Kunzt&Kult :
Ein durch und durch angenehmer Typ

April-Ausgabe
Steffen Schroeder kennt sich aus auf der Bühne, vor der Kamera – und im Knast. Foto: Andreas Hornoff

Hinz&Kunzt-Autor Frank Keil hat den Schauspieler, Autor und Vollzugshelfer Steffen Schroeder im Hamburger Schauspielhaus getroffen. Ein Gespräch über Freibadsommer in den 1980er Jahren, das deutsche Gefängnissystem und Mitgefühl.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Ein Geständnis vorab: Ich bin Fan. Fan von Tom Kowalski. Also Fan von Steffen Schroeder, der den Tom Kowalski spielt, den Kriminalkommissar Kowalski in der Serie „SOKO Leipzig“, der einzigen SOKO-Serie des ZDF, die es dauerhaft ins Abendprogramm geschafft hat. Tom Kowalski ist in dem vierköpfigen Team der Typ: Die Freiheit geht mir über alles! Entsprechend hat er keine feste Wohnung, wohnt lieber im Wohnwagen oder im ausgebauten Bus, fährt zudem sehr rasant Rennrad, ist oft pleite, trinkt gern, und einen Freund würde er nie hängen lassen. Nur sich an Vorschriften halten, was man ja als Polizist besonders beherzigen sollte, korrekt und genau sein, das ist überhaupt nicht seine Sache. Also: Verschwindet Kowals­ki mit dem Verdächtigen im Verhörraum und lässt die Jalousien herunterrasseln, dann hält man als Zuschauer*in die Luft an und hofft, dass er sich wenigstens diesmal einigermaßen im Griff hat.

So einen Typen also spielt Steffen Schroeder, der mich freitags zum Serien­gucker gemacht hat, der gerade aus Leipzig zurück ist, vom Dreh, wie es locker heißt. Und der auf seinen Kowals­ki angesprochen sagt: „Ich mag an ihm, dass er so geradeaus ist, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt. Das hat durchaus mit mir zu tun, auch wenn ich dann wieder ganz anders bin.“

Aber das soll heute nicht das Hauptthema sein: Auf dem Tisch liegt ein Buch mit einem blauen, zarten Umschlag, es könnten Kacheln am Grunde eines Schwimmbeckens sein, wie einem Gemälde von David Hockney entnommen: „Mein Sommer mit Anja“. Ein Roman, der autobiografisch geerdet ist und frei erfunden zugleich – und in dem ein Freibad eine große Rolle spielt, am Rande von München, wo Steffen Schroeder aufgewachsen ist.

„Ich hatte Lust, eine Liebes­geschichte zu erzählen.“– Steffen Schroeder

„Ich hatte Lust, eine Liebesgeschichte zu erzählen“, berichtet er: „Über einen 14-jährigen Jungen, also in einem Alter, wo man noch nicht weiß, wo es im ­Leben hingeht und was Liebe überhaupt ist.“ Dazu geht es zurück in die 1980er-Jahre: „Ich fand diese Zeit reizvoll, der Kalte Krieg war ständig in aller Munde, es gab Dinge wie Tiroler Nussöl oder das Dolomiti-Eis und dann Helmut Kohl und die Songs der Neuen Deutschen Welle – davon zu erzählen, hatte ich Lust.“

Held und Erzähler ist Konrad, „Konni“ genannt, was er hasst. Und der eines Tages beim Herumstromern durch die Wiesen und Knicks hinter dem Freibad auf ein Mädchen stößt, das sich mit Plastiktüten voller Sachen dort im Gestrüpp offenbar versteckt hält: Anja. Und auch wenn Anja eine erfundene Figur ist, so gibt es einen realen Hintergrund: „Es gab nahe dem Freibad, wo ich aufgewachsen bin, ein Kinderheim, und wir Kinder aus gutbürgerlichen Verhältnissen hatten oft Angst vor den Heimkindern.“ Die seien kriminell, hieß es. „Und es kam auch vor, dass man schnell in irgendwelche Reibereien geriet, dass man, auf gut Deutsch gesagt, eine aufs Maul bekam.“

