Obwohl die Temperaturen nachts nur knapp über Null Grad liegen, hat die Stadt das Winternotprogramm nicht verlängert. Hunderte Obdachlose müssen wieder draußen schlafen, kritisiert Redakteur Benjamin Laufer in seinem Kommentar.
Ich frage mich, ob er noch lebt, aber ich zögere auch, den Mann zu wecken. Er liegt früh morgens auf einer Wiese im Park, geschützt nur von einer dünnen Isomatte und einem Schlafsack. Nichtmal ein Zelt hat er. Ich friere in meiner Winterjacke, die Wetter-App auf meinem Smartphone sagt: 3 Grad Celsius. Gerne würde ich helfen, aber was kann ich schon tun?
Kennen Sie das? Mir ist es heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit mal wieder passiert. Der Mann hat sich irgendwann bewegt. Er war also noch am Leben und ich konnte mehr oder weniger guten Gewissens zur Arbeit gehen. Doch ich habe mich wütend und hilflos zugleich gefühlt. Denn seit Monaten habe ich in diesem Park niemanden mehr schlafen sehen. Die Stadt Hamburg schützt ihre Obdachlosen den Winter über vor dem Erfrierungstod in den Großunterkünften ihres Winternotprogramms, zumindest nachts. Und trotzdem sind seit Oktober wenigstens sechs Obdachlose draußen gestorben.
Seit Montag ist das Winternotprogramm planmäßig vorbei – obwohl die Temperaturen in den Nächten nur knapp über dem Gefrierpunkt liegen. Doch nach Ansicht der Sozialbehörde ist die Situation nicht „außergewöhnlich genug“, um eine Verlängerung zu rechtfertigen. Hunderte Menschen schlafen bei winterlichen Temperaturen wieder im Freien – aber die Stadt Hamburg kommt gar nicht auf die Idee, ihren Erfrierungsschutz zu verlängern.
Durch Obdachlosigkeit sind Grundrechte wie die Menschenwürde und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Gefahr.
Das Winternotprogramm ist eine Maßnahme nach dem sogenannten Gefahrenabwehrrecht, denn juristisch ist Obdachlosigkeit eine Gefahr, die der Staat beseitigen muss. In Gefahr sind durch die Obdachlosigkeit insbesondere Grundrechte wie die Menschenwürde und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Manche Juristen sagen, das gilt auch im Sommer. Die Stadt Hamburg sagt mit ihrer Entscheidung, das Winternotprogramm nicht zu verlängern: Bei Temperaturen knapp über Null im Park schlafen zu müssen, ist mit den Grundrechten vereinbar. Und das kurz vor dem 70. Geburtstag des Grundgesetz.
Sozialarbeiter beklagen seit Jahren, dass die Notunterkünfte des Winternotprogramms nicht ganzjährig geöffnet werden. Auch vergangene Woche wieder. Ihre Forderungen sind immer fast die gleichen – weil sich kaum etwas tut. „Wir sind ein bisschen frustriert“, sagte mir Bettina Reuter vom Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot.
Und wir anderen Hamburger? Wir sollen uns nach dem Winternotprogramm wieder daran gewöhnen, dass Tausende Obdachlose auf unseren Straßen und in unseren Parks schlafen. Knapp 2000 hat die Behörde vergangenes Jahr gezählt, Dunkelziffer unklar. Einige werden nach dem Winternotprogramm in eine dauerhafte Unterkunft umziehen, aber die meisten gehen wohl wie immer leer aus.
Nein, das ist nicht normal. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich will mich daran nicht gewöhnen.