Frau Sievers kämpft um ihre Wohnung. Herr Rabe wird bald ausziehen. Und Hinz&Kunzt bekommt ein ungewöhnliches Angebot: In unserem aktuellen Magazin erzählen wir, wie die Firma HRP Häuser entmietet, um sie teuer zu verkaufen – und die Stadt verzagt dabei zuschaut.
Das besondere Angebot
Mitte Oktober erhält Hinz&Kunzt-Geschäftsführer Jörn Sturm einen ungewöhnlichen Anruf: Sie suchen doch Wohnraum für Obdachlose, sagt der Geschäftsführer einer Hausverwaltung. Es gebe da Wohnungen in der Jarrestadt, die seien sofort bezugsfertig. Ob 10 oder 20 Wohnungen recht seien? Der Eigentümer arbeite an einem „einheitlichen Sanierungskonzept“, das dauere. Sechs bis neun Monate könnten die Mietverträge laufen. Und, Achtung, festhalten: für nur 100 Euro pro Wohnung monatlich – inklusive Nebenkosten. „Das klang verlockend!“, erinnert sich Sturm.
Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer hat Bedenken. Es gab schon mal ein Angebot für dieselben Wohnungen, vor einem Jahr. Auch da war vom „einheitlichen Sanierungskonzept“ die Rede, allerdings nur von sechs Wochen Zwischenmiete. Das neue Angebot ist deutlich interessanter, und der Winter steht vor der Tür. Also besichtigen die beiden eine der Wohnungen im Jean-Paul-Weg – und sind begeistert: „Neues Badezimmer, hochwertige Einbauküche, abgeschliffene Dielen und frisch gestrichene Wände: alles top!“ Ist der Eigentümer ein bisher unbekannter Menschenfreund?
Die Vorgeschichte
Irgendwann im Sommer 2018 beginnt Inga-Britt Sievers, sich zu wundern. Die WG über ihr ist ausgezogen, kurz vorher haben die Mieter*innen die Wohnung im Jean-Paul-Weg noch frisch gestrichen. Doch anschließend steht sie einfach leer. Ein Monat vergeht. Zwei Monate. Drei Monate. Nichts geschieht. Nach sechs Monaten schaut sich Frau Sievers in ihrer Straße um und sieht: Nicht nur bei ihr im Haus steht eine Wohnung leer. Nein, auch in den Nachbarhäusern gehen hinter manchen Fenstern nie Lichter an. „Das war irgendwie beängstigend“, erzählt die 64-Jährige. „Man fragt sich: Was passiert da?“ Sie spricht mit ihrem Nachbarn Ernst Otte. Auch der pensionierte Lehrer ist beunruhigt. Die beiden beschließen, der Sache auf den Grund zu gehen. Klingeln in den Häusern rundrum, befragen Bewohner*innen. Und stellen fest: Rund 40 Wohnungen stehen leer, viele seit längerer Zeit, von bis zu sieben Jahren ist die Rede. Eigentümerin in allen Fällen ist seit Anfang 2018 eine Firma namens HRP Hamburg Residential.
Zum Jagen getragen
Ein Anwohner informiert das zuständige Bezirksamt Nord im Frühjahr 2018. Das Amt erklärt, die Mail nie erhalten zu haben und erst seit November 2018 von den Leerständen zu wissen. Auf den ersten Blick scheint die Sache klar: Wer Wohnungen länger als vier Monate ohne guten Grund leer stehen lässt, verstößt gegen das Gesetz. Bis zu 500.000 Euro Geldbuße sind möglich. Das soll Zweckentfremdung von Wohnraum verhindern. Auf Nachfrage erklärt das Bezirksamt: „Die üblichen und notwendigen Verfahrensschritte wurden umgehend eingeleitet.“ Soll heißen: Das Amt schreibt einen Brief.
Im Februar 2019 zeigt Rechtsanwalt Marc Meyer von Mieter helfen Mietern den Leerstand erneut an. Kurz darauf bildet sich eine Mieter*inneninitiative. Im April besichtigt das Amt die Wohnungen und sucht das Gespräch mit Bewohner*innen und Eigentümerin. Sechs Monate später verhängt das Amt zwei Bußgelder: 160.000 Euro dafür, dass die HRP die Leerstände nicht wie vorgeschrieben gemeldet hat. Und 10.000 Euro für mutmaßlichen Mietwucher, weil die Firma einige der Wohnungen zwischenzeitlich zu Mondpreisen hat anbieten lassen: für bis zu 25 Euro kalt den Quadratmeter.
