In Hamburg wird gebaut wie lange nicht – und trotzdem finden Menschen mit geringem Einkommen oft keine Wohnung. Wie kann das sein, und was muss sich ändern? Das erklärt Stadtsoziologin Ingrid Breckner im Gespräch mit Hinz&Kunzt.
Hinz&Kunzt: Frau Professor Breckner, diesen Donnerstag findet in der HafenCity Universität die 10. Konferenz zur sozialen Spaltung statt. Sind wir der „Stadt für alle“, die sich die Veranstalter*innen wünschen, in den vergangenen zehn Jahren nähergekommen?
Ingrid Breckner: Das ist eine große Frage. Wir versuchen mit den Konferenzen Themen, die die Stadt bewegen, immer wieder in die Diskussion zu bringen. Nun geht es zum zweiten Mal ums Wohnen – was zeigt, dass dieses Thema sich nicht erledigt, sondern eher zugespitzt hat. Das hat mit dem großen Zuzug nach Hamburg zu tun, aber auch damit, dass viele Bindungen von Sozialwohnungen auslaufen und der Neubau nicht mal das deckt, was verlorengeht.
Sie haben der Hamburger Wohnungswirtschaft in einem Interview vorgeworfen, sie drücke sich davor, langfristig preiswerten Wohnraum zu bauen. Woran machen Sie das fest?
Zum Beispiel daran, dass Wohnungsunternehmen schwer dazu zu bewegen sind, den Anteil Sozialwohnungen zu bauen, den die Stadt fordert. Die Stadtentwicklungssenatorin hat lange darum gekämpft, das Bündnis für das Wohnen überhaupt aufrechtzuerhalten. Nun geht es um den verstärkten Gebrauch des Erbbaurechts, der aus städtischer Sicht sehr vernünftig ist. Da verweigert sich die Wohnungswirtschaft mit dem Argument, dass sie keine Kredite von den Banken bekommen würde.
„Mir ist unklar, über welchen Wohnungsmarkt Frau Breckner fabuliert“: So hat Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen, ihre Kritik gekontert. Seit 2016 hätten allein die in seinem Verband organisierten Unternehmen mehr als 7000 bezahlbare Wohnungen in Hamburg errichtet. Haben Sie übertrieben?
Die Wohnungsbaugenossenschaften sind als Bestandshalter wichtig für den Wohnungsmarkt. Nur: Wer heute eine Genossenschaftswohnung bekommen will, muss sich in eine lange Warteliste einreihen. Bei allen Anstrengungen, die unternommen werden: Der Bedarf der Menschen, die ein geringes Einkommen haben und deshalb eine preiswerte Wohnung benötigen, wird bei Weitem nicht gedeckt. Und es reicht auch nicht, wenn man auf niedrige Durchschnittsmieten verweist, aber nicht schaut, wie sich die Preise bei Neuvermietungen entwickeln. Schönreden hilft niemandem. Wir haben kürzlich beispielsweise festgestellt, dass manche Geflüchtete seit 19 Jahren in einer öffentlichen Unterkunft leben – weil sie einfach keine bezahlbare Wohnung finden.
Seit 19 Jahren!?
Ja. Das ist keine repräsentative Zahl, sondern ein Zufallsbefund im Rahmen von Interviews. Die Stadt meint dazu, das seien Einzelfälle. Ich kann nur sagen, dass wir mehrere solcher Menschen gesprochen haben.
Wie wollen Sie die Wohnungswirtschaft dazu bringen, mehr preiswerte Wohnungen zu bauen?
Das geht nur, indem die Stadt bei größeren Neubauvorhaben einen höheren Anteil Sozialwohnungen fordert. Norderstedt hat kürzlich die 50-Prozent-Quote beschlossen. Warum soll das in Hamburg nicht möglich sein?
Wien als Vorbild in Sachen Wohnungsbau
Sie betrachten auch Wien als Vorbild in Sachen Wohnungsbaupolitik. Warum?
Wien hat rigorose Regelungen zur Dämpfung der Baukosten beschlossen, hat zum Beispiel die Bodenpreise gedeckelt. Letztlich sind das politische Entscheidungen.
Warum schaffen wir Vergleichbares nicht in Hamburg?
Das weiß ich nicht. Es geht sicher um die Frage, ob man Wohnen als für das Gemeinwohl wichtiges Handlungsfeld ansieht oder ob man denkt, der Markt wird es schon richten – um dann irgendwann festzustellen, dass der Markt es eben nicht gerichtet hat.
Sie fordern, die Mietpreisbindung von Sozialwohnungen regelhaft von 15 auf 30 Jahre zu verlängern. Warum nicht gleich unbefristet und ewig geltende Bindungen?
Für einen bestimmten Anteil Sozialwohnungen ist das sicher sinnvoll – wenn es sich wirtschaftlich darstellen lässt.
Die Mietervereine sammeln seit Mittwoch Unterschriften für zwei Volksinitiativen zur Wohnungspolitik. Die eine fordert, dass die Stadt grundsätzlich keine Grundstücke und Wohnungen mehr verkaufen darf. Die andere will die Mieten von Wohnraum, der auf städtischem Grund gebaut werden, auf das Niveau von Sozialwohnungen begrenzen. Sind das die richtigen Initiativen zur richtigen Zeit?
Die erste Initiative finde ich richtig. Bei der zweiten hängt es meiner Ansicht nach von der Größe des Grundstücks ab. Wenn das sehr groß ist und dort ausschließlich Sozialwohnungen gebaut werden, könnte das zu Problemen führen. Wichtiger finde ich, in allen Stadtteilen Sozialwohnungen zu schaffen – auch dort, wo bisher keine sind. Denn nur so wird ein Miteinander von unterschiedlichen Menschen für alle erfahrbar.
Wenn Sie in Sachen Wohnungspolitik einen Wunsch frei hätten an den neuen Senat, der in wenigen Wochen gewählt werden wird: welcher wäre das?
Ich wünsche mir, dass städtischer Boden in städtischer Hand bleibt – weil es die einzige Möglichkeit für die Stadt ist, langfristig steuernd in den Wohnungsmarkt einzugreifen.
Eine Stadt nur für Reiche?
Unter dieser Überschrift diskutieren Expert*innen diesen Donnerstag (6. Februar) auf der 10. Konferenz zur sozialen Spaltung über die Hamburger Wohnungspolitik. Die Konferenz in der HafenCity Universität ist ausgebucht. Infos unter www.hamburg-stadtfueralle.de