Jahrzehntelang haben sich die jeweiligen Bundesregierungen quergestellt und die Einführung einer bundesweiten Wohnungslosenstatistik verhindert. Nun die Kehrtwende: Das Statistische Bundesamt wird mit einer Zählung beauftragt.
Eigentlich ist die Sache ganz einfach: Wer ernsthaft etwas gegen Wohnungslosigkeit unternehmen will, muss wissen, wo es wieviele Wohnungslose mit welchen Problemen gibt. Trotzdem haben sich jahrzehntelang mehrere Bundesregierungen dagegen gesträubt, eine bundesweite Wohnungslosenstatistik einzuführen, wie sie im Bundestag immer wieder von Grünen und Linken gefordert wurde. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) hat sich für eine solche Statistik eingesetzt, lange erfolglos. Deshalb blieb der BAG W stets nur, die Zahl der Wohnungslosen zu schätzen: Zuletzt kam sie so auf 860.000 Menschen ohne Wohnung in Deutschland.
Jetzt trägt die Lobbyarbeit endlich Früchte: Das Bundessozialministerium von Hubertus Heil (SPD) hat einen Gesetzentwurf für eine solche Statistik erarbeitet und will ihn „zügig auf den Weg bringen“, wie eine Sprecherin gegenüber Hinz&Kunzt bestätigte. Der Grund für den Sinneswandel: Die bislang auch von der Bundesregierung verwendete BAG W-Statistik gilt inzwischen in Berlin als zu ungenau, um politische Entscheidungen damit zu begründen.
„Ziel ist es, Wohnungslosigkeit besser als bisher zu bekämpfen.“
Deshalb sollen nun bundesweit Daten zu „Ausmaß und Struktur von Wohnungslosigkeit“ gesammelt werden. „Damit soll die Wissensbasis verbreitert werden, um auf dieser Grundlage sozialpolitische Maßnahmen entwickelt werden können“, sagte die Ministeriumssprecherin. „Ziel ist es, Wohnungslosigkeit besser als bisher zu bekämpfen.“
Obdachlose sollen nicht exakt gezählt werden
Nach den Ministeriums-Plänen soll das Statistische Bundesamt jährlich an einem Stichtag die Zahl der Menschen ermitteln, sie in öffentlichen Unterkünften leben. Über sie sollen auch sozio-demografische Daten gesammelt werden.
Weniger genau wird die Erhebung bei Obdachlosen ausfallen, die auf der Straße leben: Da eine genaue Zählung zu aufwändig sei, will die Bundesregierung regelmäßig im Rahmen der Begleitforschung des Armuts- und Reichtumsberichts Informationen über sie sammeln. Andere sind da weiter: In Hamburg hatte die Sozialbehörde im Frühjahr ihre neue Studie über Obdachlose in der Stadt vorgestellt. Und auch die Hauptstadt Berlin bereitet derzeit eine Zählung der Obdachlosen vor.
Schon 2017 hatte Andrea Nahles (SPD) in ihrer Zeit als Bundessozialministerin die Einführung einer bundesweiten Wohnungslosenstatistik auf den Weg gebracht. Bis die erste Zählung tatsächlich durchgeführt wird, dauert es noch weitere zwei Jahre: Erst 2021 soll das Statistische Bundesamt erstmals die Wohnungslosenzahl erheben. Solange muss man sich mit der Schätzung der BAG W begnügen. Die prognostizierte zuletzt einen Anstieg auf 1,2 Millionen Wohnungslose im Jahr 2018. Aktuellere Daten liegen bislang nicht vor.