Frisch vom Kutter

(aus Hinz&Kunzt 208/Juni 2010)

Wer auf dem Hamburger Fischmarkt noch richtige Elbfischer sehen will, der ist am Ponton unterhalb der Fischauktionshalle richtig. Abseits vom Touristenrummel stehen sie hier und verkaufen Rotzunge und Hering, Scholle und Dorsch. Alles fangfrisch, direkt aus der Elbe und der Nordsee. „Hier zu stehen hat Tradition“, sagen die Männer stolz.

Wie in Zuckerwatte gehüllt steigt die Sonne vor einem zartrosa Himmel über die Dächer. Ein klarer Frühlingssonntag halb sechs Uhr früh auf dem Hamburger Fischmarkt, perfekt wie auf einer Postkarte. Auf der Elbe lautes Tuten, die Frühaufsteher unter den Touristen zoomen begeistert ein Kreuzfahrtschiff heran, es riecht nach frischem Kaffee und schalem Bier. „Das ist Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle?“ fragt der Sänger in der Fischauktionshalle. „Hölle, Hölle“, brüllt das Durchfeiervolk, die Ersten tanzen auf den Tischen.

Wenige Meter entfernt sind Trubel und Party weit weg. Am Anleger unterhalb der Halle schaukelt sanft ein rot-weisser Kutter im Wasser, darüber kreisen kreischende Möwen. Fischer Jens Stoef, in blauem Kapuzenpulli und orange-gelber Gummilatzhose, schiebt eine letzte Plastikkiste auf den langen Holztisch, damit ist die Verkaufstheke an Bord seiner „Elvstint“ komplett. „Moin moin, Jens“, ruft ein Mann vom Steg runter. „Haste schon Krabben?“ – „Nee, nächste Woche vielleicht“, antwortet Stoef und stapelt Kistendeckel aufeinander. „Is alles büschen spät dies Jahr.“


In den grünen, blauen und gelben Boxen voller Eis liegen Rotzungen, Dorsche, Steinbutt, Heringe, Forellen und Schollen. Gefangen und frisch geschlachtet während der vergangenen 48 Stunden, aus der Nordsee, aus der Elbe, aus Stoefs eigener Zucht. In Winsen an der Luhe führt der 29-Jährige mit seiner Familie einen Fischereibetrieb. Was die Fischer aus dem Meer und aus dem Fluss holen, verkaufen sie frisch und geräuchert direkt ab Hof oder bewirten damit Gäste im hofeigenen Restaurant. „Ein Familienunternehmen, wir arbeiten jetzt in der vierten Generation“, erzählt Stoef, ein ausgebildeter Fischwirt.

Vor sechs Jahren beschloss er, die Ware auch sonntagsmorgens in St. Pauli anzubieten. „Wenn man auf der Elbe fischt, dann ist der Fischmarkt nicht nur eine weitere Verkaufsoption“, sagt Stoef. „Hier zu stehen gehört auch der Tradition wegen dazu.“

Einst lagen mehr als hundert Fischkutter am Anleger, in den 1980ern verkauften dort noch zehn Fischer direkt vom Boot, heute sind sie höchstens zu dritt. Olaf Jensen ist einer au dem Trio, von Mai bis Oktober steht er hinter seinem kleinen Stand auf dem Ponton. Jensens Spezialität sind Aale, selbst gefangen in Elbe und Schlei, selbst geräuchert über Buchen- und Erlenholz. „Meine Preise sind höher als bei denen da oben an Land, und durch die Luft schwenken und ’ne Show abziehen, das tu ich auch nich“, sagt Jensen, nickt mit dem Kopf zu den Fischbuden auf dem Fischmarkt hoch und rollt zwei Aale in Zeitungspapier. „Dafür gibt’s bei mir immer was zum Lesen dazu, heute die Sport-Seiten, Wirtschaft is viel zu traurig.“

Mit lauten, derben Sprüchen wirbt auf den Kuttern am Anleger keiner, zwei Pärchen mit Obstkörben in der Hand gucken kurz über Stoefs Kisten, dann gehen sie wieder. „Touristen machen Fotos, kaufen aber nichts“, sagt Stoef. „Is aber völlig verständlich, Fisch stinkt im Reisebus auch nur.“ Stoef und Jensen verkaufen an Stammkunden, viele haben einen Einkaufstrolley dabei und holen ihre Bestellungen ab. „Tolle Rotzungen haben wir heute“, sagt Stoef zu einem Paar aus Finkenwerder. Wenn vom Frühling bis in den Spätherbst die Elbfischer am Anleger stehen, erzählen die beiden, kommen sie jeden Sonntag mit der Fähre herüber.

Rotzungen aber kaufen nur wenige Fischfans, im Mai und Juni ist Hochsaison für die Scholle. „Zwei schöne große hätten wir gern und zwei mittlere für die Kinder.“ Der nächste nimmt gleich ein Dutzend der platten Fische, „heut’ Abend sitzt die ganze Großfamilie am Tisch“, die silberhaarige Dame mit Dackel will „eine möglichst kleine“. Stoefs Mitarbeiter Hinnerk Groth zieht das gewünschte Exemplar aus der Kiste und wiegt den Kauf ab, während seine Schwester Tina Norman kassiert.

Auf dem Ponton stoppen viele Kunden an einem weißen Pavillon, dort schneidet Hans Schnoor den Fischen Kopf und Flossen ab, macht sie pfannenfertig und gibt Tipps zum richtigen Zubereiten. „Wir ergänzen uns gut hier unten am Anleger“, sagt Stoef und legt eine Plastiktüte beiseite. „Schnoors wollen heute auch die erste Maischolle essen.“
Bald wird die Elvstint noch mehr Süßwasserfische mit zum Markt bringen, Zander etwa und Brassen. Im August startet Stoef die Saison für Aale und Taschenkrebse, im Oktober dreht sich alles um den Karpfen. Eine gute Auswahl sei zwar wichtig, sagt er, allerdings gelte auch: „Nicht jeder Fisch zu jeder Zeit, sondern je nach Jahreszeit.“ Importe seien ohnehin kein Thema, auch wenn manche Marktbesucher immer mal danach fragen. „Dann wollen sie Thunfisch“, erzählt Stoef amüsiert, „oder irgendwelche Exotenfische.“
Kurz nach sieben Uhr, die Schlange vor den Schollen wächst. Aber auch ein sieben Kilo schwerer Steinbutt und der armlange Marmorkarpfen finden einen Käufer. Hinnerk und Tina schnacken mit den Kunden, Stoef unterhält zwei Jungs mit glasigen Augen und halbvollen Bierbechern in der Hand. „Komm, nimm den großen Karpfen hier, dann haste was für die ganze Familie.“ – „Aber ich hab doch gar keine Familie.“ – „Dann bind ’ne Schleife drum und nimm ihn ­deiner Muddi mit, ich werf ihn dir zu, dann kannste ihr sagen, du hättest ihn sogar selbst gefangen.“ Die Jungs grölen. „Mensch“, sagt der eine. „Du könntest eigentlich auch da oben verkaufen.“

Text: Daniela Schröder
Fotos: Mauricio Bustamante

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