Doch gleichzeitig ist da ein großes Mitgefühl: „Es hat mich sehr berührt, wenn ich Geschichten gehört habe, da ist jemand aus dem Heim abgehauen und hat wochenlang in den Isarauen überlebt.“ Denn die Auen entlang der Isar sind damals noch verwildertes Brachland, der Fluss selbst eine trübe Brühe: „Heute kann man ja in der Isar baden, damals galt Schwimmverbot – und ich fand es krass, dass andere in meinem Alter Wasser aus diesem ver­gifteten Fluss trinken, in den man noch nicht einmal reingehen soll.“

Lese- und Fernsehtipps

„Mein Sommer mit Anja“, Rowohlt Berlin, 2020, 208 Seiten, 20 Euro. Über seine Arbeit als Vollzugshelfer berichtet er in dem Buch „Was alles in einem Menschen sein kann“, Rowohlt Berlin, Klappenbroschur, 2017, 304 Seiten, 16,99 Euro. Neue Folgen der Serie „SOKO Leipzig“ sind für den Herbst geplant. Ältere Folgen stehen in der ZDF-Mediathek.

Anja also lebt dort versteckt, die beiden freunden sich an, auch wenn Konrad nicht weiß, wie er sie auch nur angucken soll. Dritter im Bunde ist ­Holger. X-beinig, ungelenk, geistig leicht behindert. Nie trägt er etwas anderes als schwarze Cordhosen, dazu ein weißes Polohemd; spricht er leicht vernuschelt, fliegen Spuckefetzen aus seinem Mund. Konrad und er sind beste Freunde, irgendwie; Konrad wusste gar nicht genau, ob er das wollte, es geschah einfach und es ist gut so.

„Ich habe von Menschen mit Behinderungen gelernt, dass sie ein unglaublich großes Herz haben“, erzählt Schroeder. Und wem das jetzt zu pauschal, zu kitschig klingt – er kann das erklären: „Ich habe es als Kind oft erlebt, dass nette Gesten unter Kindern sehr wohl ein Kalkül haben. Also da war jemand besonders nett zu mir, er lud mich zu seinem Geburtstag ein – weil er wusste genau, in zwei Wochen habe ich Geburtstag, es war also ein Geschäft.“ Und dann gab es Kinder, die anders waren: „Bei diesen anderen Menschen bekam ich eine Liebe, die war völlig ohne jedes Kalkül. Ich bekam sie einfach.“ Und nicht nur das: „Wenn ich zu ihnen aus irgendwelchen Gründen blöd war, sie geärgert habe, bekam ich die Liebe trotzdem. Und das hat mich völlig irritiert.“

So kommen die drei zusammen, versuchen, Anjas Geheimnis zu bewahren, und es ist klar, dass dieser Sommer nach den Schulferien zu Ende gehen wird und es kein Happy End geben kann. „Am Ende der Geschichte ist Holger, der als Trottel der Gesellschaft gilt, der nicht ganz richtig im Kopf ist, der Einzige, der alles schnallt“, sagt Schroeder und lacht: „Das ist etwas, was ich sehr gerne mag.“ Und was ihn auch beim Schreiben angetrieben hat, ist eine grundsätzliche Frage: „Wieso haben manche Menschen die besten Start­bedingungen ins Leben und bei anderen läuft es von Anfang an schief und es wird nicht besser?“

Steffen Schroeder kennt dieses Ungleichgewicht noch aus einer anderen Sphäre: dem Knast. Denn er ist nicht nur Schauspieler, ist nicht nur Autor, sondern er ist auch als ehrenamtlicher Vollzugshelfer tätig, im Berliner Verein „Freie Hilfe“. Und dazu kam er, weil er immer wieder im Gefängnis drehte und sich irgendwann für ihn eine Frage aufdrängte: „Wie um Himmels willen kommt man hier rein? Und dann: Was ist, wenn man hier wieder rauskommt?“

Viele Straftäter lernen wirklich schlimme Dinge erst im Knast.“– Steffen Schroeder