Die Absage
„So sehr wir uns Wohnungen für Obdachlose wünschen: Wir können uns nicht zum Feigenblatt machen lassen.“– Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer
Diese Vorgeschichte macht Hinz&Kunzt eine Zusammenarbeit nicht leicht. Mit so einer Vermieterin wollen wir eigentlich nichts zu tun haben. Und: Unsere Zusage könnte bedeuten, dass die HRP dank unserer Hilfe Leerstände für bis zu neun Monate beendet und die Wohnungen anschließend wieder unbewohnt lässt. Das ganze Verfahren ginge von Neuem los – mit alten Tricks und neuen Fristen. H&K-Sozialarbeiter Karrenbauer: „So sehr wir uns Wohnungen für Obdachlose wünschen: Wir können uns nicht zum Feigenblatt machen lassen.“ Hinz&Kunzt beschließt, das Angebot abzulehnen.
Aus der vermeintlich generösen Offerte wird eine Recherche: Was ist das für eine Firma? Bald wird klar: Der HRP gehören nicht nur in der Jarrestadt, sondern auch in Eppendorf und Winterhude Wohnungen, die seit langer Zeit leer stehen. Und noch etwas fällt auf: Die bis dahin in Hamburg ansässige GmbH hat ihren Sitz Ende 2018 ins Steuerparadies Luxemburg verlegt. Ein Zufall?
Unerbetener Besuch
Hermann Rabe (Name geändert, Red.) ist gezeichnet von einem zermürbenden Kampf. Der Bewohner einer hübschen Altbauwohnung in der Sierichstraße möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, weil er meint: „Ich möchte hier noch ein paar ruhige Tage verleben.“ Rabe ist aber auch einer, der sich ärgert, wenn Vermieter*innen Wohnungen in bestem Zustand leer stehen lassen. Deshalb ist er zu einem Telefonat mit Hinz&Kunzt bereit.
Das Haus, in dem der ältere Herr seit vielen Jahren lebt, ist ein Juwel: ein prächtiger Altbau mit schönstem Stuck, erbaut um 1910 und gut erhalten. Umso erstaunlicher ist es, dass hier und in den ebenso schmucken Nachbarhäusern bis zu 40 Wohnungen leer stehen. Angefangen habe es 2017, erinnert sich Rabe. „Dann wurde es sukzessiv mehr.“ Vermieterin auch hier: die HRP.
Im Oktober 2018 bekommt Rabe Besuch von einer Beauftragten der Hauseigentümerin. Die Immobilienfachfrau informiert den Mieter darüber, dass die Besitzerin die Wohnungen nach einer Sanierung einzeln verkaufen möchte. Sie kündigt Vermessungsarbeiten an und den Ausbau des Dachgeschosses.
Am Ende des Gesprächs bietet sie Rabe einen Deal an: Erkläre er sich bereit auszuziehen, könne er dafür 10.000 bis 15.000 Euro bekommen. „Lächerlich!“, sagt Rabe. Von der Frau hört er nie wieder etwas. Dafür Gerüchte: Bis zu 70.000 Euro sollen Nachbar*innen in der Sierichstraße erhalten haben, die einen Aufhebungsvertrag unterschrieben.
Mittlerweile denkt auch Rabe darüber nach, sich eine andere Wohnung zu suchen. „Das ist ein Geisterhaus geworden hier.“ Was ihn traurig macht und wütend: Die Hausgemeinschaft ist zerbrochen. „Jeder hat sein eigenes Süppchen gekocht.“
„In tadellosem Zustand“
Vom Leerstand in der Sierichstraße erfährt das Bezirksamt im April 2018. Seit 2017 ist dort bekannt, dass die HRP auch in Eppendorf mindestens 13 Wohnungen leer stehen lässt: an der Gustav-Leo-Straße und in der Eppendorfer Landstraße. Auch hier lässt sich der Wohnraumschutz Zeit. Zwar besichtigt er die Wohnungen und entdeckt, „dass sich der Großteil in einem tadellosen Zustand befindet“, wie das Amt auf H&K-Nachfrage mitteilt. Doch dann – geschieht nichts.
Leerstand gesucht!
