Wir haben Köche und Restaurantbesitzer*innen gefragt, wie sie die Krise bewältigen. Die meisten kennen wir seit Jahren: Sie haben bei der KunztKüche mitgemacht, unserem Restaurant auf Zeit.
Braucht ihr Hilfe?“ fragt Andreas Reitz vom Alten Mädchen am Telefon. „Ich muss total an euch denken und wie es mit den Obdachlosen jetzt weitergeht.“ Wahnsinn! Das fragt ausgerechnet einer, der selbst von der Coronakrise gebeutelt ist. Reitz ist nämlich der Geschäftsführer vom Braugasthaus in der Schanze. Und das Alte Mädchen musste natürlich genauso schließen wie alle anderen Cafés und Restaurants.
Es war fast Gedankenübertragung, als er jetzt anrief, denn wir wollten andersherum auch bei unseren ehemaligen Partner*innen aus der „KunztKüche“ nachfragen, wie sie diese Krise meistern. Zur Erinnerung: 2018 betrieben wir für einen Monat ein Restaurant auf Zeit und arbeiteten mit mehr als zwei Dutzend Köch*innen und Restaurantbesitzer*innen zusammen. Jeden Abend kochte jemand anderes das Drei-Gänge-Menü für unsere Gäste. Daraus sind Freundschaften entstanden – und unser Kochbuch „Willkommen in der KunztKüche“, das sich auch ein wenig wie ein Familienalbum liest.
„Es ist Wahnsinn, wie alle innerlich zusammengerückt sind.“– Andreas Reitz
Tatsächlich bekommen wir jetzt von Andreas Reitz und seinem Team Lunchtüten für unsere Obdachlosen im Hotel (siehe ab Seite 6) – zum Selbstkostenpreis. Und wie geht’s beim Alten Mädchen? „Klar war, dass es hart wird, aber klar war auch, dass wir wegen der Coronakrise keinen Mitarbeiter verlieren wollen“, sagt Andreas Reitz. „Bei der Bekanntgabe der Kurzarbeit gab es Verständnis vom gesamten Team, es herrschte in diesem Moment, der ja für jeden gravierende Auswirkungen hat, ein unglaubliches Gemeinschaftsgefühl, es ist Wahnsinn, wie alle innerlich zusammengerückt sind. Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.“
Und alle hauen jetzt rein, sie renovieren oder organisieren den Außer-Haus-Verkauf. Manche machen mit bei „Kochen für Helden“. „Vor so einem Team, das unabhängig von seiner Position bereit ist, mit dir durch dick und dünn zu gehen, vor dem kann ich nur voller Demut meinen Hut ziehen.“
Apropos „Kochen für Helden“: Das sind die Köch*innen, die sich zusammengetan haben, um für die Kassiererin im Supermarkt, den Pfleger im Krankenhaus, den Apotheker oder den Drogeriemarktangestellten zu kochen. Finanziert wird das über Spenden. Am Abend, bevor Andreas anrief, gab es einen Fernsehbeitrag über die Initiative. Zu sehen war ein bekanntes Gesicht: Fabio Haebel, der sein Restaurant in der Paul-Roosen-Straße hat, ist einer der Hamburger Mitinitiatoren. Wie immer strahlt er Zuversicht und Optimismus aus.
„Die Zusammenarbeit in der Gastronomie ist sensationell.“– Fabio Haebel
„Kochen für Helden“ ist sein Herzensprojekt. Und nicht nur seins: Kitchen Guerilla ist dabei, Salt & Silver, Die gute Botschaft, Überquell, der Klippkroog und Tim Mälzers Bullerei. Fast alle haben bei uns in der Kunzt Küche mitgekocht. „Die Zusammenarbeit in der Gastronomie ist sensationell“, sagt Fabio Haebel, „aber auch die Menschen sind in ihrem Umgang netter geworden.“ Sein Wunsch: „Dass die Solidarität und die Gemeinschaft, die in den letzten Wochen entstanden sind, bleiben.“ Trotzdem: Ohne Einnahmen gibt’s keine Zukunft. Bei allen steht die Existenz auf dem Spiel. „Ein Wechselbad der Gefühle“, nennt das Fabio Haebel. „Die ersten Subventionen sind angekommen und die helfen auch, für den Moment. Je nachdem, wie lange der Gastro-Lockdown geht, ist das aber definitiv nicht ausreichend“, sagt er ernst.
