Innenstadt :
Miteinander reden hilft!

Sie suchten vor 20 Jahren das Gespräch: Pastor Lutz Mohaupt (Mitte), Hans-Jörg Schmidt-Trenz (rechts) und Wolfgang Müller.

Seit 20 Jahren treffen sich Geschäftsleute, soziale Initiativen und Stadt regelmäßig am „Runden Tisch St. Jacobi“. Ein Erfolgsmodell: Kaum jemand fordert heute mehr, Bettler*innen zu vertreiben. Am Dienstag wird Jubiläum gefeiert.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Hamburg kurz vor der Jahrtausendwende. Innensenator Hartmut Wrocklage (SPD) hat ein „Bettler-Papier“ formuliert, Kaufleute fordern eine Innenstadtverordnung. Das Ziel: Bettler*innen und Obdachlose sollen aus der City vertrieben werden. Soziale Initiativen wie Hinz&Kunzt laufen Sturm gegen die Pläne. Die Stimmung ist vergiftet.

Da schlägt die Stunde des Brückenbauers. Lutz Mohaupt, damaliger Hauptpastor von St. Jacobi, erkennt: Nur wenn sich alle an einen Tisch setzen und miteinander reden, ist der Konflikt lösbar. „Es ging darum, Verständnis für die Probleme der anderen zu entwickeln“, erinnert sich Mohaupt. „Der Geschäftsmann muss Geld verdienen, um die Gehälter seiner Mitarbeiter bezahlen zu können. Und der Sozialarbeiter sagt mit Recht: ,Was nützt es, Menschen aus der City zu vertreiben, wenn die kurz darauf an anderer
Stelle wieder auftauchen? So lassen sich soziale Notstände nicht lösen!‘“ Der Pastor sucht das Gespräch mit Kaufleuten – und findet in Hans-Jörg Schmidt-Trenz den passenden Mitstreiter. Der damalige Hauptgeschäftsführer der Handelskammer sorgt dafür, dass die Wirtschaft „einen entscheidenden Schritt“ macht, wie er rückblickend sagt: „vom Sich-­Beklagen und -Beschweren zum selbst aktiv werden“.

Hauptpastorin Astrid Kleist spricht beim Jahresgottesdienst der „hoffnungs­orte hamburg“ mit Gründern des Runden Tisches. Dienstag, 4.2., 18 Uhr, Hauptkirche St. Jacobi, Jakobikirchhof 22, Eintritt frei

Gemeinsam holen die beiden alle Beteiligten an einen Tisch: Kaufleute, soziale Initiativen, Polizei, Bezirksamt und Sozialbehörde. Aus einer ersten Begegnung werden regelmäßige Treffen. Schon bald entsteht im Dialog ein Projekt, das Menschen in Not hilft, statt sie zu vertreiben: der „Stützpunkt für Obdachlose“. Mussten diese vorher ihr Gepäck den ganzen Tag mit sich rumschleppen, können sie nun ihr Hab und Gut einschließen und unkomplizierter Hilfsangebote außerhalb der Innenstadt wahrnehmen. Möglich wird das Projekt, das heute bei der Caritas angesiedelt ist, auch durch Spenden, die Kaufleute gesammelt haben.

Einigkeit herrscht auch darüber, dass in der City zusätz­liche Straßensozialarbeiter*innen gebraucht werden – eine Forderung, die die Stadt schließlich umsetzt. Und als 2017 der G-20-Gipfel vor der Tür steht, überlegen alle gemeinsam, wie sie verhindern können, dass Obdachlose durch ­Sicherheitsmaßnahmen vertrieben werden. „Wir benennen Themen und fragen uns: Wie können wir dafür sorgen, dass die an den richtigen Stellen behandelt werden?“, sagt Hauptpastorin und Pröpstin Astrid Kleist, die seit sechseinhalb ­Jahren die Gesprächsrunden leitet.

Wie einzigartig der Runde Tisch ist, zeigen regelmäßig die Reaktionen von auswärtigen Gästen – etwa die einer City-Managerin aus einer anderen deutschen Großstadt. „Die hat sich gewundert, wie offen und wertschätzend wir miteinander sprechen“, erzählt Ulrich Hermannes, Geschäftsführer der hoffnungsorte hamburg, zu denen die Bahnhofsmission zählt. Das Fazit der Besucherin war eindeutig – und ein Kompliment für Hamburg: „Davon sind wir weit entfernt!“

„,Bettler raus aus der ­Innenstadt!‘ fordert heute niemand mehr.“– Astrid Kleist

Nach 20 Jahren ziehen die Beteiligten eine durchweg ­positive Bilanz: „Die Grundstimmung ist ganz anders als ­früher“, sagt Moderatorin Kleist. „,Bettler raus aus der ­Innenstadt!‘ fordert heute niemand mehr.“ Und Sozial­arbeiter Stephan Karrenbauer, für Hinz&Kunzt von Anfang an dabei, ergänzt: „Weil wir uns inzwischen so gut kennen, gibt es mehr Verständnis füreinander.“

Artikel aus der Ausgabe:

Lasst uns rein!

Was die Bürgermeisterkandidat*innen Peter Tschentscher (SPD) und Katharina Fegebank (Grüne) nach der Wahl für Obdachlose tun wollen – und was Expert*innen ihnen raten. Außerdem: ein jüdischer Tempel in Hamburg und eine Tanzschule in der Favela von Rio de Janeiro.

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Autor:in
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas schreibt seit vielen Jahren für Hinz&Kunzt - seit 2022 als angestellter Redakteur.

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