Martin im Pokalfieber

(aus der Sonderbeilage zur 5. Deutschen Fußballmeisterschaft der Wohnungslosen, Hinz&Kunzt 209/Juli 2010)

In Hamburg will er unbedingt den Titel holen. Martin Pfeiffer ist einer, mit dem man zu rechnen hat: Der ehemals Drogenabhängige war mit seinem Team schon Deutscher Meister  und stand vor zwei Jahren sogar beim Homeless World Cup im Tor.

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Erst 8:6 gegen Griechenland, dann 10:2 gegen Österreich. „Die haben wir einfach weggeschossen“, sagt Martin Pfeiffer und grinst. Er erinnert sich genau an die Spiele beim Homeless World Cup in Melbourne 2008. „Die Zeit dort war eine der schönsten in meinem Leben, ein wahr gewordener Traum.“ Martin stand für die deutsche Nationalmannschaft im Tor, die am Ende Platz zwölf erreichte. Schon frühmorgens herrschte T-Shirt-Wetter. Wenn das Publikum jubelte und Martin anfeuerte, lief es ihm trotzdem immer wieder „eiskalt den Rücken runter“.

Von den Erlebnissen in Australien zehrt er bis heute. Freunde finden, Ehrgeiz entwickeln, kämpfen – „alles, was ich durchs Fußballspielen gelernt habe, setze ich jetzt im Alltag um.“ Er ist stolz auf seine Leistung und gibt „immer 100 Prozent“. Das Selbstvertrauen hilft dem 40-Jährigen bei seinem Job als Angestellter im Sicherheitsdienst. „Ich weiß, was ich kann und trete dementsprechend auf. Jeder bei der Arbeit respektiert mich.“ Auch Martins sportlichen Ehrgeiz stachelte der Homeless World Cup weiter an: Mit seinem Straßenfußball-Team „Hannibals Erben“ gewann Martin vergangenes Jahr die Deutsche Meisterschaft. Dafür bekam er eine Verdiensturkunde der Stadt Kiel und einen Pokal für die beste Torwartleistung. Auch dieses Jahr trainiert Martin regelmäßig und möchte mit „Hannibals Erben“ wieder den Pott holen. Er ist sieges­sicher, vor allem wegen der Geschlossenheit der Mannschaft: „Bei uns gibt es das absolute Wir-Gefühl.“

Homeless world cupDer Kampfgeist ist ihm nicht angeboren. Martin spielte zwar schon als Sechsjähriger leidenschaftlich gern Fußball. Doch seine Kindheit in Hamburg verlief selten harmonisch. Es gab „Differenzen“ zu Hause, das Zusammenleben mit seinem Vater wurde „zur Quälerei“. Mit knapp 16 Jahren zog Martin bei seinen Eltern aus, kam in ein Jugendheim und brach den Kontakt zum Vater komplett ab. „Ab da ging es schnell bergab“, fasst Martin zusammen. Er fing an zu kiffen, nahm mit 18 Jahren zum ersten Mal Heroin – und wurde süchtig. Trotzdem gelang es ihm, seine Lehre als Elektriker durchzuziehen, er ging zur Bundeswehr und machte dort seinen Führerschein. „Man merkte mir die Sucht nicht an“, sagt er. „Ich habe lange Zeit weiterhin normal funktioniert.“

Erst Ende des Jahres 1993, nach einem gescheiterten Sui­zidversuch, fing er mehrmals Therapien an. Viele davon brach er ab und erlitt Rückfälle. Nach sieben Jahren stieg er auf eine Ersatzdroge um, seit 2006 lebt er völlig suchtfrei. Sogar seinem Vater nähert er sich seitdem Schritt für Schritt wieder an. Er ging freiwillig zum Drogennachsorge-Programm der Kieler Hilfseinrichtung „Odyssee“ und stieg dort gleich beim Fußballteam „Hannibals Erben“ ein. „Nach 18 Jahren Spielpause war ich neugierig, ob ich es noch draufhabe“, sagt er. „Und das hatte ich.“

Bei den ersten Deutschen Meisterschaften mit Martin im Tor wurden „Hannibals Erben“ Vizemeister. Im selben Jahr, 2007, lernte Martin seine heutige Lebensgefährtin Anja kennen, die seine neu entfachte Fußballbegeisterung unterstützt. „Sie sagt immer: ‚Wenn du nicht mehr Fußball spielst, kannst du dich auch gleich zur Ruhe setzen.‘ Und in Rente will ich noch lange nicht.“

Text: Maren Albertsen
Fotos:
Mauricio Bustamante

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