Um etwas Geld einzuspielen verkauft er Lebensmittelboxen mit Rezepten auf Vorbestellung, jeden Samstag, kontaktlos durchs Fenster der Seafoodbar „XO“. „Wir schlagen damit zwei Fliegen mit einer Klappe“, sagt er. „Zum einen können wir etwas Umsatz machen und zum anderen bestellen wir weiterhin bei unseren Produzenten.“
Matthias Gfrörer von der Gutsküche Wulksfelde und seine Produzenten sind quasi eins. Gfrörer bekommt seine Ware direkt vom Hof. Aber auch hier ist die Küche zu. „Wir halten uns mit Renovierung, Anbau, Schulung der Mitarbeiter über Wasser und hoffen, dass es bald wieder losgehen darf“, schreibt er. „Wie viel Liebe und Aufwand in unserem Handwerk stecken!“ Die Krise mache noch mal deutlich, „wie wichtig unser soziales Miteinander ist!“ Und: „Wir vermissen unsere Gäste sehr!!!“
Einer der etabliertesten Restaurantbesitzer, die bei uns in der KunztKüche mitgemacht haben, ist Alexander Tschebull. Zusammen mit seiner Frau Yvonne betreibt er das Tschebull im Levantehaus mit österreichischem Flair und das exklusive Rive am Elbufer. Ich erinnere mich noch an ein Gespräch mit ihm. Wir saßen vor unserem kleinen Restaurant mit 30 Plätzen in der Weidenallee und Alexander Tschebull war voller Hochachtung für Lutz Bornhöft, den eigentlichen Inhaber unseres Restaurants auf Zeit. Sinngemäß sagte er damals, wie schwer es sei, ein kleines Restaurant am Leben zu halten, weil alles von einem selbst abhänge. „Wenn man da mal krank wird …“, sagte er. Und meinte damit: Dann ist man schnell am Limit oder sogar pleite.
„Die Krise hat die ganze Gastronomie mit voller Wucht getroffen.“– Yvonne Tschebull
Aber egal ob klein oder groß: „Die Krise hat die ganze Gastronomie mit voller Wucht getroffen. Da wir keine Lobby haben, werden wir auch in der nächsten Zeit nicht öffnen können oder wenn, dann nur mit angezogener Handbremse“, sagt uns Yvonne Tschebull. „Wir brauchen dringend eine Perspektive.“ Die Mehrwertsteuersenkung sei richtig und die Soforthilfe wichtig. „Aber sie deckt natürlich nicht die Kosten.“ Natürlich nutzen die Tschebulls jetzt auch die Zeit, die beiden Restaurants zu renovieren. Aber leicht ist es nicht. „Wir wünschen allen, die bisher alles gegeben haben, dass sie gut damit klarkommen“, sagt sie. „Und dass wir bald wieder zusammen essen, trinken und lachen können.“
Aber bislang gibt’s wenig zu lachen. Auch nicht bei Thomas Imbusch im 100/200 Kitchen. Als wir uns 2018 in der KunztKüche kennenlernten, war er gerade dabei, sein exklusives Restaurant in Rothenburgsort zu eröffnen. Wenig Plätze, wahnsinnig teure Inneneinrichtung, einer der teuersten Herde der Welt und natürlich eine exquisite Küche. Es gibt keine Karte, es gibt ausschließlich Überraschungsmenüs. Schon nach kurzer Zeit ein Michelinstern. „Es ist schlimm gewesen“, sagt er. „Besonders die Tage, an denen wir auf die Schließung gewartet haben. Und dann der Beschluss, zumachen zu müssen. Und die daraus resultierende Wahrscheinlichkeit, den eigenen Lebenstraum unverschuldet zu verlieren.“
