Marco L., 38, verkauft seit April 2008 das Straßenmagazin
(aus Hinz&Kunzt 206/April 2010)
Wie es sich anfühlt, zu einer Familie zu gehören, weiß Marco. Aber nicht, wie es ist, sie zu behalten.
Seinen leiblichen Vater kennt er gar nicht. Seine Mutter arbeitete Tag und Nacht als Kellnerin. Der Stiefvater beachtete ihn nur, wenn er ihn prügelte.
In seiner Kindheit gab Marcos Oma ihm so etwas wie ein Zuhause. Als sie starb, haute der 13-jährige Marco ab. „Ich bin total durchgedreht und wollte nur noch weg.“ Auf dem Hamburger Kiez – nur ein paar Hundert Meter von der elterlichen Wohnung, aber Welten von einer behüteten Kindheit entfernt – schlug er sich alleine durch. „Mit Diebstahl und Prostitution und so“, sagt der 38-jährige Hinz&Künztler.
In mehrere Heime hätten sie ihn gebracht, aber da sei er immer wieder abgehauen. Noch als Teenager fing er mit Drogen an. Das erste Koks bekam er „von einem guten Freund, der jetzt tot ist“.
Mit Anfang zwanzig verliebte Marco sich. Er heiratete die Frau und zog mit ihr in eine Kleinstadt in Schleswig-Holstein. Sie hatte schon drei Kleinkinder aus einer früheren Beziehung, gemeinsam bekamen die beiden noch einen Sohn. Seine Frau verdiente das Geld, Marco schmiss den Haushalt für die sechsköpfige Familie. Sieben Jahre lang blieb er clean.
„Dann der Rückfall“, sagt er. „Ich glaube, ich war überfordert: der Haushalt, die Kinder. Du musst immer nett sein, auch wenn sie rumschreien und zanken.“ Marco brach aus dem Leben als Hausmann aus. Er landete auf der Straße und geriet wieder in den Kreislauf der Sucht: Das Geld dafür beschaffte er auch auf illegalem Weg. Mehrmals stand Marco deswegen vor Gericht, zuletzt am 26. September 2009. Ein wichtiges Datum, denn damals beschloss er: „Ich will nicht noch mehr Mist bauen.“ Seitdem bekommt er Methadon, eine Ersatzdroge, die er nicht in der Szene kaufen muss, sondern beim Arzt abholt.
Seinen Alltag bestimmen mittlerweile nicht mehr die Drogen, sondern Hinz&Kunzt: Jeden Tag verkauft er das Straßenmagazin und kommt in den Vertrieb in der Altstädter Twiete, auf einen Kaffee und zum Klönen. „Hier werde ich anerkannt“, sagt Marco. „Hier ist jetzt meine Familie.“
H&K: Wo wohnst du derzeit? Und wie ist es da?
Marco: In einem Zimmer zur Untermiete bei einer Bekannten. Da wohnen auch noch ihr Freund und zwei Hunde.
H&K: Wenn du einen Wunsch frei hättest, was würdest du dir wünschen?
Marco: Ich will unbedingt meine eigene Wohnung. Ich würde sie von dem Geld, das ich mit Hinz&Kunzt verdiene, einrichten. Dann kann mich auch mein Sohn besuchen und meine Mutter.
H&K: Wo ist dein Lieblingsplatz in Hamburg?
Marco: In der Sternschanze, da sind die Leute in Ordnung, da macht mich nie einer blöd an.
Text: Beatrice Blank
Foto: Mauricio Bustamante