Illustratorin Maren Amini

„Lachen ist die Königsdisziplin“

Ahmadjan Amini mit seiner Tochter Maren. Foto: Miguel Ferraz

Maren Amini ist eine international bekannte Illustratorin. Jetzt arbeitet sie erstmals an einer Graphic Novel: einem Buch über die bewegte Lebensgeschichte ihres Vaters zwischen Deutschland und Afghanistan.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Das „Fritzen“ in der Wohlwillstraße ist ein kleiner Laden, wie es ihn in Hamburg-St. Pauli noch an manchen Orten gibt: hohe Decken, hübsche Dielen, an den Wänden Dutzende gerahmte Zeichnungen. Das Atelier teilen sich die Künstlerinnen Line Hoven, Larissa Bertonasco und Maren Amini. Heute ist es die Enddreißigerin Amini, blauer Anzug, strahlendes Lächeln, die den Besuch begrüßt und gleich einen Teller Gulpi Challaw anbietet: Kohl mit Tomaten, Zwiebeln und Reis. 

Jeden Donnerstag besorgt die Illustratorin traditionelles afghanisches Essen. Denn jeden Donnerstag kommt ihr Vater zu Besuch, um an einem gemeinsamen Buch zu arbeiten. „Ahmadjan und der Wiedehopf“ ist ein anspruchsvoller Comic, eine Graphic Novel über das Leben und die Kunst von Ahmadjan Amini. Das Porträt eines lebenshungrigen Reisenden. Und das Porträt eines Landes, das seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe kommt.

Comics hat Maren Amini schon immer gezeichnet. Als sie 13 Jahre alt war, ahmte sie ein Hip-Hop-Graffiti nach: „Ich weiß noch genau, wie stolz ich darauf war – das ist aus meiner Hand herausgekrochen!“ Der Berufswunsch stand fest: Illustratorin. Als sie 2009 ihr Studium in Kommunika­tionsdesign an der Hamburger HAW beendete, war ihr Zeichenstil noch bunt und zeitintensiv.„Dann habe ich einen Workshop gemacht – und seitdem wurde es immer cartooniger“, sagt sie, hinter dem Schaufenster des Ateliers sitzend. „Plötzlich gab’s kaum noch Farben. Alle wollten dieses Simple von mir haben. Mir kam das entgegen, denn ich mag Figuren am liebsten.“

In Aminis Zeichnungen ist stets ein Interesse an allem Menschlichen erkennbar. Ihre Figuren haben große ­Nasen und kleine Münder, man sieht sie oft lachen. Die Künstlerin hegt unverkennbar eine Zuneigung für ihre Schöpfungen; selbst wenn sie einen gries­grämigen Anzugträger karikiert, der deklamiert: „Als Geschäftsmann bin ich vor allem im Business-Bereich tätig.“

Maren Amini zeichnet mit Vor­liebe Cartoons, grafische Witze, die mit einem einzigen Bild funktionieren. Zu ihren bekanntesten Ar­beiten zählen Titelbilder für „Die Zeit“, „Der Spiegel“ und „The Washington Post“. ­Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Musikpädagogen Daniell Amini, hat die Hamburgerin Videos für Gesundheitsplattformen produziert. Pointenreiche Arbeiten, die oft mit wenigen Strichen entstehen.

„Ich liebe Zeichnungen, die alles in ­einem Satz erzählen und dann ein ­Lachen hervorlocken. Das ist die ­Königsdisziplin. Wenn ich eine neue Idee habe, stelle ich die hier ins Schaufenster. Und wenn dann jemand lacht, freue ich mich total. Das ist wie Bezahlung für mich.“

Kurz vor Weihnachten veröffentlichte sie einmal ein Bild auf Instagram: die Venus von Botticelli als alter Mann mit wehendem Bart.

Ein anderes weltberühmtes Kunstwerk hat Amini gleich mehrfach zitiert, den „Schrei“ von Edvard Munch. Einmal ist die Figur eine zufrieden Meditierende im Schneidersitz, ein anderes Mal eine Frau mit Kopftuch, die die Betrachtenden anschreit, darunter die Zeile: „15.08. – Black Day for Afghanistan“.

Am 15. August 2021 nahmen die ­Taliban die afghanische Hauptstadt Kabul ein. Ein Rückschlag für das ganze Land, insbesondere für die Frauen, ­denen unter der Herrschaft der islamistischen Terroristen kaum Rechte eingeräumt werden. Ein Trauma für Afghanischstämmige in aller Welt. Maren Amini verarbeitet es auf künstlerische Art – indem sie die Geschichte ihres Vaters erzählt.

„Ich fühlte mich so machtlos, als die Taliban kamen“, erinnert sich Ahmadjan Amini. Der 1953 geborene Künstler trägt grauschwarzen Bart und braunen Rollkragenpullover, um seine Augen bewegen sich Lachfältchen. Er spricht mit sanftem Akzent. „Auch meine Heimatgegend war 2021 von Gewalt und Zerstörung betroffen. Ich wollte unbedingt etwas tun. Meine Idee war, alle Gräueltaten zu sammeln, die über mein Telefon gingen, und sie der ganzen Welt zu zeigen.“

Für „Ahmadjan und der Wiedehopf“ erhielten Maren Amini und ihr Vater schon vor Erscheinen den „Berthold Leibinger Comicbuchpreis“.