Und er will jetzt nicht falsch verstanden werden, Strafe muss es geben, falsches Handeln muss Konsequenzen haben, das steht für ihn außer Frage, aber das System Gefängnis, das er über Jahre durch die Betreuung von Inhaftierten gut von innen kennengelernt hat, wirft für ihn Fragen auf. Er holt tief Luft: „Wir nehmen Menschen, die bewiesen haben, dass sie unsere Regeln mit Füßen treten, schmeißen die zusammen in ein großes Haus, lassen die da drinnen, den einen ein paar Jahre, den anderen länger, und hinterher sollen die rauskommen und sich irgendwie gegenseitig reingewaschen haben, also das ist ein Konzept, das ich sehr fragwürdig finde.“ Und auch wenn er jetzt kein Patentrezept hat, was man stattdessen machen sollte, so sieht er, in welche Gewaltspirale Menschen geraten, wenn sie in Haft kommen: „Ich lerne von vielen Straftätern, dass sie mit kleineren Sachen angefangen haben und die wirklich schlimmen Dinge erst im Knast gelernt haben.“

Deswegen liest er demnächst auch im Berliner Jugendarrest, will versuchen, dort mit den Jungs zu reden: „Um da zu landen, muss man schon ziemlich viel Scheiße gebaut haben; das ist, wenn man wirklich nicht mehr weiß, wie kann man denen irgendwie Herr werden.“ Ihnen wird er zu erzählen versuchen, wie das läuft, wenn man für Jahre einsitzt, wenn einen bald niemand mehr besucht; wenn einem nicht mal mehr jemand zu Weihnachten eine Karte schreibt. „Was ich denen sagen will, ist klar: Ihr müsst irgendwie die Kurve kriegen! Ihr dürft nicht da landen! Ihr müsst da weg!“ Steffen Schroe­der sagt abschließend: „Wir müssen die Leute, die nicht in unserer Gesellschaft funktionieren, wieder in die Gesellschaft zurückholen, mit allen Mitteln. Das ist unsere einzige Chance.“

Aber jetzt muss er los, muss im Betriebsbüro des Schauspielhauses noch technische Fragen klären für seine heutige Lesung – es wird einer der letzten Abende sein vor der Schließung des Hauses aufgrund des Coronavirus.

Bei seiner Lesung im Schauspielhaus war die Welt noch in Ordnung. Tage später wurde das Haus wegen des Coronavirus geschlossen. Foto: Andreas Hornoff

Steffen Schroeder hat, bevor er zum Fernsehen kam, Theater gespielt, hat das in Essen an der Folkwang-Schule gelernt, war später unter Claus Peymann am Wiener Burgtheater engagiert, das ist theatermäßig Champions League. Von daher braucht er keinen Moderator, so einen Abend wuppt er allein. Sitzt schön ausgeleuchtet im Rangfoyer des Schauspielhauses an einem kleinen Tisch und liest. Gibt Konrad seine Stimme, gibt Anja ihre Stimme, gibt Holger noch eine andere Stimme, ohne je zu übertreiben. Erzählt zwischendurch, wie die Sommer in jenem Freibad waren, das später geschlossen wurde, das Gelände lag lange brach, nun werden dort Luxusapartments gebaut. Erzählt auch von seinem Ehrenamt im Knast und dass es für ihn kein ­Widerspruch ist, genauso Botschafter für den Weißen Ring zu sein, der sich um die Opfer von Gewalttaten kümmert.

Dann ist der Abend zu Ende, und eigentlich könnten jetzt alle aufstehen und gehen, aber die Leute bleiben sitzen und gehen nicht. Halten die Stille gut aus, fragen etwas, schweigen, kommen dann doch nach vorne, lassen sich ein Buch signieren, plaudern miteinander. In der Mitte Steffen Schroeder, der gut gelaunt und freundlich mit jedem spricht. Was für ein durch und durch angenehmer Typ.

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Artikel aus der Ausgabe:

„Lasst euch nicht unterkriegen!“

Das erste Mal erscheint Hinz&Kunzt im April nur digital. Aus dem Inhalt: Was Corona für Obdachlose bedeutet, wieso Hamburger Hinterhöfe bedroht sind, was aus der Harburger Likörfabrik wird.

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