„Gerettet haben uns eigentlich unsere Partner und die Art, wie wir arbeiten.“– Thomas Imbusch
Eine Woche lang seien sie im Schock gewesen. „Wir haben uns auf das Schlimmste vorbereitet: Bank, Steuerberater, Kurzarbeitergeld“, so Imbusch. Im Moment lebt er in einer Art Zwischenhoch. „Gerettet haben uns eigentlich unsere Partner und die Art, wie wir arbeiten.“
Denn seine Erzeuger*innen sind eher klein, sie haben kaum noch Abnehmer*innen und die Ware ist und war verderblich. „Ihnen drohte die Insolvenz“, so der Koch. Also haben er und sein Team innerhalb von 48 Stunden das Restaurant umgebaut und verkaufen jetzt die Lebensmittel der Erzeuger*innen zusammen mit Rezepten oder gar fertigen Gerichten. „Dadurch konnten unserer Partner weitermachen, und wir haben etwas Sinnvolles zu tun. Es ist ein Segen für uns, diese Beziehungen zu haben und jetzt gemeinschaftlich durch die Krise gehen zu können.“ Bislang könne er allen Mitarbeiter*innen weiter volles Gehalt zahlen. „Dafür sind wir sehr dankbar und auch ein bisschen stolz. Verantwortung hört eben auch in der Krise nicht auf.“ Und Senkung der Mehrwertsteuer? „Darum kämpft die Gastronomie schon lange, um neben in Plastik verpackten To-go-Waren mithalten zu können“, so Imbusch. „Nichts Schlechtes, aber begrenzt auf ein Jahr kein Grund, die Raketen knallen zu lassen.“
Verantwortung ganz anderer Art trägt Marcus Scherer, früher Gourmetkoch, jetzt Küchenchef im Israelitischen Krankenhaus. Das Wort Arbeitsplatzsicherheit hat bei ihm eine ganz andere Bedeutung. „Auch wenn wir hier zur Zeit nur wenige Corona-Patienten haben, ist Corona doch allgegenwärtig“, sagt er – zumal viele Patient*innen zur Risikogruppe gehören.
Wichtig sei, allen die Angst zu nehmen und den Stress, alle zu informieren, „aber auch zu kontrollieren“. Denn zur Zeit gehe Sicherheit über alles. „Wir sind in der Küche ziemlich abgeschottet. Keinerlei Besuche von außen, keine Vertreter, kontaktlose Warenübergabe. Nur der Mitarbeiter, der die Transportwagen fährt, verlässt auch die Küche. Alle anderen sollen in der Küche bleiben.“
Immerhin: Marcus Scherer muss sich keine Sorgen um die Zukunft machen. Dagegen sind bei Ole Plogstedt von der Roten Gourmet Fraktion so gut wie alle Jobs für seinen Catering-Service „bis auf Weiteres weggebrochen, und ich mach mir auch langfristige Existenzsorgen.“ Aber der Koch, der sich seit Jahren für Afrika und Geflüchtete engagiert, warnt: „Deshalb darf sich doch die Solidarität nicht nur auf unsere Region beschränken!“
„In armen Ländern sind durch diese Pandemie Millionen sogar direkt vom Hungertod bedroht.“– Ole Plogstedt
In diesen Corona-Zeiten müsse man sich erst recht um die Menschen in dem überfüllten Lager auf Lesbos kümmern und um die in Seenot geratenen Geflüchteten auf dem Mittelmeer. „Und in armen Ländern sind durch diese Pandemie Millionen sogar direkt vom Hungertod bedroht“, so Plogstedt.
