. 

Arm und Reich spielen beim Klimaschutz unterschiedliche Rollen: Während Gering- und Normalverdienende ihren CO2-Ausstoß seit 1990 reduziert haben, legen die Reichen weiter zu. Dabei sind die ohnehin schon in weit größerem Maß für Umweltverschmutzung verantwortlich. Warum ist das so?

Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen der Einkommenshöhe und dem Ausmaß von Klimaschädigung. Haushalte mit hohem Einkommen konsumieren mehr, haben die größeren Wohnungen oder energieintensive Häuser,  größere Autos und fliegen häufiger. Nun werden klimaschädliche Aktivitäten durch die CO2-Bepreisung bald verteuert werden. Das wird nach den bisherigen Plänen vor allem untere und mittlere Einkommensschichten treffen, weil sie das kaum bezahlen können. Klimaschutz muss daher mit wirtschaftlicher Umverteilung verbunden werden.

In Kalifornien wurde kürzlich über eine Klimasteuer für Reiche diskutiert. Könnte eine solche Steuer für mehr Gerechtigkeit sorgen?

Ja. Es gibt Berechnungen, nach denen eine Erhöhung der Vermögenssteuer um zwei Prozent weltweit Einnahmen bringen würde, mit denen die Kosten der Klimaanpassung im nächsten Jahrzehnt bestritten werden könnten. Aber auch das wird nicht reichen. Die Umverteilung wird das gesamte obere Viertel umfassen müssen, mit höheren Einkommens- und Vermögenssteuern. Bisher spielte die CO2-Bepreisung keine große Rolle. Das ändert sich nun. Eine Tonne CO2-Ausstoß kostet im Emissionshandel aktuell 100 Euro. Das Umweltbundesamt hält 180 Euro für angemessen, andere Berechnungen halten 500 Euro für realistisch. Das würde Preise für Konsum, Wärme, Strom und Mobilität bedeuten, die von durchschnittlichen Haushalten nicht beglichen werden könnten. Selbst eine leichte Erhöhung belastet Einkommensschwächere massiv. Deshalb müssen sie Rückerstattungen erhalten, finanziert über höhere Steuern für die Wohlhabenden. Es wird also auch die gut verdienenden und etablierten Mittelschichten treffen und nicht allein die wirklich Reichen. 

Ich fahre mit der Bahn, fliege höchst selten und versuche, immer weniger Fleisch zu essen. Das Klima rette ich damit aber nicht, behaupten Sie. 

Was Sie machen, ist vollkommen richtig – reicht aber nicht. Der Wandel des Alltagsverhaltens vollzieht sich zu langsam, um eine massive Klimakrise noch zu verhindern. Wir müssen in den nächsten acht Jahren entscheidende Schritte beim ökologischen Umbau machen. Wir alle sind an Infrastrukturen und Märkte angeschlossen, die bisher den größten Beitrag zur Klimaschädigung leisten. Das betrifft die Versorgung mit Strom und Wärme, die Mobilität, aber auch etwa die industrielle Landwirtschaft. Hier müssen wir jeden Tag Klimaschädigungen in Kauf nehmen, ohne dass wir überhaupt gefragt werden, ob wir das wollen – weil ein Leben ohne Anschluss an diese Strukturen sehr aufwendig oder gar nicht möglich ist. 

Sie fordern deshalb den Aufbau „nachhaltiger Infrastrukturen“. Was meinen Sie damit?

Zum Beispiel intelligente Mobilitätssysteme, die klimaneutral in der Lage sind, alltägliche Fortbewegung ohne eigenes Auto möglich zu machen. Auch die Versorgung mit Strom und Wärme muss schnell emissionsfrei werden. Das bedeutet, dass auch Hamburg so rasch wie möglich aus der Kohle aussteigen muss – es gibt mit Tiefstack aber noch ein großes Kraftwerk, das erhebliche CO2-Emissionen erzeugt. Wir müssen auch die gesetzlichen Regeln verändern, unter denen produziert und verkauft wird. Hier braucht es ordnungspolitische Eingriffe von Regierungen auf allen Ebenen – nichts anderes hat auch das Bundesverfassungs­gericht in seinem Urteil zum Klimaschutz gesagt.

Manche sehen da ihre Freiheitsrechte bedroht.

Alles das, was wir jetzt nicht tun, legen wir den kommenden Generationen als Beschränkungen ihrer Freiheit auf – und dazu haben wir nicht das Recht. 

Wollen Sie die Energieversorgung verstaatlichen?

Verstaatlichung als Alternative zum Markt – das hat sich nicht wirklich bewährt. Aber was man am Beispiel Hamburg gut sehen kann, ist, dass man zentrale Versorgungseinrichtungen wie die Energienetze, die in den 1990er-Jahren verkauft wurden, rekommunalisieren kann. Und das ist auch notwendig: Die Infrastrukturen, die wir für die alltägliche Lebensbewältigung brauchen, sollten als öffentliche Güter betrachtet und bewirtschaftet werden, etwa in Form von lokalen Genossenschaften oder kommunalen Einrichtungen. Damit Menschen durch hohe Preise nicht aus­geschlossen werden und die Versorgung klimaverträglich erfolgt – und möglichst unabhängig von Gewinnerwartungen und Vorteilen auf Märkten.

