140 Schlafplätze von Obdachlosen wurden vergangenes Jahr mindestens geräumt. Das ergab eine Hinz&Kunzt-Umfrage bei den Bezirksämtern. Schätzungen der Polizei zufolge gab es 2022 sogar mindestens 240 Platten-Räumungen.
Grundlage für die Vertreibungen sind laut Behörden das Hamburgische Wegegesetz und die Verordnung über den Schutz der öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen. Die tatsächliche Zahl der Betroffenen ist weitaus größer: Wie sich aus den vorliegenden Daten ergibt, verlassen Obdachlose in mindestens drei von vier Fällen ihre Platte, wenn ihnen eine Räumung angekündigt wird – die Durchführung ist dann gar nicht mehr nötig. Zudem werden in manchen Fällen mehrere Menschen oder ganze Gruppen von ihren Schlafplätzen vertrieben.
So teilte die Polizei mit, dass sie im März vergangenen Jahres in Bergedorf auf eine Freifläche nahe der Autobahn 25 aufmerksam gemacht worden sei, auf der Obdachlose gezeltet hätten. Da die Beamt:innen beim Ortstermin niemanden antrafen, hätten sie schriftlich eine Aufforderung zur Räumung hinterlassen – mit Erfolg, so ein Polizeisprecher. „Die wenigen Reste hat die Stadtreinigung eingesammelt.“ Wie viele Menschen von der Vertreibung betroffen waren, ist nicht bekannt.
In der Regel fordern Mitarbeitende der Bezirksämter Obdachlose zum Verlassen ihres Schlafplatzes auf – manchmal mündlich, immer aber auch schriftlich und in der Regel in mehreren Sprachen, so die Ämter. Je nach Fall bleibe den Betroffenen 24 Stunden bis eine Woche Zeit, ihre Platte zu räumen. Haben sie ihre Schlafsäcke, Isomatten und weitere Habseligkeiten nach Ablauf der Frist nicht in Sicherheit gebracht, werden diese von der Stadtreinigung entsorgt. Personaldokumente und andere „Gegenstände von Wert oder Bedeutung“ würden aber eingelagert und „zur Abholung vorgehalten“.
„In allen Fällen werden die Betroffenen auf Hilfsangebote hingewiesen“, erklärten Polizei und Bezirksämter. Straßensozialarbeiter:innen oder Dolmetscher:innen seien bei den Plattenräumungen meist jedoch nicht vor Ort. Das Bezirksamt Eimsbüttel erklärte dazu: „Gegen eine durchgehende systematische Einbeziehung spricht oftmals, dass die Betroffenen teilweise bereits zu erkennen geben, dass sie eine Zusammenarbeit mit der ihnen bekannten Sozialarbeit sowie weiterführende Hilfen strikt ablehnen.“
Diakonie-Straßensozialarbeiter Johan Graßhoff sagt dazu: „Die meisten Betroffenen kennen die Hilfsangebote, haben aber Gründe, sie abzulehnen.“ So würden sich viele in den Großunterkünften des Winternotprogramms oder im Pik As nicht sicher fühlen: „Sie fürchten zum Beispiel, dass ihnen ihre Habseligkeiten geklaut werden.“ Manche wüssten zudem nicht, wie sie ihr Gepäck in die Notunterkunft schaffen könnten. Sozialarbeiter Graßhoff lehnt Plattenräumungen grundsätzlich ab: „Permanent unterwegs sein zu müssen ist anstrengend und kräftezehrend. Helfen tut man den Menschen so nicht.“