Bei Fabian Ehrich im FuH in Ottensen spürt man seine Ohnmacht und Verzweiflung. Seine Mail an uns spricht Bände: „Sorry, dass ich heute nicht ans Telefon kommen konnte, aber ich stehe im Moment ganz allein in der Küche und mit allem anderen. Ich hab lediglich einen Kollegen, der mir während der Abholzeit die Bestellungen entgegennimmt. Das Abholgeschäft läuft zwar überraschend gut, wirft aber nur sehr wenig ab und ist sehr viel Arbeit, aber immerhin gibt es einen Umsatz.“
Wie Ole Plogstedt behält Fabian Ehrich trotz der eigenen Misere das Große und Ganze im Blick: „Ich sag mal so, die Menschheit glaubt ständig, die Natur ausbeuten zu können, ohne einen Preis dafür zu zahlen.“ Corona sei wohl einer der vielen Preise. „Von daher finde ich es okay, dass ich jetzt so kämpfen muss und vielleicht auch endgültig Pleite gehe“, schreibt er weiter. Ungerecht finde er nur, dass die Pleiten ungerecht verteilt sein werden und dass nach Corona einfach ungerecht weitergewirtschaftet werde. „Das ist es, was mich dabei so traurig macht, dass wieder nichts daraus gelernt werden wird.“
Er befürchtet, dass vielen auch der Rettungsschirm nicht helfe: „Die Bedingungen, um einen KfW-Kredit zu beantragen, sind einfach viel zu hoch, außerdem müssen die Kredite innerhalb von drei Jahren zurückgezahlt werden. Das ist definitiv zu kurz, es ist ja nicht so, dass wir nach der Krise doppelt soviel Umsatz wie vor der Krise machen.“
Lutz Bornhöfts Corona- oder Quarantänegericht
Kalte Tomatensuppe mit frittierten Kapern,
Sardellen, Oliven und Croutons
Zutaten:
1 große Dose passierte Tomaten, 2 EL Kapern, 6 Sardellenfilets, 1 Stange Baguette oder Brot, 6 grüne und 6 schwarze Oliven, 3 Zehen Knoblauch, frischer Thymian,
Rosmarin, geriebene Zitronenschale, Tabasco, Olivenöl, Salz, Pfeffer
Zubereitung:
Die passierten Tomaten in einen Mixbecher geben. Den Knoblauch, frischen
Thymian und Rosmarin, geriebene Zitronenschale, etwas Tabasco, Salz, Pfeffer und einen guten Schluck Olivenöl dazu geben. Alles gut mit dem Pürierstab mixen.
Streifen von Baguette oder anderem Brot vom Vortag in Öl, Knoblauch und
Meersalz knusprig braten, Oliven mit anbraten. Sardellen in Streifen schneiden.
Sardellen und Kapern in schwimmendem heißen Fett frittieren, eventuell auf einem Stück Haushaltspapier abtropfen lassen. Alles zusammengeben, fertig!
Der Einzige, den die Krise persönlich nicht mehr betrifft, ist der Koch, ohne den wir die KunztKüche nie gewuppt hätten: Lutz Bornhöft. Ihm gehörte damals die Cook up Culinary Gallery, die wir für einen Monat in die KunztKüche verwandelt hatten. „Gott sei Dank habe ich letztes Jahr drei wichtige und – wie sich jetzt herausgestellt hat – richtige Entscheidungen getroffen“, sagt er jetzt. Er hat kurz nach unserem Restaurant-Experiment sein Leben komplett verändert: Er verkaufte sein Restaurant, zog aufs Land und arbeitet heute in einem nachhaltigen Lebensmittel-Handel, der – weil sein Hauptgeschäft online läuft – in der Krise gut zu tun hat. Dass es ihm gut geht, hindert ihn aber nicht daran, eine Lanze für die vielen kleinen Restaurants zu brechen, die man als persönlich, sympathisch oder Geheimtipp bezeichnet. „Die haben schon unter normalen Umständen finanziell hart zu kämpfen, da hat man wenig Möglichkeiten, sich finanzielle Polster anzulegen.“
Da helfen auch keine Kredite. „Wann und wie soll man die je zurückbezahlen können? Warum sollte man jetzt Gutscheine für später verkaufen? Dann fehlt einem später die Liquidität.“ Appell an die Politik: Senkung des Steuersatzes auf 7 Prozent ohne Zeitbeschränkung und in der Krise volle Übernahme der Fixkosten für Betriebe, die privat und persönlich geführt werden. „Sonst stehen genau die Restaurants bald vor dem Aus, die unserer Gesellschaft eine kulinarische und kulturelle Vielfalt bieten und einer Stadt den gewissen Charme verleihen.“
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