Was tut Hamburg für Menschen, die obdachlos und krank oder behindert sind? Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung wollte sich ein persönliches Bild von der Situation machen: in der Krankenstube für Obdachlose.
Die Krankenstube ist die letzte Station an diesem Freitagabend für Jürgen Dusel. Hier, im ehemaligen Hafenkrankenhaus St. Pauli, finden 20 Obdachlose rund um die Uhr ein Bett und medizinische Akutversorgung – die einzige stationär-ambulante Hilfseinrichtung für erkrankte Obdachlose in Hamburg.
Jürgen Dusel kennt Hamburg von früher, aber hier ist er zum ersten Mal. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung ist schon seit dem frühen Morgen auf den Beinen. „Alle dabei – gemeinsam unterwegs“, so hat er seine Tour zu verschiedenen Institutionen in ganz Deutschland überschrieben. Er will dabei Informationen sammeln über Menschen, „die sonst oft übersehen werden“.
Obdachlose gehören für Dusel ganz klar dazu. Dabei hätten sie die gleichen Rechte wie alle anderen auch. „Es ist unsere Aufgabe, dass sie dieses Recht auch leben können“, sagt er. Sein Augenmerk gilt besonders den Obdachlosen, die behindert oder schwer erkrankt sind: Dusel: „Diese Menschen sind doppelt stigmatisiert“, sagt er.
Von den Mitarbeitern der Caritas, die sich um einen langen Tisch versammelt haben, will Dusel deshalb wissen, wo der Schuh drückt. Wie steht es um die Versorgung von Obdachlosen mit Behinderungen in Hamburg? Welche Angebote gibt es, wo sind Verbesserungen notwendig?
Abgefrorene Gliedmaßen
Zum einen seien da natürlich die Menschen, die auf der Straße leben und im Rollstuhl sitzen sagt Andrea Hniopek, Leiterin Existenzsicherung bei der Caritas. Viele von ihnen hätten zuvor Erfrierungen an den Füßen und Beinen erlitten. „Da bleibt dann oft nur die Amputation und der Rollstuhl“, sagt Hniopek trocken.
Das größere Problem sei hingegen nicht so offensichtlich: die vielen Obdachlosen mit psychischen Erkrankungen. Genaue Zahlen darüber gibt es nicht. Straßensozialarbeiter Julien Thiele betreut das Projekt Straßenvisite für psychisch kranke Obdachlose. Er schätzt, dass von den offiziell 1910 Obdachlosen in Hamburg „vielleicht die Hälfte psychische Belastungen hat“.
Viele davon seien durch persönliche Schicksalsschläge traumatisiert. „Wie der Mann, der seine Mutter verloren hat, auf der Straße landet und dann eine Depression entwickelt, die er mit Alkohol ertränkt“, sagt Thiele. Hinzu kämen immer mehr Menschen, die auf der Straße leben, obwohl sie pflegebedürftig sind und eigentlich dringend einen Platz in einem Pflegeheim bräuchten. Thiele: „Wir haben in der Innenstadt Leute, da verteilen wir Windeln. Das ist kein Zustand.“
Es fehlt vor allen an Unterkünften
Auf Dusels Frage „Was bräuchte es?“ sind sich die Caritas-Mitarbeiter ohne jeden Zweifel einig: Unterkünfte. Und wenn es die schon nicht gebe, dann müsse es zumindest einzelne Projekte geben, in denen den Menschen auf der Straße „bedingungslos Nothallhilfe“ gegeben werde – unabhängig von ihrer Nationalität. „Wir haben hier ganze viele Leute aus Osteuropa“, erklärt Andrea Hniopek dem Behindertenbeauftragten der Bundesregierung. Viele von ihnen seien sehr krank, auch psychisch oder hätten ein Suchtproblem. „Je mehr Krankheitsbilder zusammen kommen desto schlimmer wird es, desto mehr Ausgrenzung erfahren sie.“ Jürgen Dusel sieht nachdenklich aus.
Helfen könnte etwa ein Ort, an dem Menschen schon mit kleinen Erkrankungen stationär aufgenommen werden können. „Damit die kleine Erkältung nicht zu einer Lungenentzündung führt“, so Julien Thiele. Der Straßensozialarbeiter sagt auch, dass ihm in der Innenstadt immer wieder Menschen begegnen würden, die frühzeitig aus dem Krankenhaus entlassen wurden: „Denen wird gesagt, sie müssten sich schonen und die Wunde keimfrei halten – aber das geht auf der Straße kaum. Der kleine Dreck macht dann die große Infektion“, sagt Thiele.
Verbesserungsvorschläge mitgenommen
Jürgen Dusel hat aufmerksam zugehört. Bevor er geht, lässt er sich noch das Zahnmobil zeigen, die erste rollende Zahnarztpraxis Deutschlands. Hier können sich Obdachlose kostenlos behandeln lassen. „Das ist für mich eine unglaublich wertvolle Arbeit, die sie hier leisten“, sagt Dusel.
Er nimmt aus Hamburg eine Reihe an Verbesserungsvorschlägen mit. Die Ergebnisse und Erfahrungen sollen zum Ende des Jahres zu „Teilhabe-Empfehlungen“ gebündelt werden. Dusel sagt: „Nur Problemanalyse wäre uns zu wenig.“