Mindestens 29 Obdachlose sind in diesem Jahr auf Hamburgs Straßen gestorben. Deutlich mehr als bislang bekannt. Das geht aus einer Antwort des Senats auf eine Anfrage der Linksfraktion zurück.
Am 12. Oktober stirbt Hinz&Künztler Jacek in seinem Zelt in Hamburg-Tondorf. Zwei Tage später wird ein weiterer obdachloser Mann an einer Straße tot aufgefunden. Nochmals zwei Tage später stirbt eine obdachlose Frau in einem Park. Eine Woche später liegt der Obdachlose Claudio leblos am S-Bahnhof Sternschanze. Nur einen Tag später gibt es den nächsten Toten: ein obdachloser Mann am Bismarck Denkmal.
Es ist nur ein kleiner Ausschnitt einer anonymen Liste von insgesamt mindestens 29 Menschen, die in diesem Jahr auf Hamburger Straßen starben. Deutlich wird: Der Tod auf der Straße ist in Hamburg nicht die Ausnahme, sondern die traurige Regel. Die Aufzählung geht zurück auf eine Antwort des Senats auf eine Anfrage der Hamburger Linksfraktion, die Hinz&Kunzt vorliegt. Zum Vergleich: 2020 wurden 14 Todesfälle von Obdachlosen auf Hamburgs Straßen bekannt.
„Dass in Hamburg so viele Menschen im Freien sterben, macht mich fassungslos und ist kein Zustand, an den wir uns gewöhnen dürfen. Wir brauchen ganzjährig und ganztägig ein dezentrales Notunterkunftssystem, möglichst mit Einzelzimmern”, sagt Stephanie Rose, sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion und ergänzt: „Wir brauchen Prävention von Obdachlosigkeit, von Wohnungsverlusten, und wir brauchen den bedingungslosen Zugang zu bezahlbarem Wohnraum für sehr viel mehr Menschen, als es jetzt der Fall ist.” Zusätzlich müsse massiv in den Ausbau von Straßensozialarbeit investiert werden, um die Menschen dort zu erreichen, wo sie sich aufhalten.
Forderung nach Systemwechsel
Die Aufzählung der Todesfälle beruht, wie aus der Senatsantwort hervorgeht, auf einer „überschlägigen Sichtung und Auswertung“ des Instituts für Rechtmedizin am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). Dort wird allerdings nur die Todesursache überprüft, wenn diese nicht eindeutig feststeht. Es muss also davon ausgegangen werden, dass die Zahl tatsächlich noch höher ist: Neben den 28 in dieser und älteren Senatsantworten gelisteten Fällen ist Hinz&Kunzt ein weiterer auf der Straße verstorbener Obdachloser bekannt.
Zusätzlich zu den Toten, die etwa auf Parkbänken, auf der Straße oder in Grünanlagen gefunden wurden, sind weitere 17 Obdachlose im selben Zeitraum in Hamburger Krankenhäusern verstorben, wie ebenfalls aus der Senatsantwort hervorgeht. Altersangaben veröffentlicht der Senat nicht. Bekannt ist aus der Vergangenheit, dass Obdachlose in der Regel viel zu früh sterben. Im Schnitt werden sie laut einer Hamburger Studie nur 49 Jahre alt.
Hinz&Kunzt Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer zeigt sich erschüttert: „Ich finde keine Worte für die dramatische Situation, in der sich Obdachlose auf Hamburgs Straßen befinden“, sagt er und fordert einen Systemwechsel: „Man sieht, dass die Menschen nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer auf der Straße sterben. Sie brauchen eine dauerhafte, statt eine nur vorübergehende Unterkunft.“