Die Energieversorgung ist weitgehend in der Hand von Konzernen, die damit viel Geld verdienen. Wie stellen Sie sich da den Wandel vor?

Es braucht klare klimapolitische Vorgaben in Form von Gesetzen. Wenn man – was ich richtig finde – dem Bürger nicht mehr gestatten will, eine kaputte Gasheizung durch eine neue Gasheizung zu ersetzen, muss man Entsprechendes auch von Unternehmen verlangen. Und wenn die das nicht umsetzen, müssen ordnungspolitische Eingriffe dafür sorgen. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dem Privateigentum an zentralen Versorgungseinrichtungen der Gesellschaft ein höheres Recht zuzusprechen als der Notwendigkeit des Klimaschutzes und damit des Schutzes der gesamten Bevölkerung.

Wie bewerten Sie die bisherige Klimapolitik der Ampelkoalition?

Die Ampel ist eine Kompromiss-Koalition. Ihre Kontroversen sind auch ein Abbild gesellschaftlicher Konfliktlinien. Es gibt ein Bürgertum, das Klimaschutz nur unterstützt, solange er den eigenen Wohlstand nicht beschneidet. Dann wieder große Bevölkerungsgruppen, die berechtigte Sorgen haben, dass mit dem Umbau der Industrie ihre Arbeitsplätze verloren gehen. Und auf der anderen Seite gibt es Gruppen wie Fridays for Future, die sagen: Das reicht alles nicht.

Wie wollen Sie die Skeptischen und Ängstlichen überzeugen?

Der Ausstieg aus der fossilen Industrie wird Arbeitsplätze kosten. Deshalb können wir den ökologischen Umbau nur bewältigen, wenn dadurch Möglichkeiten und Angebote entstehen, die für das Alltagsleben von Durchschnitts­bürgern eine positive Bedeutung haben – wie zum Beispiel die Viertagewoche. Auch sind Menschen nur dann für den Klimaschutz zu gewinnen, wenn sie nicht das Gefühl haben, es ist ungerecht, was hier geschieht. Wenn wir einen erheblichen Teil des Geldes, das derzeit in private Wohlstandssteigerung oder Reichtumskonsum fließt, für Klimaschutz und auch ein besseres Gesundheits- oder Schulsystem für alle verwenden. 

Sie setzen beim Umbau auf „politische Akteure, denen Verantwortung und auch Veränderungswillen zugeschrieben werden kann“. Wer soll das sein?

Der ökologische Wandel muss von den Menschen vollzogen werden und von den Institutionen, die sich die Bürgerinnen und Bürger gegeben haben. Neue Technologien allein reichen nicht. Es ist eine verführerische Hoffnung zu glauben, wir könnten so weitermachen wie bisher, nur auf sauberem Wege. Das wird nicht funktionieren, weil viele Technologien auch in den nächsten Jahren nicht so aus­gereift sein werden, dass sie einen schnellen Wandel ein­leiten könnten.

Zuletzt wurde viel über Aktionen der „Letzten Generation“ gestritten, aber weniger über den Weg zur klimaneutralen Gesellschaft. Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass sich das ändert?

Die Notwendigkeit von Klimaschutz und auch von Umstellungen in unserer Lebens- und Wirtschaftsweise haben große Teile der Bevölkerung mittlerweile erkannt. Viele sind auch bereit, einen solchen Weg mitzugehen – wenn es ­realistische Alternativen gibt, den eigenen Alltag ohne ­Umweltbelastungen bewältigen zu können. Der Klima­wandel wird unseren Alltag so oder so verändern. Wir können uns nur aussuchen, ob das gezwungenermaßen geschieht oder ob wir diese Veränderungen so weit wie möglich selbst beeinflussen wollen.

Die Klimakrise ist eine weltweite Herausforderung. Welche Rolle sollte Deutschland spielen?

Wenn unser Erster Bürgermeister sagt, Deutschland müsse eine Führungsrolle einnehmen bei ökologischen Innovationen, gebe ich ihm prinzipiell recht. Nicht im Sinne eines grünen Klima-Kolonialismus. Aber wir sollten ärmeren Ländern in einer fairen Kooperation Möglichkeiten bieten,  ihren Wohlstand zu vergrößern, ohne dabei den fossilen Weg nehmen zu müssen, den Gesellschaften wie Deutschland genommen haben.

Artikel aus der Ausgabe:

Der Hitze ausgesetzt

Heiße Sommer sind für Obdachlose besonders gefährlich. Während andere Städte Sonnensegel aufhängen oder sogar Notunterkünfte eröffnen, hängt Hamburg beim Hitzeschutz hinterher. Außerdem: Warum Bettler zu unrecht aus der Innenstadt vertrieben werden und wie Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD) ausreichend Wohnraum für alle schaffen will.

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Autor:in
Lukas Gilbert
Lukas Gilbert
Studium der Politikwissenschaft in Hamburg und Leipzig. Seit 2019 bei Hinz&Kunzt. Zunächst als Volontär, seit September 2021 als Redakteur.
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas schreibt seit vielen Jahren für Hinz&Kunzt - seit 2022 als angestellter Redakteur.

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