Im Oktober 2019 prangert die Initiative „Wir sind Eppendorf!“ den Skandal öffentlich an („Bezirksamt duldet seit Jahren Leerstand!“). Auch das bleibt zunächst ohne Folgen: Bei Redaktionsschluss (12. Dezember) räumt das Amt ein: „Ein Wohnnutzungsgebot ist noch nicht erlassen worden.“
Warum duldet das Bezirksamt, dass ein Eigentümer viele Wohnungen in gutem Zustand mindestens zwei Jahre lang leer stehen lässt? „Die Anhörung und Stellungnahme des Eigentümers müssen zunächst veranlasst und anschließend rechtlich bewertet werden, bevor der Erlass eines Wohnnutzungsgebots erfolgen kann.“ Und: „Sorgfalt und Solidität“ seien „maßgeblich für den Erfolg“.
Die Immobilienhändler
Ähnlich ausweichend antwortet die HRP. Die Firma sei „ein sozial verantwortlicher Vermieter und Verwalter“ und arbeite kontinuierlich daran, „die Wohnqualität zu verbessern“. Das bedeute oft Leerstand von Wohnungen – wegen Lärm, Gesundheits- und Sicherheitsrisiken. Zudem gebe es Kapazitätsprobleme in der Baubranche. Bemerkenswert ist: Zumindest ein Teil der Wohnungen ist jetzt schon top renoviert – und steht leer.
Blick in die Zukunft
„Hier zeigt sich, warum Immobilienhändler*innen Leerstand mögen: Pro Wohnung bedeutet er hier nahezu 100.000 Euro mehr Gewinn.“
Im November preist eine Berliner Firma die leer stehenden Wohnungen im Jean-Paul-Weg als bevorstehenden Verkaufsschlager an („Coming soon!“). Was möglich ist, zeigt das Beispiel eines Hauses, das nur eine Straße weiter entfernt liegt: Am Glindweg 7 bietet eine „Gesellschaft für Wohnprojekte“ 79 bewohnte Quadratmeter für 413.000 Euro an. Knapp 500.000 Euro kostet eine vergleichbare Wohnung ohne Mieter*in. Hier zeigt sich, warum Immobilienhändler*innen Leerstand mögen: Pro Wohnung bedeutet er hier nahezu 100.000 Euro mehr Gewinn. In der Sierichstraße zum Beispiel liegt die Marge noch deutlich höher.
Nun wird klar: Das Geschäftsmodell der HRP umfasst auch den lukrativen Handel mit Wohnungen. Auch wenn Wohnraum jahrelang nicht vermietet wird: Die entgangenen Mieteinnahmen sind nichts im Verhältnis zum Gewinn, der sich mit dem Verkauf einer leeren Wohnung erzielen lässt. Wer sich in diesem Fall bereichert, bleibt unklar: Die HRP ist Teil eines unüberschaubaren Geflechts aus Firmen. Mittendrin: die Round Hill Capital, eine US-amerikanische Gesellschaft, die in großem Stil Immobilien handelt und verwaltet.
Wie Hamburg Spekulant*innen hilft
Dieses Unternehmen hatte im Dezember 2017 den Kauf von 320 Wohnungen in Hamburg bekannt gegeben – das „Alsterportfolio“. Möglich wurde der Deal mithilfe der damaligen HSH Nordbank. Das bedeutet: Ausgerechnet Hamburgs Landesbank gab 113,5 Millionen Euro Kredit an ein Unternehmen, das mit Wohnungen spekuliert – in einer Stadt, in der preiswerter Wohnraum immer knapper wird.
Die Nordbank ist vom Deal begeistert: „Die Gebäude bestechen durch ihre attraktive Lage in den gesuchten Stadtteilen Eppendorf, Winterhude und Uhlenhorst“, schwärmt ein Bankmanager. Herr Rabe, der zermürbte Mieter aus der Sierichstraße, ist entsetzt: Das Foto, mit dem Round Hill Capital das Geschäft illustriert, zeigt Häuser des Ensembles, in dem er wohnt.
Hilft jetzt die Staatsanwaltschaft?
Das überforderte Bezirksamt Nord wartet auf einen Erfolg. Die 170.000 Euro Geldbuße, die die Wohnraumschützer*innen kürzlich verhängten, hatten die Spekulant*innen bis Redaktionsschluss nicht bezahlt: Sie haben Widerspruch eingelegt gegen die Bescheide. Das heißt: Bis zu 100 Wohnungen stehen weiterhin leer. Angesichts der zu erwartenden Gewinne in Millionenhöhe erscheint die Strafe des Amts wie Peanuts. Immerhin: Die Wohnraumschützer*innen wollen nicht klein beigeben. Das Amt prüft jetzt „die Abgabe an die Staatsanwaltschaft“.