Am Donnerstag eröffneten die Großunterkünfte des Winternotprogramms mit Platz für bis zu 694 Obdachlose. Ein Shuttlebus bringt sie von Hammerbrook zur neuen Unterkunft in Lokstedt.
Wenigstens ein Zweibettzimmer für den Winter, das ist Thomas einziger Wunsch. Deshalb steht der obdachlose Hinz&Künztler schon fast zwei Stunden vor Start des Winternotprogramms vor der Notunterkunft der Stadt in der Friesenstraße: „Ich bin extra früh gekommen, damit ich ein bisschen Auswahl habe“, sagt er. „Wenn du Pech hast, bekommst du ein Achtbettzimmer.“
Als um 17 Uhr die Türen zur Unterkunft geöffnet werden, steht Thomas etwa in der Mitte der Schlange, vor und hinter ihm jeweils etwa 30 andere Obdachlose. Die Stimmung ist entspannt, manche begrüßen freundlich die Sicherheitsleute, die sie aus dem vergangenen Winter kennen. Ob Thomas‘ Wunsch in Erfüllung geht, wird er erst nach der Anmeldung in der Einrichtung erfahren.
Sein erster Wunsch für den Winter hatte sich schon am Dienstag zerschlagen: Eigentlich wollte Thomas in einem Wohncontainer bei einer Kirchengemeinde Schutz vor der Kälte finden. Doch bei der Verlosung der Plätze im Wohnungslosenzentrum der Diakonie zog er – wie viele andere – eine Niete. Im Container hätte er seine Ruhe gehabt – und er hätte sich auch tagsüber darin aufhalten können.
Flüchtlingsunterkunft wird Notschlafstätte
In der Friesenstraße geht das nicht: Die bis zu 400 Obdachlosen, die hier unterkommen können, müssen jeden Morgen um 9.30 Uhr das Haus verlassen. Hinz&Kunzt hat das immer wieder kritisiert – leider ohne Erfolg. Die gleiche Regel gilt in der Kollaustraße in Lokstedt. Dort hat der städtische Betreiber fördern&wohnen eine ehemalige Flüchtlingsunterkunft als zweiten Standort im Winternotprogramm eröffnet. In dem Containerdorf können bist zu 294 Obdachlose übernachten. Es dient als Ersatz für die bisherige Einrichtung im Scharsteinweg mit 360 Plätzen, die in diesem Winter nicht mehr genutzt wird: Der Mietvertrag war ausgelaufen.
Dass es nun auch eine Notunterkunft außerhalb der Innenstadt gibt, begrüßt Hinz&Kunzt. „Obdachlose leben in der ganzen Stadt, da ist es sinnvoll, auch in Lokstedt einen Erfrierungsschutz anzubieten“, sagt Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. Das zeigt nicht zuletzt der tragische Tod von Hinz&Künztlerin Joana: Sie war wenige Tage vor Start des Winternotprogramms auf der Straße gestorben – eine halbe Stunde Fußweg von der Einrichtung in der Kollaustraße entfernt. Wahrscheinlich spielte Unterkühlung beim Tod der 43-Jährigen eine Rolle.
Mit dem Shuttlebus nach Lokstedt
Damit auch Obdachlose aus der Innenstadt in der Unterkunft an der Kollaustraße übernachten können, hat die Sozialbehörde einen Shuttlebus eingerichtet. Er fährt jeden Abend von der Friesenstraße nach Lokstedt und morgens wieder zurück. Laut fördern&wohnen steht es jedem Obdachlosen frei, ob er dieses Angebot annehmen will. Am ersten Abend fuhren demnach 17 mit dem Bus nach Lokstedt.
Insgesamt übernachteten nach Angaben von fördern&wohnen in der ersten Nacht 174 Menschen in den Großunterkünften in Friesen- und Kollaustraße. Im vergangenen Jahr waren es in der Nacht zum 2. November 252 gewesen, also 78 weniger. Allerdings: Erfahrungsgemäß steigen die Belegungszahlen in den ersten Wochen des Winternotprogramms stark an. Und hinzu kommen noch die 120 Obdachlosen, die in den Wohncontainern bei Kirchengemeinden übernachtet haben. Insgesamt fanden also in der ersten Nacht 294 Obdachlose Schutz im Winternotprogramm.
Nach Angaben von förfern&wohnen hat auch bereits eine Person in der Wärmestube in der Hinrichsenstraße übernachtet, die eigentlich nicht als Übernachtungsstätte ausgelegt ist. Während des vergangenen Winternotprogramms hatten Sozialarbeiter nach Angaben der Sozialbehörde aus den Großunterkünften 377 Schutzsuchende dorthin geschickt, 116 kamen an und schliefen auf dem Fußboden. Sie hätten „Selbsthilfemöglichkeiten“ und damit kein Anspruch auf ein Bett im Winternotprogramm, so der Vorwurf.
Ein Dreibettzimmer für Thomas
Thomas ist zufrieden: Er hat zwar kein Zwei- aber dafür ein Dreibettzimmer in der Friesenstraße bekommen. „Die Nacht war ruhig“, sagt er am Freitagmorgen. „Ich habe ein Einzelbett, da haue ich mir nicht die Rübe an.“ Im vergangenen Winter war das noch anders: Da musste er sich mit fünf anderen ein Zimmer teilen. „Ständiges Kommen und Gehen, auch nachts“, erinnert er sich. Das Dreibettzimmer ist für ihn also ein echter Aufstieg.
Und er hat doppelt Glück gehabt: Auf seiner Platte in Finkenwerder stand am Freitagmorgen die Polizei auf der Matte. Bis Montag müssten er und sein Freund Helmut ihre Zelte auf der stillgelegten Obstplantage abbauen. Gut, dass er jetzt sein Bett in der Friesenstraße hat. Und Helmut hat eins der 17 Zimmer im Pik As ergattert, die dort während des Winternotprogramms für Obdachlose bereitgestellt werden. Der Winter kann kommen – auch für Helmuts Hund Pino.