Gedenken an die Opfer von Hanau :
„Wir dürfen nicht zwischen ‚wir‘ und ‚die‘ unterscheiden!“

"Wenn diese Gesellschaft erfolgreich rechtsradikaler Ideologie widerstehen will, dann muss sie lernen, jeden Menschen als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft, als Bürgerin und Bürger zu betrachten", sagt Diakonie-Chef Dirk Ahrens. Screenshot: Diakonie Hamburg

Heute vor einem Jahr ermordete ein Rechtsradikaler in Hanau zehn Menschen. Ein Appell von Landespastor und Hinz&Kunzt-Herausgeber Dirk Ahrens.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Diesen Appell, der auch heute genauso dringlich und wichtig ist, verfasste Landespastor und Hinz&Kunzt-Herausgeber Dirk Ahrens exakt vor einem halben Jahr – am 19. August 2020. Wir haben in deswegen erneut veröffentlicht und weisen darauf hin, dass heute, am 19. Februar, in Hamburg ab 17 Uhr gleich an vier Orten (im Arrivati-Park, bei der U-Feldstraße, in der Glashüttenstraße und auf dem Vorplatz der S-Bahnstation Veddel) der Opfer gedacht wird.

Am 19. Februar 2020 wurden in Hanau 10 Menschen von einem rechtsradikalen Terroristen getötet. Wenn der Täter auch psychisch krank war: Seine Motive waren eindeutig rassistisch! Die Opfer des Anschlags von Hanau stehen in einer langen Reihe von mindestens 200 Mordopfern rechtsterroristischer Gewalttaten in der Geschichte der Bundesrepublik. Die meisten Opfer hatten eine Migrationsgeschichte und die restliche Gesellschaft hat sich beschämend wenig interessiert. Dass die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) nicht nur in den Medien eine Zeit lang als „Döner-Morde“ firmierten, muss uns fast so betroffen machen, wie die Mordserie selbst. Erst der Anschlag auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und der Mord am Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke erzeugten in Politik und Gesellschaft die Erkenntnis: Rechtsradikaler Terror bedroht uns alle!

Im Gefolge der Trauer um die Opfer von Hanau waren viele gute Reden zu hören. Nicht nur Politikerinnen und Politiker drückten ihre Abscheu gegen Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit aus. Und gleichzeitig wurde gespenstisch deutlich wie sehr die Propaganda der Rechten bereits in unsere Köpfe gesickert ist und unsere Sprache beeinflusst, denn die Mordopfer in Hanau waren nicht fremd. Sie lebten in Hanau überwiegend seit vielen Jahren. Die Stadt war ihre Heimat und sie hatten dort Kollegen, Freunde und Familien die jetzt um sie trauern. Sie waren zuhause in Hanau. Und sie waren überwiegend auch keine Ausländer sondern Deutsche. Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Die rechtsradikale Propaganda will uns glauben machen, dass „die“ nicht dazu gehören, dass eine Migrationsgeschichte dauerhaft von der vollwertigen Zugehörigkeit in diesem Land ausschließt. Mit jeder Betroffenheitsadresse gegen Fremden- und Ausländerhass laufen wir Gefahr, genau diese Propaganda zu unterstützen. Wir wenden uns gegen die radikale und gewaltsame Form der Ausgrenzung, nicht aber gegen die Ausgrenzung selber. Dass wir damit auch Integration verhindern, weil wir sie – ohne es zu merken – gar nicht zulassen, ist eine fatale Folge. Wenn diese Gesellschaft erfolgreich rechtsradikaler Ideologie widerstehen will, dann muss sie lernen, jeden Menschen als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft, als Bürgerin und Bürger zu betrachten. Nur die konsequente gesamtgesellschaftliche Weigerung zwischen „wir“ und „die“ zu unterscheiden entzieht dem rechtsradikalen Terror den ideologischen Nährboden.

 

Autor:in
Dirk Ahrens
Dirk Ahrens ist Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werkes Hamburg, Landespastor und Herausgeber von Hinz&Kunzt

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