Ein Bündnis aus Sozialbetrieben in ganz Deutschland schlägt Alarm: Das neue Teilhabechancengesetz habe bislang weniger neue Jobs für Langzeitarbeitslose geschaffen als alte vernichtet.
Bundesweit seien gegenüber Ende 2018 gut 6000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren gegangen. In Hamburg sind es 125.
„Ich möchte gerne wieder zurückkommen“, sagt Anna M. „Aber das Jobcenter lässt mich nicht.“ Die Mutter zweier Kinder hat schon einige Maßnahmen für Arbeitslose kennengelernt: Ohne Ausbildung hat sie es auf dem ersten Arbeitsmarkt schwer, zudem leidet Anna M. seit vielen Jahren unter Ängsten und Panikattacken. Deshalb träumt sie von einem geförderten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz, wie ihn die Bundesregierung versprochen hat. Es gibt in ihrem Stadtteil in Kirchdorf-Süd auch einen Sozialbetrieb, der sie sofort einstellen würde. Das Problem jedoch ist: Das Jobcenter hält sie für „nicht mehr förderfähig“.
Anna M. ist eine der Langzeitarbeitslosen, mit deren Geschichte ein Bündnis aus mehr als 250 sozialen Beschäftigungsbetrieben Bund, Länder und Kommunen zu „sofortigen Nachbesserungen“ bei der Neugestaltung des sozialen Arbeitsmarkts aufruft. Anlass der Kampagne unter der Überschrift „Gut gemeint ist nicht gut gemacht!“ sind aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA).
„Sozialer Arbeitsmarkt“ mit Problemen
Demnach sind bundesweit von Januar bis April zwar gut 10.000 sozialversicherungspflichtige Jobs für Arbeitslose durch das Teilhabechancengesetz entstanden. Doch seien gegenüber Ende 2018 auch mehr als 16.000 geförderte Arbeitsplätze verlorengegangen, weil alte Förderprogramme ausliefen oder heruntergefahren wurden. Deshalb bilanziert das Bündnis mit Anspielung auf Ankündigungen der Regierung: „Statt 150.000 Menschen zusätzlich in Arbeit zu bringen, hat der ,soziale Arbeitsmarkt’ über 6000 Menschen neu arbeitslos gemacht.“
In Hamburg sind bis April 197 neue Jobs für Langzeitarbeitslose mithilfe des neuen Programms entstanden, aktuellere Zahlen liegen laut BA nicht vor. Weil aber zum Jahreswechsel 280 geförderte Arbeitsplätze aus dem alten Programm „Soziale Teilhabe“ verlorengegangen sind und andere Fördermodelle auslaufen, fällt auch hier die Bilanz negativ aus: 125 sozialversicherungspflichtige Jobs für Langzeitarbeitslose fehlen. „Ich kenne Kollegen, die haben von 25 Mitarbeitern erst zwei wieder einstellen können“, so Petra Lafferentz, Geschäftsführerin des Hamburger Beschäftigungsträgers Alraune.
Hoffnungen bislang nicht erfüllt
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erhofft sich vom seit Januar geltenden Teilhabechancengesetz bundesweit bis zu 150.000 neue Jobs für Langzeitarbeitslose. Mithilfe der neuen Fördergelder – vier Milliarden Euro stehen bereit – können Arbeitgeber Hartz-IV-Empfänger sozialversicherungspflichtig
einstellen, die in den vergangenen sieben Jahren mindestens sechs Jahre lang staatliche Unterstützung bezogen haben. Dafür erhalten die Unternehmen bis zu fünf Jahre lang Zuschüsse: In den ersten beiden Jahren zahlt das Jobcenter 100 Prozent des Lohns, anschließend jährlich zehn Prozent weniger. Für Hilfeempfänger, die mindestens zwei Jahre arbeitslos gewesen sind, übernimmt das Amt künftig 75 Prozent der Lohnkosten im ersten und 50 Prozent im zweiten Jahr.
Mit dem Programm will die Bundesregierung auch herkömmliche Unternehmen – und nicht nur Sozialbetriebe – als Arbeitgeber für Menschen gewinnen, die gewöhnlich wenig Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Doch ist das Interesse der freien Wirtschaft offenbar noch überschaubar. Laut des Bündnisses aus Sozialbetrieben sind die 10.000 neuen Jobs vor allem bei ihnen entstanden: „Trotz Förderung wollen wie auch in den vergangenen Jahren die meisten Unternehmen Fachkräfte einstellen, keine Langzeitarbeitslosen.“ Die Bundesagentur für Arbeit erklärte auf Hinz&Kunzt-Nachfrage dazu, eine Differenzierung der geförderten Arbeitgeber nach herkömmlichen Unternehmen und Sozialbetrieben sei „nicht möglich“.
Nachbesserungen gefordert
Das Bündnis aus Sozialbetrieben fordert, dass Arbeitgeber zusätzlich zu den Lohnkosten eine pauschale für ihre Miet- und Betreuungskosten erhalten sollen, wie es sie bei Vorgänger-Programmen gab. Die ist in dem neuen Gesetz aber nicht vorgesehen. Als zum Jahreswechsel deshalb die Schließung mehrerer Projekte in ohnehin benachteiligten Hamburger Stadtteilen drohte, sagte die Sozialbehörde in letzter Minute Zuschüsse zu – jedoch nur für dieses Jahr.
Auch die Bürokratie der Jobcenter mache Arbeitslosen und Arbeitgebern das Leben unnötig schwer, so die Sozialbetriebe. Das Bündnis fordert deshalb nicht nur, „endlich die Milliarden in Arbeitsplätze zu verwandeln“, sondern auch den Einstieg in die Förderung zu „erleichtern und beschleunigen“.