Ahmadjan und seine Tochter telefonierten täglich und diskutierten. Das Handy-Video-Projekt konnte Maren ihm ausreden: viel zu brutal. Dann ­erinnerte sich Ahmadjan an ein Märchen, das ihm sein Großvater als Kind immer erzählt hatte. Die „Konferenz der Vögel“ des vor 800 Jahren verstorbenen persischen Dichters Fariduddin Attar: Eine Parabel auf eine beschwerliche Suche, eine jahrelange Reise, die mit der Erkenntnis endet, dass das ­Gesuchte in einem selbst zu finden ist.

1972 kam Ahmadjan als mittelloser Tourist erstmals nach Hamburg. Ein neu­gieriger Teenager, der sich stets an die Hippies hielt, die er traf. Gut gelaunte Langhaarige kannte er schon aus ­Kabul – und fühlte sich wohl in ihrer Gegenwart. Er blieb, wohnte in Studierendenwohnheimen und besetzten Häusern, er besuchte eine Kunstschule und er arbeitete: auf Baustellen, am Hafen, als Bierzapfer auf dem Dom und als Grafikdesigner. Nebenbei genoss er das Leben: er malte, feierte, hatte viele Freundinnen und lebte ­monatelang auf Ibiza, wo er seine Pastellbilder am Strand verkaufte. Doch 1978 musste Ahmadjan Deutschland verlassen: Zwangs-Militärdienst in Afghanistan. 

Seine Tochter, die die Heimat des Vaters nie besucht hat, erzählt all dies mit schwungvollem Strich. Mit digitalem Pinsel am iPad, mit klaren Konturen und wenigen Farben erweckt ­Maren Amini in „Ahmadjan und der Wiedehopf“ auch die Zeit davor zum Leben. Das Afghanistan der 1960er-Jahre, in dem Ahmadjan als Sohn eines Schafhirten im ländlichen Pandschirtal nördlich von Kabul aufwuchs. Für die buchstäbliche Enge dieser Zeit braucht Maren nur ein Bild: ein stilisiertes Haus, das eng zwischen zwei hohen Bergen eingeklemmt ist.

Erst im Internat in Kabul wurde Ahmadjan regelmäßig satt, er verliebte sich in die Kunst und in eine Frau. Ahmadjans Englischlehrerin stellt ­Maren Amini als Nachtigall dar, sie ist eine von 30 Vögeln, die die Graphic ­Novel bewohnen. Im Original des Dichters Attar durchqueren die Vögel sieben Täler, auf der Suche nach dem König der Vögel. Angelehnt an die ­Fabel hat die Tochter für ihr Buch das Leben des Vaters in sieben Phasen eingeteilt.

„In beiden Geschichten geht es um eine innere Reise“, kommentiert Maren. „Jemand, der ein Einzelkämpfer ist, erkennt, dass er nur als Teil der Schar bestehen kann. Es geht um eine Wandlung, und ums Kümmern.“

Im fünften Tal – dem fünften Teil – wird Ahmadjan von seinem Militärdienst freigestellt. Die Russen hatten die Macht in Kabul übernommen, der nicht einmal 30-Jährige verließ das Land mit dem ersten Flugzeug. 

In Deutschland wurde er als Geflüchteter anerkannt, und bald musste er sich tatsächlich kümmern: 1981 wurde seine erste Tochter in Hamburg geboren. Die Mutter ist die Bade­meisterin Renate, die er in seinem ­täg­lichen Frühschwimmclub traf. 1983 kommt das zweite Kind auf die Welt: Maren.

„Wir haben immer viel zusammen gemalt“, erinnert sich die Illustratorin an ihre Kindheit. „Ich habe ihm meine Schmetterlingszeichnungen gezeigt, er sagte ‚Du wirst noch eine große Künstlerin‘, und dann habe ich nie ­etwas anderes werden wollen.“

„Ahmadjan und der Wiedehopf“ ist Maren Aminis erstes größeres Buchprojekt. 240 Seiten sollen es ­werden, mehr als die Hälfte sind bereits fertig gezeichnet und getextet. Erscheinen wird es beim renommierten Carlsen Verlag, der Heimat von „Tim und Struppi“. Termin: Herbst 2024. Dann wird man erfahren, wie Ahmadjan Aminis Leben weiterging, mit Renate und mit den 10.000 D-Mark, die er später im Rucksack nach Afghanistan schmuggelte. Nur ein kleiner Spoiler: Der ewig neugierige Einzelkämpfer hat damit eine Brücke bauen lassen. 

„Du bist ein Stehaufmännchen“, sagt Maren und schaut ihren aben­teuerlustigen Vater an. „Das habe ich von dir geerbt.“

Ahmadjan Amini muss nicht lange nachdenken, fragt man ihn nach dem Ursprung seines unerschütterlichen Optimismus’: „Ich kam als 12-Jähriger ins Internat, war dort ganz allein.
Ich musste mich in verschiedenen Situationen durchsetzen, und ich habe nebenbei gearbeitet. Das Leben hat so viel bereitgehalten. Und ich bin einfach reingeschwommen.“ 

Artikel aus der Ausgabe:

Frauen im Hafen

Der Hamburger Hafen ist eine Männerdomäne? Von wegen! Wir stellen Frauen vor, die den Hafen verändern. Außerdem: Philosophin Eva von Redecker im Interview über die Rolle von Frauen in Revolten, eine Reportage über Menschen am Hauptbahnhof und ein Porträt von Boxweltmeisterin Dilar Kisikyol, die für Inklusion und Feminismus kämpft.

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Autor:in
Jan Paersch
Freier Kulturjournalist in Hamburg. Zwischen Elphi und Stubnitz gut anzutreffen - und immer auf einen Espresso.

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