1910 Obdachlose gezählt :
Wohlfahrtsverbände fordern Kehrtwende in der Obdachlosenhilfe

Immer mehr Obdachlose leben in Hamburg, hier neben der Kennedybrücke. Foto: BELA

In Hamburg leben fast doppelt so viele Menschen auf der Straße wie noch vor zehn Jahren, zeigt eine neue Studie der Sozialbehörde. Wohlfahrtsverbände und Opposition fordern mehr Hilfe für Obdachlose.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Unterschiedlicher könnten die Bewertungen der Erhebungsergebnisse kaum ausfallen. Die Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (AGFW) spricht von einem „dramatischen Anstieg“, der nun dringend politischer Antworten bedarf: 1910 Obdachlose wurden im Frühjahr 2018 in Hamburg auf der Straße gezählt, 86 Prozent mehr als im Jahr 2009, Dunkelziffer unklar. „Der Trend muss umgekehrt werden“, forderte der Referent für Wohnungslosenhilfe beim Diakonischen Werk, Stephan Nagel, angesichts der Ergebnisse. „Obdachlosigkeit muss so bekämpft werden, dass die Zahlen wieder runter gehen!“

Die Sozialbehörde sieht in der Studie hingegen eine Bestätigung ihrer Arbeit. „Die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, führen zu einem Rückgang der Obdachlosigkeit“, sagte ihr Sprecher Martin Helfrich gegenüber Hinz&Kunzt. Das belege der in der Studie dokumentierte Rückgang der Zahl deutscher Obdachloser. Gestiegen sei die Zahl der Obdachlosen nur aufgrund der Zuwanderung.

Was Sie über Obdachlosigkeit in Hamburg wissen müssen
Obdachlosenbefragung 2018
Was Sie über Obdachlosigkeit in Hamburg wissen müssen
In Hamburg gibt es nicht nur deutlich mehr Obdachlose als noch vor zehn Jahren, auch ihre Zusammensetzung hat sich verändert. Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie der Sozialbehörde lesen Sie hier.

Tatsächlich hat sich der Anteil der deutschen Obdachlosen im Vergleich zu 2009 verringert: Nur noch 36 Prozent der Menschen auf der Straße hat heute einen deutschen Pass, gefolgt von Polen (15,1 Prozent), Rumänen (13,8 Prozent) und Bulgaren (6,4 Prozent). In absoluten Zahlen haben 205 deutsche Obdachlose weniger als noch 2009 an der Studie teilgenommen, nämlich 491. Allerdings haben viele keine Angaben zu ihrer Nationalität gemacht und es konnten auch nicht alle Obdachlosen befragt werden. (Lesen Sie hier mehr zu den Ergebnissen).

Für den Diakonie-Experten Nagel wäre ein Rückgang ein Beleg dafür, dass es tatsächlich gelingen kann, Wohnungslosigkeit zu beenden. „Das Hilfesystem kann erfolgreich arbeiten, wenn es die entsprechenden Möglichkeiten an die Hand bekommt“, sagt er. Problematisch sei jedoch, dass viele Obdachlose keinen Zugang zu diesem Hilfesystem hätten – oder oft auch nicht wüssten, dass sie einen Anspruch auf staatliche Hilfen haben.

Wohlfahrtsverbände wollen mehr Prävention und Wohnungen

Deshalb fordert die AGFW nun vom Senat neue Antworten auf Obdachlosigkeit. Nötig seien „erhebliche zusätzliche finanzielle Mittel“, hieß es in einer Stellungnahme. „Das Problem darf nicht verwaltet werden, sondern muss lösungsorientiert angegangen werden“, sagte Stephan Nagel. Dann könne es klappen, die Zahl der Wohnungslosen innerhalb von fünf Jahren zu halbieren. Und er hat auch konkrete Vorstellungen davon, wie das gelingen kann:

Die Pressekonferenz der AGFW

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  • Da die meisten ausländischen Obdachlosen laut Studie auf der Suche nach Arbeit nach Hamburg gekommen sind, solle die Stadt sie „noch mehr dabei unterstützen, tatsächlich auch Arbeit leisten zu können und zwar unter würdigen Bedingungen“, so die AGFW. Für alle, die zunächst keine Arbeit fänden, müsse der Zugang ins Unterkunftssystem erleichtert werden.
  • Ein Viertel der Obdachlosen hat laut Studie ihre Wohnung durch fristlose Kündigung, Räumungsklage oder Zwangsräumung verloren. Deshalb fordern die Wohlfahrtsverbände, die „ziemlich erfolgreiche“ Präventionsarbeit der Fachstellen für Wohnungsnotfälle noch mehr zu stärken.
  • Zentral für die Bekämpfung von Obdachlosigkeit ist für die AGFW die Versorgung der Obdachlosen mit Wohnungen. In Hamburg gebe es aber viel zu wenige Wohnungen für Menschen mit kleinem Geldbeutel, insbesondere Wohnungslose hätten zum Markt kaum einen Zugang. Deshalb solle die städtische Wohnungsbaugesellschaft Saga doppelt so viele Wohnungen wie bislang an Wohnungslose vergeben.

Linke fordert Hilfe auch für Obdachlose ohne Leistungsansprüche

Auch die Opposition in der Bürgerschaft reagierte auf die Untersuchungsergebnisse. Die CDU-Fraktion forderte vom Senat zu prüfen, ob eine verstärkte Kooperation mit den Behörden in osteuropäischen Ländern dazu beitragen könne, die Zahl der Obdachlosen zu verringern. Die Linksfraktion forderte, auch Obdachlose ohne Leistungsansprüche müssten in den Fokus genommen werden: „Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die weitere Ausbeutung und Verelendung zu unterbinden“, sagte die Fraktionsvorsitzende Cansu Özdemir.

Die Sozialbehörde kündigte für Anfang 2019 eine Fachtagung an, auf der die Befragungsergebnisse gemeinsam mit den Akteuren des Hilfesystems für Obdach- und Wohnungslose weiter erörtert werden sollen.

Autor:in
Benjamin Laufer
Benjamin Laufer
Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD Digitales.

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