Die Berliner Initiative „Freiheitsfonds“ holt Menschen aus dem Gefängnis, die eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, weil sie wiederholt ohne Fahrschein in Bus oder Bahn erwischt worden waren.
Wer sein Strafgeld wegen Fahrens ohne Ticket nicht bezahlen kann, landet im Gefängnis. Weil sie derartige Ersatzfreiheitsstrafen für unsinnig hält, sammelte die Initiative „Freiheitsfonds“ seit Anfang Dezember mehr als 212.000 Euro Spenden ein und konnte damit die Geldbußen von 194 Betroffenen übernehmen.
Ohne Fahrschein mit Bus oder Bahn zu fahren gilt in Deutschland als Straftat. Grundlage dafür ist Paragraf 265a des Strafgesetzbuchs, „Erschleichen von Leistungen“ – ein 1935 eingeführter Straftatbestand, mit dem die Nazis einen damals gängigen Automatenbetrug stoppen wollten. Bestraft wird heutzutage allerdings kein klassischer Betrug, argumentieren die Initiator:innen vom Freiheitsfonds. Wer kein Geld für ein Ticket habe, der könne auch keine höhere Strafe zahlen.
Im Zuge einer gemeinsamen Recherche des „ZDF Magazin Royale“ des Fernsehsatirikers Jan Böhmermann und der Onlineplattform „FragdenStaat“ förderte der Freiheitsfonds zutage, dass im Juli 2021 geschätzt 850 Menschen bundesweit eine derartige Strafe absaßen – aktuellere und genaue Daten liegen nicht vor. Die Initiative verweist zudem auf eine Studie, der zufolge fast ausschließlich Menschen mit wenig Geld hinter Gittern landen: 87 Prozent der Inhaftierten waren arbeitslos, mehr als jede:r Siebte hatte keinen festen Wohnsitz. Hinz&Kunzt-Recherchen zeigen: Weil die Hansestadt aufgrund von Corona Ersatzfreiheitsstrafen aufschiebt, saßen Mitte Januar nur noch neun Menschen wegen „Erschleichen von Leistungen“ hinter Gittern. Drei Menschen hatte der Freiheitsfond zuvor aus der Justizvollzugsanstalt „freigekauft“. Von den verbliebenen neun Insassen waren sieben obdachlos.
Die Absurdität: Ersatzfreiheitsstrafen kommen die Allgemeinheit teuer zu stehen. „Ein Tag Haft kostet den Steuerzahler um die 150 Euro, von den volkswirtschaftlichen Folgen bei Verlust der Wohnung oder Arbeit infolge einer Haftstrafe ganz zu schweigen“, kritisierte bereits 2018 Hamburgs damaliger Justizsenator Till Steffen. Der Grünen-Politiker hatte sich zum Ziel gesetzt, das Fahren ohne Ticket lediglich als Ordnungswidrigkeit zu behandeln. Sein Vorstoß zur bundesweiten Gesetzesänderung scheiterte damals allerdings am Widerstand der Großen Koalition.
Beim HVV hingegen gehört „Schwarzfahren“ inzwischen der Vergangenheit an. Weil sich vermehrt Menschen an dem Begriff störten, suchte der Verkehrsverbund vergangenen Sommer nach Alternativen – allerdings nur bei der Wortwahl: Am Bußgeld fürs „Fahren ohne Fahrschein“ hält das Unternehmen weiterhin fest.